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Nr. 2

JUGEND

1902

Die Gedanken eines russischen Gardeoffizicrs K- saizmann (München)

»Fatale Geschichte das! Nun hat mir meine Frau schon wieder einen Jungen geschenkt. Wie leicht kann Einem das im Avancement schaden!

all meine Pläne waren zum Deiwel!.. Ich seh'
und — es kracht mir im Herzen was: ein blut-
junges Mädel, ein halbes Kind noch, schneeweiße
Wänglein ■.. Löckchen. ■ die Angcn — io groß...
guckt so hin ... und die Schulterchen zittern...
Und ans den Augen — da laufen nur so große,
große Thränen! .. .

„Da — packt mich Mitleid, und ich fang' an:
kche, kchc, kchel.. Und sie schreit auf: ,Wer ist
das? . . Wer? .. . Wer ist hier?!'.. Satt' sich
also erschreckt.. ■ Ich spring' nu auf die Füße und
sag': ,Das bin ich? — ,Wer — Sie?' spricht sie.
lind ihre Augen sind dabei — siehst Du — so
groß geworden, und der Leib zittert wie Gallert.
,Wer sind Sie?' spricht sie."

Jemeljan lachte.

„,Wer ich bin? ... Haben Sic nur keine Furcht
vor mir, Fräuleinchen, — ich thu' Ihnen nichts

zu Leide! Ich bin — sehen Sie — halt so ein
Mensch nur, — sozusagen — aus dem Regiment
der Barfüßler.. Jawohl — das bin ich.' Ich
log ihr also was vor, — könnt' doch nicht sagen:
,Sehen Sie, Fräuleinchen, ich Hab' mich ins Ge-
büsch versteckt, weil ich einen Händler todtschlagen
wollte!' Nu, und sie antwortet: »Alles,'sagt sie,
,ist mir ganz gleich, ich bin hierher gekommen, um
ncich zu ertränken!' Und ivie sie das nn so sagt,
da lünft's mir ganz eiskalt über den Rücken: so
furchtbar ernst klang's, Bruder! Was sollt' man
hier thun?"

Jemeljan fuhr hilflos mit den Armen in der
Luft herum und sah mich mit breitem, gutmüth
igem Lächeln an.

„Und da, mit einem Mal, fing ich an zu
sprechen. Wovon, — das weiß ich nicht; ich sprach
aber so, daß ich mich selber nicht satt hören tonnt',

— meist darüber, daß sie noch so jung und so
schön.. Und — schön — bei Gott! das war sie,

— wunderbar schön!.. Und — Liese hieß sie..
Also ich red' nu und red'. Und sie schnitt und schaut

— immer ernst und cineni grad in's Gesicht..
Und — mit einem Mal, Bruder — lächelt sie,

— lächelt — na, ich sag' Dir!" brüllte Jemeljan
über die ganze Steppe, mit Thränen in Stimme
und Augen, und schwang dazu die geballten Fäuste
in der Luft.

„Und wie sie so lächelt, da bin ich nu ganz
hin , und — bums I — vor ihr auf die Kniee:
.Fräuleinchen, sag' ich, Fräuleinchen!'.. Und —
weiter nichts i Und — sie, Bruder, nimmt meinen
Kopf zwischen ihre Hände, schaut mir grad in die
Augen und lächelt und lächelt — akkurat wie auf
cineni Bilde; und bewegt die Lippen, will was
sagen; da endlich kommt's 'raus und sie spricht:

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Karl Salzmann: Die Gedanken eines russischen Gardeoffiziers
 
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