1902
Nr. l
Der 3 ebthy osaurus
Richard Pfeiffer 'Krachen)
,,£$ rauscht in den Schachtelhalmen, Da schwimmt mit Thränen im Äuge Zhn jammert der Leiten Derderbnih, flvar neuerlich eingerillen
Derdächtig leuchtet dar Meer, fcin Zcythgokauru; daher. Denn ein sehr bedenklicher Ton Zn der Liarsormation"
(Saucleamus)
Der Abend aber fährt mit scharfem Ostwinde
daher und jagt den Nebel über den Rhein. Ein
feines Goldbraun dämmert für Augenblicke durch
die Ebene, der verhüllten Sonne Scheidegruß.
Daun blitzen die Lichter auf, au den Neckarbrücken,
hüben an der Landstraße, und drüben am Stade»,
in den Gassen und Gäßchen, die Hänge hinauf in
den Landhäuschen, immer seltener, immer verein-
zelter aus dem nächtlichen Schwarzblau heraus-
flimmernd; die Berglinie ist längst verschwommen,
da oben, was da leuchtet und funkelt, sind schon
die Sterne. Frau Venus rüstet sich zum winter-
lichen Sonnenflug, schon verblassen vor Aerger
und Neid die kleinen Nachbarn; und draußen,
da klimmt der wilde Jäger Orion über den Hügel-
saum, er, der stumm seit Anfang der Dinge durch
die Ewigkeit schreitet und grüßt mitleidig den
Rodeusteiuer, der mit soviel Sveklakcl in seinem
Odenwalde grast. Aber alle die Sterne bleiben
so klein, so winzig neben den Lichtern der Men-
schen, die immer heller werden, immer sieghafter
strahlen; und wenn erst tausend Bogenlamven zu
unser» Häupten hängen, dann legen Sie Ihr Alt-
jungfernkleid an, Frau Venus, Schwarz in Schwarz,
dann fragt keiner mehr nach Ihnen: so bändigen
wir kleinen Erdcnwürmer die Uuermeßlichkeit.
Häuser reihen au Häuser sich an, Wielen begräbt
der graue Asphalt, ich sehe die Jahre kommen,
wo rechts und links statt Buchen und Platanen
Bazare erstehen, ich sebe ihn als Hauptgeschäfts-
straße der Großstadt — den Philosopheuwcg.
So führte aus den galiläischen Hügeln ein
Pfad über den See Genezarcth. und durch Gelh-
semaneh nach Golgatha, von Emmans nach Da-
maskus, über Nicäa nach Rom. über Konstanz im
freien germanischen Geistesfluge zum Elsterthore
in Wittenberg, und dann — hinein in die graue,
gerade Straße, mit guter Beleuchtung und be-
guemen Pflastersteinen, wo jeder mit kann ohne
Mühe, ohne Kampf: die größte Menschheitsoffen-
barung ward zur Lebensgewohnheit. Kraftvoll
riß wohl der eine, der andere sich los; der schwind-
süchtige Brilleuschleifer von Amsterdam, wie die
feinen Weltmänner des Salon Holbach, der be-
scheidene Kleinbürger aus Königsberg, wie der
pessimistische Weiberfeind in der Goethestadt, sie alle
wollte» etwas Einziges, Unerhörtes, etwas abseits
von allen und doch alle mit hinausziehen, hinauf
zu sich ... sie sind hiuuntergcstiegeu; sie gehören
zur allgemeinen Bildung; zu bequemer
Scheidemünze wurde ihrer Wahrheit
leuchtendes Gold legiert, ihr Geist zieht vor den
Cliquen und Schulen her, wie Gott der Herr
vor Israel, des Tags in einer Wolkensäule, des
Nachts — nein: es ist ja Tag; wir sind ja
so aufgeklärt, so gebildet, so skeptisch, und die
Wolkensäule hat eigentlich nur noch ästhetischen
Reiz, zum Finden brauchen wir sie nicht; wer
kann sich verirren auf breiter Landstraße? Denn
die wandeln wir beglückt, die ist unser Philo-
sophenweg. .
Die Zeit hat's gegeben fürs deutsche Volk.
Entsinnt ihr euch nicht mehr: damals, als ein
Physiologieprofessor und Akademieredner haarscharf
bewies, daß Böcklin ein Ignorant sei, weil ein
Weib keinen Fischschwanz habe, und Goethe kein
Menschenkenner, weil Fansteus Selbstmordversuch
für den braven Normalmenschen unfaßbar bleibe?
Da hatten die Deuffchen ihren Hebbel und ihren
Keller, ihren Fontane und ihren Raabe, und
wußtens nicht, weil die an steilen Hängen durch
dorniges Gestrüpp sich kämpften, und keiner sie
von unten sah. Aber einer hat's doch fertig ge-
bracht, daß die auf der Landstraße stehen blieben
und aufhorchten; der schmetterte in sein Horn, daß
denen der Allwissenheitsdünkel verflog, und daß
sie wieder einmal gläubig lächelten und wie die
Kinder zu jauchzen anfingen ob all des herzer-
quickenden Sangs vom wilden Jäger und vom
durstigen Zwerg, vom Wallsischzecher und philo-
sophischen Katerlein. In die gräuliche Mischung
von Banausentum und Sentimentalität hat er sein
Lied voll frischer, toller Herzensfreude hueiuge-
jubelt, hat die unbändige, köstlich unreife Jugend
geweckt in den Herzen, die so zeitig alt geworde«
waren, hat die Phantasie herausgehauen aus dem
6uano
«Und die Anerkennung der Betten Fon legn' £ud), ihr trefflidjen Vögel,
grauen Elend der Atome, und hat nichts zurück-
genommen, nichts widerrufe», hat nicht spekuliert
auf die Massculaune, ist sein Lebtag geblieben,
der er war, einer für sich, ein ganzer Kerl, ein
Könner, ein Künstler — der Scheffel.
Und hier, wo er sein herrlichstes Lied augestimmt,
von lenzigen Blüthen und Herbstliche» Dornen,
hier pflastern sie wieder einmal an einer schönen,
breiten Straße, um die verirrten Schäflein zu retten.
Wir haben wieder einmal ein Evangelium, keine
frohe Botschaft zwar, aber sic muß wahr sein,
denn die Statistik bemeift's: der Wein ist unser
schlimmster Feind, und wer ihn besingt, ist ärger
denn Herodes, der bethlehemitische Kiudermörder.
Armer Scheffel! So haben sie dich dort oben auf
ein paradiesisches Fleckchen gestellt, damit du trüb-
selig hinabblicken darfst auf die Sündflut von
keimfreiem Selterswasser, und reumüthig einsehen,
wie doch Perkeo noch leben könnte, wenn er sein
züchlig das blaue Kreuz getragen hätte I Damit
du's erlebst, wie sie alle zu untadeligen Muster-
knaben werden, mit zwanzig Jahren voll von
Alter und Verstand, und sich herzlich schämen ob
der wüsten Lieder, die sie in Sünden befangen dir
nachgejauchzt? lind sich mühen, das Wunder von
Kana, das menschlichste aller göttlichen, auszutilgen
durch eigenen behulsamcu und behüteten Lebens-
wandel ?
Vergicb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie
thun. Mich aber scheuckit die graue Straße, und
ich muß wieder klettern, hinauf, wo ich von all
den frommen Wünschen nichts höre. Lichter Mor-
genglanz liegt auf den Bergen, strahlt um die
röthlichcu Trümmer und funkelt souuig aus dem
Neckar herauf. Die Glocken läute», und die Schwa-
beumädcl schlüpfen ins Fciertagoklcid. Ein lieber
deutscher Sonntag bricht an über Heidelberg und
hüllt in schimmerndes Brautgewand die frieden-
athmcnde, freudenleuchteude Neckarflur. Und rüstig
schreite ich aufwärts, ins junge Licht hinein. Und
bin ich oben, daun schwinge ich den grünlichen
Römer mit goldigem Rheinwein zu Dir hinüber,
Du ewig Junger. Und jubele ein Lied von Dir
in den strahlenden Morgen zum Feiertag eine Berg-
predigt der Freude. Ich neide die Scute nicht,
die unten in weisem Gespräch die sichere Straße
zieh'». Als räudig Schäflein ruf' ich Dir über
Hänge und Hügel und Strom hinüber den Jugend -
grüß vom Philosophenweg.
Lrnst 6ystrom.
fehl! ihren Bestrebungen nicht/
Venn kern m schwäbischen Westen
der Bövlinger Kepsbauer spricht:
An der fernen BuanoKufl’/ —
troe meinem tandsmann/ dem Pegel,
Schasst ihr den gediegensten Mist?
(Gaudeamus)
Nr. l
Der 3 ebthy osaurus
Richard Pfeiffer 'Krachen)
,,£$ rauscht in den Schachtelhalmen, Da schwimmt mit Thränen im Äuge Zhn jammert der Leiten Derderbnih, flvar neuerlich eingerillen
Derdächtig leuchtet dar Meer, fcin Zcythgokauru; daher. Denn ein sehr bedenklicher Ton Zn der Liarsormation"
(Saucleamus)
Der Abend aber fährt mit scharfem Ostwinde
daher und jagt den Nebel über den Rhein. Ein
feines Goldbraun dämmert für Augenblicke durch
die Ebene, der verhüllten Sonne Scheidegruß.
Daun blitzen die Lichter auf, au den Neckarbrücken,
hüben an der Landstraße, und drüben am Stade»,
in den Gassen und Gäßchen, die Hänge hinauf in
den Landhäuschen, immer seltener, immer verein-
zelter aus dem nächtlichen Schwarzblau heraus-
flimmernd; die Berglinie ist längst verschwommen,
da oben, was da leuchtet und funkelt, sind schon
die Sterne. Frau Venus rüstet sich zum winter-
lichen Sonnenflug, schon verblassen vor Aerger
und Neid die kleinen Nachbarn; und draußen,
da klimmt der wilde Jäger Orion über den Hügel-
saum, er, der stumm seit Anfang der Dinge durch
die Ewigkeit schreitet und grüßt mitleidig den
Rodeusteiuer, der mit soviel Sveklakcl in seinem
Odenwalde grast. Aber alle die Sterne bleiben
so klein, so winzig neben den Lichtern der Men-
schen, die immer heller werden, immer sieghafter
strahlen; und wenn erst tausend Bogenlamven zu
unser» Häupten hängen, dann legen Sie Ihr Alt-
jungfernkleid an, Frau Venus, Schwarz in Schwarz,
dann fragt keiner mehr nach Ihnen: so bändigen
wir kleinen Erdcnwürmer die Uuermeßlichkeit.
Häuser reihen au Häuser sich an, Wielen begräbt
der graue Asphalt, ich sehe die Jahre kommen,
wo rechts und links statt Buchen und Platanen
Bazare erstehen, ich sebe ihn als Hauptgeschäfts-
straße der Großstadt — den Philosopheuwcg.
So führte aus den galiläischen Hügeln ein
Pfad über den See Genezarcth. und durch Gelh-
semaneh nach Golgatha, von Emmans nach Da-
maskus, über Nicäa nach Rom. über Konstanz im
freien germanischen Geistesfluge zum Elsterthore
in Wittenberg, und dann — hinein in die graue,
gerade Straße, mit guter Beleuchtung und be-
guemen Pflastersteinen, wo jeder mit kann ohne
Mühe, ohne Kampf: die größte Menschheitsoffen-
barung ward zur Lebensgewohnheit. Kraftvoll
riß wohl der eine, der andere sich los; der schwind-
süchtige Brilleuschleifer von Amsterdam, wie die
feinen Weltmänner des Salon Holbach, der be-
scheidene Kleinbürger aus Königsberg, wie der
pessimistische Weiberfeind in der Goethestadt, sie alle
wollte» etwas Einziges, Unerhörtes, etwas abseits
von allen und doch alle mit hinausziehen, hinauf
zu sich ... sie sind hiuuntergcstiegeu; sie gehören
zur allgemeinen Bildung; zu bequemer
Scheidemünze wurde ihrer Wahrheit
leuchtendes Gold legiert, ihr Geist zieht vor den
Cliquen und Schulen her, wie Gott der Herr
vor Israel, des Tags in einer Wolkensäule, des
Nachts — nein: es ist ja Tag; wir sind ja
so aufgeklärt, so gebildet, so skeptisch, und die
Wolkensäule hat eigentlich nur noch ästhetischen
Reiz, zum Finden brauchen wir sie nicht; wer
kann sich verirren auf breiter Landstraße? Denn
die wandeln wir beglückt, die ist unser Philo-
sophenweg. .
Die Zeit hat's gegeben fürs deutsche Volk.
Entsinnt ihr euch nicht mehr: damals, als ein
Physiologieprofessor und Akademieredner haarscharf
bewies, daß Böcklin ein Ignorant sei, weil ein
Weib keinen Fischschwanz habe, und Goethe kein
Menschenkenner, weil Fansteus Selbstmordversuch
für den braven Normalmenschen unfaßbar bleibe?
Da hatten die Deuffchen ihren Hebbel und ihren
Keller, ihren Fontane und ihren Raabe, und
wußtens nicht, weil die an steilen Hängen durch
dorniges Gestrüpp sich kämpften, und keiner sie
von unten sah. Aber einer hat's doch fertig ge-
bracht, daß die auf der Landstraße stehen blieben
und aufhorchten; der schmetterte in sein Horn, daß
denen der Allwissenheitsdünkel verflog, und daß
sie wieder einmal gläubig lächelten und wie die
Kinder zu jauchzen anfingen ob all des herzer-
quickenden Sangs vom wilden Jäger und vom
durstigen Zwerg, vom Wallsischzecher und philo-
sophischen Katerlein. In die gräuliche Mischung
von Banausentum und Sentimentalität hat er sein
Lied voll frischer, toller Herzensfreude hueiuge-
jubelt, hat die unbändige, köstlich unreife Jugend
geweckt in den Herzen, die so zeitig alt geworde«
waren, hat die Phantasie herausgehauen aus dem
6uano
«Und die Anerkennung der Betten Fon legn' £ud), ihr trefflidjen Vögel,
grauen Elend der Atome, und hat nichts zurück-
genommen, nichts widerrufe», hat nicht spekuliert
auf die Massculaune, ist sein Lebtag geblieben,
der er war, einer für sich, ein ganzer Kerl, ein
Könner, ein Künstler — der Scheffel.
Und hier, wo er sein herrlichstes Lied augestimmt,
von lenzigen Blüthen und Herbstliche» Dornen,
hier pflastern sie wieder einmal an einer schönen,
breiten Straße, um die verirrten Schäflein zu retten.
Wir haben wieder einmal ein Evangelium, keine
frohe Botschaft zwar, aber sic muß wahr sein,
denn die Statistik bemeift's: der Wein ist unser
schlimmster Feind, und wer ihn besingt, ist ärger
denn Herodes, der bethlehemitische Kiudermörder.
Armer Scheffel! So haben sie dich dort oben auf
ein paradiesisches Fleckchen gestellt, damit du trüb-
selig hinabblicken darfst auf die Sündflut von
keimfreiem Selterswasser, und reumüthig einsehen,
wie doch Perkeo noch leben könnte, wenn er sein
züchlig das blaue Kreuz getragen hätte I Damit
du's erlebst, wie sie alle zu untadeligen Muster-
knaben werden, mit zwanzig Jahren voll von
Alter und Verstand, und sich herzlich schämen ob
der wüsten Lieder, die sie in Sünden befangen dir
nachgejauchzt? lind sich mühen, das Wunder von
Kana, das menschlichste aller göttlichen, auszutilgen
durch eigenen behulsamcu und behüteten Lebens-
wandel ?
Vergicb ihnen, denn sie wissen nicht, was sie
thun. Mich aber scheuckit die graue Straße, und
ich muß wieder klettern, hinauf, wo ich von all
den frommen Wünschen nichts höre. Lichter Mor-
genglanz liegt auf den Bergen, strahlt um die
röthlichcu Trümmer und funkelt souuig aus dem
Neckar herauf. Die Glocken läute», und die Schwa-
beumädcl schlüpfen ins Fciertagoklcid. Ein lieber
deutscher Sonntag bricht an über Heidelberg und
hüllt in schimmerndes Brautgewand die frieden-
athmcnde, freudenleuchteude Neckarflur. Und rüstig
schreite ich aufwärts, ins junge Licht hinein. Und
bin ich oben, daun schwinge ich den grünlichen
Römer mit goldigem Rheinwein zu Dir hinüber,
Du ewig Junger. Und jubele ein Lied von Dir
in den strahlenden Morgen zum Feiertag eine Berg-
predigt der Freude. Ich neide die Scute nicht,
die unten in weisem Gespräch die sichere Straße
zieh'». Als räudig Schäflein ruf' ich Dir über
Hänge und Hügel und Strom hinüber den Jugend -
grüß vom Philosophenweg.
Lrnst 6ystrom.
fehl! ihren Bestrebungen nicht/
Venn kern m schwäbischen Westen
der Bövlinger Kepsbauer spricht:
An der fernen BuanoKufl’/ —
troe meinem tandsmann/ dem Pegel,
Schasst ihr den gediegensten Mist?
(Gaudeamus)