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JUGEND •

1902

Nr. 3 (Redaktionsschluss: 8. Januar 1902)

Der Jugendstil in der Politik

Motto: „Dank, Jude, daß Du mich
das Wort gelehrt."

Shakespeare, „Kaufmann von Venedig"

Graf Wolfs-Metternich, der küns-t
tige deutsche Botschafter in London, belome
bei feinem Abschied von Hamburg, wo er
Jahre lang preußischer Gesandter war, die
Nothwendigkeit, die guten Beziehungen zwü
schon Deutschland und England zu pflegen,
und sprach dabei die denkwürdigen Worteh
„Es scheint zwar eine neue Schule sich auf-
zuthun — Schule möchte ich es nicht nein
neu — sondern einige exaltirte Geister,
welche glauben, daß die althergebrachten
Beziehungen zwischen Deutschland und Eng-
land nicht weiter fortgeführt zu werden
brauchten. Diesem extravaganten
Jugendstil in der Politik'brauche
ich mich aber glücklicher Weise nicht anzU'
schließen."

Arme „Jugend!" Jetzt wirst Du gar!
für die extravagante Zickzacklinie ]
unserer Politik verantwortlich gemacht!
Als ob Dn Otto Eckmann und Reichs' :
kanzlcr in einer Person wärest, Ohm Krüger, ;
den glücklichen Besitzer eines Telegramms,
von Deiner Schwelle gewiesen, als ob D»
eine lex Heinze ausgeklügelt, eine Canal'
und Bolksschuk - Borlage eingebracht und
zurückgezogen und Dich im Zeichen des
Verkehrs als Agrarier aufgespiclt hättest. - •
Doch genug I Die Sprache ist zu ohn-
mächtig, unsere Politik im Jugend-
stil erschöpfend zu schildern. Der Herr
Botschafter wird die Ehre haben, sein großes
Wort, das er gelassen aussprach, vom Stifte
unseres Zeichners in der nächsten Nummerj
der „Jugend" illustrirt zu schauen.

Der neue Judas

(Noch ein Gedicht im extravaganten„Jugendstil", i

In einer Versammlung, die die Aktionäre
der De Beers-GeseUschast am 24. Dez. ab-
hielten, theilte der Vorsitzende mit, daß die
jährliche Diamanten-Ausbeute der Mine von
Kimberley einen Werth von z '/„ MiU.
pfd. Sterl. habe.

Für baarc 30 Silberlinge
Hat Judas einst den Herrn verrathcn.
Dann aber nahm er eine Schlinge
Und büßte seine Hcldenrhaten.

Für 3'/i Millionen Pfund
Verkaufte England seine Ehre. —
wenn ich nur wüßte, wo zur Stund'
Der stärkste Strick und Galgen wäre!

tlandalen der Wissenschaft

In Graz ist der Schädel Ro-
bert Hamerlings von Unbe-
rufenen aus dem Grab genommen
und auf die Anatomie verbracht wor-
den, wo er „gemeffen", in Gips ab-
gegossen wurde u. f. w.

Professor Dr. Franz v. Lenbach sieht sich zu energischer Verwahrung gegen die Reklame veranlaßt, zu welcher der
Impresario der Saharet seinen Ramen mißbraucht.

Seufzend ruft der Meister:
Meine Doch ist groß!

Die ich rief, die 6eister,
Aerd' ich nun nicht los!

Saharet, Du Schlanke,

Wie Du mich genierst!

Wie Du mich zum Danke
Dor der Weit biamirlt!

Malte manches Dutzend
Mal Dich ln Pastell.

Deinen stopf benutzend
Linfach als Modell!

Weil Du was scharmantes
hast in Deinem 6hic,

Weil Du was pikantes
hast in Deinem klick,

Draus ein wildes Zeuer
Dir beim Tanzen bricht —
Doch dem Herzen theuer
IDarlt Du weiter nicht!

Die an Deiner Ängel
hat mein Herz gezuckt,
Wenn im Tingeltangel
Ich Dich angeguckt!

Tieferes Int'reffe
hat mich nicht gelenkt,

.Hls ich aus Doblelfe
Dir Dein Bild geschenkt'—

Schreiend als Reklame
Zur die Saharet!

In gerechten Koller
Dringt mich endlich lo
Dein reklametoller
Impresario!

„Zn die Tcke, Delen —
Kobold, sei gebannt!

Und nun prangt mein Dame Sei, was Du gewesen,

Rm Isffichenbrett, kch ich Dich gekannt!

1.-L.-L.

Des Dichters Haupt aus seinem
Sarg gestohlen
Uerbrechen mehr schon, als

frivoler Spass! —
Und, ach, wozu? Sie wollten

sich das IDaass
Don seines ßeist’s verlass’ner

Wohnung holen!

Und solches wagt Ihr

Wissenschaft zu nennen?
Macht die das Herz so skrupellos
und kalt?

Geht! Hohle Schädel wenn’s

zu messen galt.
So hättet Ihr die eignen

messen können!

Franz

Her u- <1,(1 Dl- r.ronr, r.i: . n; • IYiY.i :!i n • F. v. OSTINI, Dr. S. SINZHEIMER, A. MATTHÄI, F. I.ANGHEINRICH. Für die Redaktion verantwortlich: Dr. S. SINZHEIMER.
(I HIRTH's Kunstverlag verantwortlich lür den Inseratenteil: G. EICHMANN, sümmtlich in München. Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung, München.

ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
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Trara: Die unverbesserliche Welt
[nicht signierter Beitrag]: Slavische Kulturbegründung
O. [Ostini]: Bülow über Chamberlain
Paul Rieth: Zeichnung zum Gedicht "Der Zauberlehrling"
L. L. L.: Der Zauberlehrling
O. [Ostini]: Der Jugendstil in der Politik
 
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