Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 2

1902

„Habe nun, ach, Beharrlichkeit,
Verfassungsbruch und Nachgiebigkeit
Durchaus studiert im Schweiß des Gesichts
Und sehe: es nützt alles nichts."

Kleine zeitgenössische marterin

aut annoed Lebendige

von Kassian Kluibenscbcäl, Tuikelemsler

Unter dieses Freithoss Rasenplan

Har man den Joe Lhambcrlain hinabgcthan;

Da er auf Erden seine unterschiedlichen

Schurkerei»

Trotz Monokels niemals gesehen ein,
wolle der Herrgott ihm verleih»

In seiner Barmherzigkeit das ewige Liacht —
Vielleicht, daß er dann besser siacht.

Im Frieden ruht m dieser Gruft tief
Graf Zeppelin und sein Luftschiff —
Herr, gib ihm einen bessern wind,

Auf daß er fliegt zum Himmel g'schwind.

Sullp prudhomme hieß dieser Dichrcrgrcis,
Bei seinem Erdcnwallcn gewann er den

Nobelpreis,

weshalb, darüber war er selbst nicht ganz

im Klaren —

Vielleicht hat er cs inzwischen vom lieben

Herrgott erfahren.

. JUGEND .

Dreikönigstag

(6. Januar) Nach Goethe

Drei Könige, auf der Brust ihren Stern,

Die essen, die trinken und bezahlen nicht gern,
Sie essen gern, sic trinken gern,

Sic pumpen mit Wonne und bezahle» nicht gern.
Ich erster bin jung, ich komm' aus Madrid,
Ich Hab' schon ein großes Defizit,

Ein Defizit, wie 's noch niemals da.

Zu Hause regiert für mich meine Mama.

Ich zweiter, ich komm' aus Belgrad fern,
Ich habe das Silber und Gold so gern.

Den andern fehlt nur das Geld zum Zins,
Mir aber fehlt außerdem — ach — ein Prinz.
Ich endlich komm' aus dem Morgenland,

Ich brauche Geld und habe kein Pfand.

Ich bin verschuldet von hinten bis vorn
Und habe blos noch ein goldenes Horn.
Das sind die drei König', sind kommen ins Land,
In Sofia, da seufzet der Ferdinand:

Ach, wenn ich doch auch ein König wär'I
Ich Hab' ja auch so viel Schulden und mehr,
wir sind unser drei und sind nicht vier,
wir singen und ziehen von Thür zu Thür,
wo ist eine Bank, die freundlich und still
Unsere Anleihen aufnehmcn will?

Da wir keine Ochsen und Esel schaun,

Die uns auf Zinsen ihr Geld vertrau»,

So sind wir nicht am rechten Ort
Und zieh» unsres Weges weiter fort.

Frido

7mmer besser!

In der Klasse II t> einer Schule zu Wreschen
geben nur mehr vier Kinder im Religions-
unterricht deutsche Antwortl lieber kurz oder
lang wird es dann so weit sein, daß die deulschen
Kinder vom Katecheten geprügelt werden, wenn sie
nicht — polnisch antworten, vorausgesetzt,
daß man nicht endlich den betreffenden gewissen-
losen polnischen Hetzkaplan mit den Ohren
an die Schulthüre nagelt!

Lorbeerblatt

für die Schläfen des Herrn Biedermeier al) redlich
verdiente Anerkennung für seinen jeradezu jenial
jedichteten Jahreskalender

Rinder, nee — der Biedermeier!
wie der Mensch doch dichten dhut, —

Hätte ick blos seine Leier,

>tt, wie war' mir wohl zu llluth I
Morjens machte ick Jedichte
Uff'n nüchtern' Magen jleich,

Stoff: ejal — aus der Jeschichte
<vder aus'm Affenreich.

Mittags wieder ’tt Dutzend Strophen
Und als Nachtisch des Diners
Een'je so als Apostrophen
Hinjeworf'ne Reim-Baisers.

Abends wird jefeilt, jesichtet —

Js dann Allens klipp un klar,

Brief an Rcdaction jerichtet —:

„Bitte bald um's Honorar!"

Un so macht' ick's alle Dage,

Die der liebe Jott mir schenkt,

Dichten is ja keene Plage, —

Mancher dichtet, eh' er's denkt.

wie jesagt: Hält' ick die Leier,

Die ick einjangs schon jerühmt,

Nämlich die von Biedermeier, —

Steinreich wär' ick un berühmt!

In aufrichtijer Verehrung, insbesondere von
wejen des jöttlichen Maiensanges

Berlin, 27. Dezember 1901

Otto kugen Iseinkich

Heiteres Intermezzo im Rciebstag

Weibliche Stimme von oben: „Aber Eugen,
nu redest Du Dich wieder mit dem dummen Zolltarif
schwitzig und hast die Flanelljacke nich angezogcn!"

Die rioäten cles Sabres ,901

Die Friedensidee. Geboren im Jahre 1897
in der Nähe von Petersburg, machte sie in frühester
Jugend die Runde durch Europa, und erregte schon
stühzeitig die Aufmerksamkeit aller — Spaßvögel.
Schon als Säugling hafteten ihr mannigfache Ge-
brechen an, welche natürlich durch die Behandlung von
allerlei Kurpfuschern und Hebammen nicht gebessert
wurden. Namentlich litt sie au hysterischer Verlogen-
heit und chronischer Uebertreibung. Diesen beiden
Feinden einer gesunden Idee ist sie nun auch im
4. Jahre ihres jungen, hoffnungsreichen Lebens er-
legen. Friede ihrer Asche!

Die deutsch - österr. Gemeinbürgschaft.
Geboren zu Wien in den Tagen der Acra Badem,
entwickelte sie sich Anfangs kräftig und versprach,
eine Riesin zu werden, die sich der zudringlichen
Angriffe von slavischer Seite mit Leichtigkeit er-
wehreu könnte. Im Verlauf der Zeit aber zeigte
sich, daß ihre Constitution doch keine so kräftige war,
um die Stürme der Zeit zu überdauern. Immer
schwächer und schwächer werdend, gab sie im No-
vember dieses Jahres leider endgiltig ihren Geist aus.

Der englische Kriegsruhm. Er ward an
demselben Tage geboren, da General Buller die
erste Siegesnachricht heimsandte. Das Kind, das
sogleich bei seiner Geburt in Fachkreisen lebhaftes
Mitleid wachries, fristete seine erste Lebenszeit in
englischen Depeschen und Kriegsberichten. Am
Spionskjop erlitt der Knabe einen Schlaganfall,
von dem er sich nicht mehr recht erholen konnte.
Lange Zeit auf künstliche Weise erhalten, ward er
nach langem, qualvollem Leiden an dem Tage, da
General Buller sein Amt verlor, zu seinen Vätern
versammelt. II. I. D.i

Das Theater zum lieben Augustin. Viele
sind bei diesem Kinde in Zweifel, ob es früher ge-
boren oder gestorben sei. Wir neigen mehr der
Ansicht zu, daß die Geburt dem Tode vorausgc-
gangen. Das Licht der Welt erblickte es zwar nicht,
da es am Abend geboren wurde und in der Früh
bereits tobt war. Nichts best »weniger ries sein Er-
scheinen eine große Bewegung hervor, die man ge-
meinhin Gähnen nennt. Zwei und eine halbe Stunde
später war es dahingegangen. Die meisten der An-
wesenden schon bedeutend früher. K. I. P.i

Die Freiheit der Wissenschaft in Deutsch-
land. Geboren vor langer Zeit und durch sorg-
same Pflege stets srisch und gesund erhalten, begann
sie in den letzten Jahren das preußische Klima nicht
mehr zu vertragen. Durch allerlei Nadelstiche und
kalte Douchen von oben geschwächt, erlag sie schließ-
lich in Straßburg trotz der Bemühungen des Herrn
vr. Mvmmsen einer Blutvergiftung infolge eines
Spahns, den ihr römische Erbschleicher in's Fleisch
getrieben. Schade um sie!

Trara
Register
Frido: Dreikönigstag
Trara: Die Todten des Jahres 1901
Kassian Kluibenschädl: Kleine zeitgenössische Marterln auf annoch Lebendige
[nicht signierter Beitrag]: Immer besser!
Monogrammist Frosch: Doktor Faust-Körber
Arpad Schmidhammer: Zeichnungen zum Text "Kleine zeitgenössische Marterln"
Otto Eugen Heinrich: Lorbeerblatt
Monogrammist Frosch: Heiteres Intermezzo im Reichstag
 
Annotationen