Nr. 1
^ D .
Robert Engels (München)
£in Gang zur großen Karfaufe
(Hus „Rcisebilder“ von V. Scheffel)
LMir standen vor dem Thore der grande Chartreuse, der
MZ großen Kartause, der wiege des strengen, stillen
Kartäuser-Brdens, darin jetzt noch über vierzig Vrdensmänner
in unwandelbarem Schweigen der Betrachtung göttlicher Dinge
ein asketisches Leben weihen. — Eine einsamere wildniß war
auch schwer auszusuchen, um von der Welt ungestört ein Asyl
der Lontemplation zu gründen. Don allen Leiten ragen senk-
recht die noch von vielem Schnee umhüllten Alpenwände empor,
reicher, gewaltiger Wald umschließt das Kloster und zieht stch
weit bis in die Berghöhen empor... und alles schweigt, nur
die Nachtigall in den Linden des Vorhofs ist noch kein Kar-
täuser worden und singt lustig und klagend ihr schmelzendes Lied.
Nachdem wir mit der schweren ehernen Klinke an's Thor
um Einlaß geklopft, that sich der Eingang der unheimlich schwei-
genden Klosterhallen auf, ein dienender Bruder in brauner Kutte
erschien und geleitete uns in das dem Empfang der Pilgers-
mäuner bestimmte kfospitium.
Die Fremden werden, nach der alten kirchlichen Provinzial-
eintheilung, je nach ihrer Nation in verschiedenen Sälen em-
pfangen, z. B. Burgunder und Aquitanier u. s. w. Da sich
deutsche Wanderer so selten in diese kchhe verlieren, ist für sie
nicht besonders vorgesehen, und wir wurden in den Saal der
Franzosen geführt, nach ehrwürdig alter Klostergastfreundschaft
sofort ein Feuer im Kamin angezündet und ein wärmend feiner
Liqueur zum Willkomm dargebracht.
Nach Ruhe und Ausrastung der müden Glieder erschien der
päre Gdrdsime, dem die Sorge der Fremden obliegt, und brachte
in einer verschlossenen ksolzkiste, so wie sie jedem (Ordensbruder
mittäglich zum Schiebfenster seiner Zelle hineingereicht wird, unser
Mittags uahl: ein reichlich klösterliches diner maigre von Fischen,
Mehlspeisen, Eiern, köstlichen Südfrüchten und guteui wein.
Inzwischen zogen schwere Regenwolken über die Berge,
die Nebel wallten und spielten um die vergitterten — Fenster;
für uns Weltkinder, die seither nach genommener Mahlzeit in
einem meuschendurchwimmelten, gasflammenerleuchteten Lafö
am Rhonequai zu Lyon zu sitzen pflegten, war's ein düsterer Ein-
druck, jetzt im feuchten Klostersaal die Füße an's Kaminfeuer zu
strecken und das einförmige Plätschern der Springbrunnen im
Pose zu belauschen, das vom Schall dumpf auf die Dächer nieder-
schlagender Regentropfen melancholisch unterbrochen ward.
Der freundliche Kartäuser bot uns von freien Stücken
Nachtquartier im Kloster an und lud uns zu einem Rundgang
durch die weiten Gebäude ein. Die Klosterkirche hat über dem
Eingang zum Chor eine schöne Gruppe einer Pietä; — an den
wänden eines Korridors, der zum Kapitelsaal führt, waren die
Baurisse und Abbildungen sämmtlicher Kartausen der Lhristen-
heit zu sehen. Der pöre Gdrdsime, der aus unserer Sprache
die peimath errieth, zeigte, daß auch Deutschland mit einer
Kartause versehen sei, denn unter der Rubrik Germania fand
sich »Iningen in pago Thurgow« konterfeit; aber wir bedauerten,
ihm die Auskunft ertheilen zu müssen, daß der Kanton Thur-
gau seit einiger Zeit anfgehört habe, ein Bestandtheil des hei-
ligen römischen Reichs deutscher Nation auszumachen, und daß
nach der Behandlung, die den übrigen Klöstern im Land ksel-
vetien neuerdings zu Theil geworden, wohl kaum anzunehmen sei,
daß die Kartause Ittingeu sich noch im geistlichen Stand befinde.
Der Kapitelsaal, in welchem sich von Zeit zu Zeit die Su-
perioren sämmtlicher Klöster des Grdens zur Berathung gemein-
samer Angelegenheiten einfinden, enthält eine bedeutende Statue
des heiligen Bruno von der kunstreichen ksand Foyatiers, dessen
Spartacus wir schon im Museum zu Lyon gesehen; — um die
wände reiheil sich die Porträts der fünfzig ersten Drdensgenerale,
eine Sammlung von Köpfen, bei deren scharfem Ausdruck ein
physioguomiker viel lehrreiche Betradstungen über die Umpräg-
ung des menschlichen Antlitzes durch fortgesetzte Askese an-
stellen könnte.
Der ksauptschmuck des Saales aber sind die Kopien von
Eustach Le Sueurs berühmten Bildern aus dem Leben des
heiligen Bruno, deren Driginalien in Paris prangen.
Er hatte sich's nicht gedacht, der Meister Eustach, Simon
vonets farbengewandter Schüler, da er unte. den Mauern der
Kartause von Paris den Degen zog, um mit einem übermüth-
igen Edelmann einen Waffengang zu thun, daß er selber ein
Kartäuser werden und seinen Pinsel fortan zur Verherrlichung
des Grdensstisters führen werde... aber auch die Kunst hat
ihre gewiesenen Wege zur Einsamkeit und Askesis,
vom Kapitelsaal geht's in den großen Kreumang, in
welchen die Zellen der Mönche ausmünden; diese Zellen be-
finden sich nicht im Zusammenhang eines großen Gebäudes,
sondern eine jede ist ein selbstständiger Anbau, ein Häuslein
für sich, enthaltend zwei Gelasse, darin ein Raum zum Gebet
und ein Studirzimmer abgetheilt sind; im untern Stockwerk
^ D .
Robert Engels (München)
£in Gang zur großen Karfaufe
(Hus „Rcisebilder“ von V. Scheffel)
LMir standen vor dem Thore der grande Chartreuse, der
MZ großen Kartause, der wiege des strengen, stillen
Kartäuser-Brdens, darin jetzt noch über vierzig Vrdensmänner
in unwandelbarem Schweigen der Betrachtung göttlicher Dinge
ein asketisches Leben weihen. — Eine einsamere wildniß war
auch schwer auszusuchen, um von der Welt ungestört ein Asyl
der Lontemplation zu gründen. Don allen Leiten ragen senk-
recht die noch von vielem Schnee umhüllten Alpenwände empor,
reicher, gewaltiger Wald umschließt das Kloster und zieht stch
weit bis in die Berghöhen empor... und alles schweigt, nur
die Nachtigall in den Linden des Vorhofs ist noch kein Kar-
täuser worden und singt lustig und klagend ihr schmelzendes Lied.
Nachdem wir mit der schweren ehernen Klinke an's Thor
um Einlaß geklopft, that sich der Eingang der unheimlich schwei-
genden Klosterhallen auf, ein dienender Bruder in brauner Kutte
erschien und geleitete uns in das dem Empfang der Pilgers-
mäuner bestimmte kfospitium.
Die Fremden werden, nach der alten kirchlichen Provinzial-
eintheilung, je nach ihrer Nation in verschiedenen Sälen em-
pfangen, z. B. Burgunder und Aquitanier u. s. w. Da sich
deutsche Wanderer so selten in diese kchhe verlieren, ist für sie
nicht besonders vorgesehen, und wir wurden in den Saal der
Franzosen geführt, nach ehrwürdig alter Klostergastfreundschaft
sofort ein Feuer im Kamin angezündet und ein wärmend feiner
Liqueur zum Willkomm dargebracht.
Nach Ruhe und Ausrastung der müden Glieder erschien der
päre Gdrdsime, dem die Sorge der Fremden obliegt, und brachte
in einer verschlossenen ksolzkiste, so wie sie jedem (Ordensbruder
mittäglich zum Schiebfenster seiner Zelle hineingereicht wird, unser
Mittags uahl: ein reichlich klösterliches diner maigre von Fischen,
Mehlspeisen, Eiern, köstlichen Südfrüchten und guteui wein.
Inzwischen zogen schwere Regenwolken über die Berge,
die Nebel wallten und spielten um die vergitterten — Fenster;
für uns Weltkinder, die seither nach genommener Mahlzeit in
einem meuschendurchwimmelten, gasflammenerleuchteten Lafö
am Rhonequai zu Lyon zu sitzen pflegten, war's ein düsterer Ein-
druck, jetzt im feuchten Klostersaal die Füße an's Kaminfeuer zu
strecken und das einförmige Plätschern der Springbrunnen im
Pose zu belauschen, das vom Schall dumpf auf die Dächer nieder-
schlagender Regentropfen melancholisch unterbrochen ward.
Der freundliche Kartäuser bot uns von freien Stücken
Nachtquartier im Kloster an und lud uns zu einem Rundgang
durch die weiten Gebäude ein. Die Klosterkirche hat über dem
Eingang zum Chor eine schöne Gruppe einer Pietä; — an den
wänden eines Korridors, der zum Kapitelsaal führt, waren die
Baurisse und Abbildungen sämmtlicher Kartausen der Lhristen-
heit zu sehen. Der pöre Gdrdsime, der aus unserer Sprache
die peimath errieth, zeigte, daß auch Deutschland mit einer
Kartause versehen sei, denn unter der Rubrik Germania fand
sich »Iningen in pago Thurgow« konterfeit; aber wir bedauerten,
ihm die Auskunft ertheilen zu müssen, daß der Kanton Thur-
gau seit einiger Zeit anfgehört habe, ein Bestandtheil des hei-
ligen römischen Reichs deutscher Nation auszumachen, und daß
nach der Behandlung, die den übrigen Klöstern im Land ksel-
vetien neuerdings zu Theil geworden, wohl kaum anzunehmen sei,
daß die Kartause Ittingeu sich noch im geistlichen Stand befinde.
Der Kapitelsaal, in welchem sich von Zeit zu Zeit die Su-
perioren sämmtlicher Klöster des Grdens zur Berathung gemein-
samer Angelegenheiten einfinden, enthält eine bedeutende Statue
des heiligen Bruno von der kunstreichen ksand Foyatiers, dessen
Spartacus wir schon im Museum zu Lyon gesehen; — um die
wände reiheil sich die Porträts der fünfzig ersten Drdensgenerale,
eine Sammlung von Köpfen, bei deren scharfem Ausdruck ein
physioguomiker viel lehrreiche Betradstungen über die Umpräg-
ung des menschlichen Antlitzes durch fortgesetzte Askese an-
stellen könnte.
Der ksauptschmuck des Saales aber sind die Kopien von
Eustach Le Sueurs berühmten Bildern aus dem Leben des
heiligen Bruno, deren Driginalien in Paris prangen.
Er hatte sich's nicht gedacht, der Meister Eustach, Simon
vonets farbengewandter Schüler, da er unte. den Mauern der
Kartause von Paris den Degen zog, um mit einem übermüth-
igen Edelmann einen Waffengang zu thun, daß er selber ein
Kartäuser werden und seinen Pinsel fortan zur Verherrlichung
des Grdensstisters führen werde... aber auch die Kunst hat
ihre gewiesenen Wege zur Einsamkeit und Askesis,
vom Kapitelsaal geht's in den großen Kreumang, in
welchen die Zellen der Mönche ausmünden; diese Zellen be-
finden sich nicht im Zusammenhang eines großen Gebäudes,
sondern eine jede ist ein selbstständiger Anbau, ein Häuslein
für sich, enthaltend zwei Gelasse, darin ein Raum zum Gebet
und ein Studirzimmer abgetheilt sind; im untern Stockwerk