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Nr. 3

JUGEND

1902

Das Bett

„Drum, wer eines hätte —

Und ginge nicht zu Bette,

Der wäre wirklich toll," 8, C.

(Aus den verlorenen Perlen deutscher Poesie)

schwarze Undankbarkeit! Ueber Gebühr schon sind angedichtet worden:

der Frühling, die Blumen, die Berge, das Meer, von der Liebe ganz
zn schweigen. Die kompakte Literatur-Majorität ist darüber einig, das;
uns die Liebe nur einmal im Leben ersreut, Blümelein erfreuen uns nur
die wenigen Wochen ihrer Blllthezeit, Meer und Gebirge sehen die Meisten
ost jahrelang nicht. Unser ganzes Leben lang jedoch erneut uns das von
allen Sängern vergessene Bett, Das Sopha haben ja in einer Literatur-
periode — die sonst auch noch mancherlei Unbequemlichkeiten huldigte —
manche Sänger preislich als „feingeschwungenes Lotterbette" oder so ähn-
lich erwähnt, auch den kausalen Zusammenhang seiner Existenz mit der
dichterischen Intuition nachgewiesen, so z. B, bei dem bekannten Kanapee,
von dem es heißt: „Die Seele schwinget sich, wohl in die Höh' juchhe!',
was aber ist ein derartig erbärmliches Gestell gegen das würdige Institut
des BetteS, in dem wir mehr als die Hälfte unserer Lebenszeit zubringen,
in dem wir zum Leben erwachen, in dem wir das Leben beschließen!

Im Bette haben die Menschen schon die besten Einfälle gehabt, und
viele Selbstbekenntnisse berühmter Männer lehren, daß sic einen großen
Theil ihrer Gedankenarbeit — wachend natürlich — im Bett geleistet haben,
Lenau lag stundenlang wach im Bett, rauchend und Kaffee trinkend, ans
diese Weise angeregt zum dichterischen Spiel der Phantasie, Jean Jacques
Rousseau erzählt in seinen „Confessions", daß es ihm jahrelang unmöglich
gewesen sei, anhaltend zu denken und anders als liegend zu diktircn. Sobald
er aufstand, so erzählt er, sei das Blut aus seinem Gehirn entwichen, sein
Gedächtnis; habe versagt, es sei ihm unmöglich gewesen, sich zn sammeln
und den Zusammenhang seiner Gedanken sestzuhalten. Nicht nur geistige
Arbeiter wissen zu erzählen, daß sie sehr oft des Morgens die glücklichsten
Inspirationen zu ihrem Schassen erhalten haben, auch praktische und nüch-
terne Naturen sprechen von gleichen Erfahrungen. Die Redensart: „Ich
will mal darüber schlafen," zeigt, das; nian dem Aufenthalt im Bett fast
immer die Klärung, die Lösung, die richtige Initiative zu danken hat.

Das Bett ersreut sich unserer aufrichtigsten Sehnsucht, unseres größten
Vertrauens, Was wir Niemanden sagen, vertrauen wir unserem stets
verschwiegenen Kopskissen an. Wir verlassen es überdies nur höchst un-
gern und empfinden es als persönliche Beleidigung, wenn man uns zu-
muthet, das Bett zeitiger zu verlassen, als es unbedingt nöthig ist. Es
ist unmöglich, so mit einem einzigen Hieb das vielgeliebte Bett gebührend
zn würdigen. Gott, was ist das allein für ein Genuß, beim Erwachen
nicht sofort aus dem Bett springen zu müssen! Das behagliche und ge-
mächliche Umwenden auf die andere Seite muß meiner Meinung nach der
Hauptthcil der zn erwartenden Seligkeitssreuden im Himmel sein. Welches
Hochgefühl, wenn man sich des Morgens, mit einem gönnerhaften Wohl-
wollen sich behandelnd, sagt: „Du darfst heute noch eine ganze Stunde
schlafen," Man legt darauf den rechten Arm unter den Kopf und zieht
mit der linken Hand die Decke ein wenig höher. Jetzt folgen einige
weitere herrliche Momente des reinsten, ungetrübtesten Glücksgefühls. Man
empfindet deutlich und mit Behagen, wie man nach und nach die Dis-
ciplin über seine Gedanken verliert, der eine dorthin ins Aschgraue, der
andere dahin ins Himmelblaue fliegt, und weiter — die Vorstellungen sinken
langsam unter die Bewußtseinsschwelle, die Begriffsbildung versagt nach
und nach, die Urtheilskraft geräth langsam aber sicher wie ein Karren
in den Sand, die Prämissen fliegen davon, man taucht in Lethes Wellen
unter — Haschisch — Seligkeit,

Und doch meldet „kein Buch, kein Heldcnsang" etwas Preisliches
vom Bett. O über diese unsagbare Undankbarkeit, die jedes Edlen Herz
erschüttern muß.

Die dramatische Literatur hat sich hier und da seiner erinnert und
man muß gestehen, daß dadurch die Wirkung auf das Publikum stets
eine ungeheuere war. Man hat immer beobachten können, daß das Pu-
blikum in Wärme und Stimmung kam, wenn es eines Bettes auf der
Bühne ansichtig wurde. Schon die alleinige Anwesenheit eines Bettes auf
der Szene söhnt die Zuhörer mit jeder Talentlosigkeit deS Dramatikers
aus und übernimmt an dessen Stelle die Erfüllung der Aristotcles'schen
Forderungen. Ich habe mal Musotte in einem reizenden Spitzenhemd
auf der Bühne im Bett liegen sehen, das Publikum war enthusiasmirt.
In einem aus dem Französischen übersetzten Ehebruchstück sah man letzt-
hin sogar ein zweischläfriges Bett auf der Bühne ausgestellt, das mit einem
sinnreichen Läutewerk versehen war, welches in Fällen ehelicher Untreue
läutete. In irgend einem Berliner Schmarrn, „Die kleinen Lämmer", sah
man den Schlafsaal eines Mädchenpensionats, ungefähr 20 Betten auf
offener Szene, in jedem derselben eine der Pensionärinnen. Diese Massen-
wirkung der Betten, diese öffentliche Ehrung einer Institution, die sich
um die Menschheit täglich die größten Verdienste erwirbt, die von jeher
unter allen Dingen am meisten von der Undankbarkeit zu leiden gehabt
und doch ihre segensreiche Wirksamkeit nicht geschmälert hat, war von
einer ergreifenden Wirkung aus das Publikum, Es war, wie eine feier-
liche, öffentliche Auszeichnung eines Verkannten, die Krönung der Be-
scheidenheit, Eine stille Rührung lag über dem ganzen Hause,

Max Hasen

flßiUtär-Bffecten

„Det ncie Corset hat mir mein Leitnant jeschcnkt!
Er hat rn Abschied jekriegt, nu braucht er't nich mehr!"

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Index
Max Hagen: Militär-Effecten
Hans Lokay: Das Bett
 
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