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Nr.

JUGEND

1902


Die gerade Magenlinie

Ais Vorzug des modernen Lor-
setts wird in allen Annoncen die
gerade Mageniinie gepriesen, die
jede Spur von „Leib" am weib-
lichen Körper siegreich vertilgt.

Für unsre Madel, fein und
schmal

Und schlank wie eine Pinie,
Giebr's jetzt ein Neues Ideal:
Die g'radc Magenlinie!

Ja, frei von allem Erdenwust,
will unser Mädel schweben.
Mit „g'rader Linie" —

welche Lust!
will ohne — Leib sie leben!

Und hätten unsre Mädel auch,
wie wir's bei Andern kennen,
An ihrem Rörpcr einen —

Leib,

Gemein wär's, ihn zu nennen.

Nie würde sie so ordinär
wie Goethe's Mignon klagen:
„Mein Eingeweide brennt so sehr!"
pfui, shocking, das zu sagen I

Nein, ohne Alles, keusch und rein,
will sic mit g'rader Linie
A» Tan; und Spiel sich harmlos freu'»,
wie Paul mit der Virginie.

Drum blüht die Tugend überall
I» unschuldsvollen Herzen.

Man möchte doch auf keinen Fall
Die „Linie" sich verschcrzcnll

Im Gcgcntheil; das neue Weib
will Höheres betreiben:

Es möchte ohne Unterleib
Ganz unbehelligt bleiben!

Fra n/iskn

A. Hirth

Cm Soldatenbmf

Lieber Franzi!

Indem ich dies; schreibe sitze ich in der Würth-
schasft zum goldnen Engel in R—bürg, weil mann
am sondag ausgehen kan wer will Ist treifirdelstund
zum lausen von der Kaserne. Aber morgen ist
wider einzcl marsch, wo ich vil schwitzen mus, aber
es hilit nichts den ich bin krum und ein kalb hat
der Herr leidnand gesagt bei die islruzionstund wo
ich nichts verstehe, er weis ales ohne Buch und
wird ober leidnand wo sehr vil ist. Dan kommt
der Hauptinan hat einen grosen goldnen Dahier
an einem schönen gelben band und er sitzt grosardig
aus und er wird ein major oder er stirbt sriher.
Dan gibt es noch genneral aber nicht bei uns weil
das seiden vorkomt und sind ale alt und könen nicht
mer lausen ist nadierlich und müsen reiten. Noch
ein oberscht ist da der ist das meisde und er ist ser
zornich. er hat mich gesragd wi ich Heise und ich
Hab nicht meinen Nahmen gcwist weil ich mich ge-
sirchd Hab. Dan hat der oberscht den Herr leidnand
geschinpfd wo aber nichts dafor kan und hat nichts
gesagd. hat mich aus die leuder naufgeschikd und
ich Hab imcr misen schreien ich Heise Alois Ripperl
und bin ein kammel das ist war weil ich meinen
Nahmen nicht nur gewist Hab der Herr scherschand
hat gesagd ich sol mich nur anfhenken das; hat kein
Werd und sagd so zu alle Reckrudn und henkt sich
keiner aus und brauchsd keine ankst haben. Solbad
sein is schön und wehr die Knie nicht durchtrikd wo
der genneral da ist hat 3 dag loch es grist dich
bestens Dein ,,,, . = „.

Alois Ripperl

Reckrud

Mäeatis . . . !

Langhingestreckt am Waldesrande liegen,

Das trunk'ne Auge in den Aether tauchen,

Was mir die Seele füllt, im Sied anshauchen,
Derweil der Geist fpazirt auf Wolkenzügen, —

Zuschauen, wie die vöglein zwitschernd stiegen,
Die Falter flirten, bunte Käfer krauchen,

Dabei 'ne importirte ilpmann rauchen
<£s gibt für mich kein größeres Vergnügen!

Ich kann, ich will, ich werd' es nie begreifen,
weßhalb die Menschen saure Mienen machen
Und nicht auf ihre Alltagssorgcu pfeifen.

Gesündres gibt's ja nicht als herz'ges Sachen..
Drnm hört auf mich, Pedanten ihr, ihr steifen,
Und lacht nur, lacht, daß euch die Rippen
krachen! ©tto gUgen Heinrich

Zeitgemäss

(Ein Herr, der sich auf einem Schiff nicht zu-
recht zu finden weiß, sagt dem Steward seine
Nummer und bittet ihn, ihm seine Kabine und
sein Nett anzuweisen. Der Steward kommt diesem
Wunsche bereitwilligst nach. In der Kabine an-
gclangt, sagt er verbindlich, nach oben zeigend:
„Der Herr schlafen in diesem Ueberbcttl."

„Du, die Hausfrau kommt mir so sonderbar vor!"
„Mir auch; ich glaub' die hält uns gar nicht für Lorps-
studenlen, weil wir immer bezahlen."

Oer reichste ^ürst

Frei nach Zii5tilIU5 Kerner

Das Zürftenthum Reuß ä. L., das Herzogthum
Sachsen-Altenburg und das Zürstenthum Liechtenstein
sind di- drei einzigen Staaten, die keine Staatsschulden
haben.

Preisend mit viel schönen Reden
Ihren wohlregierten Staat
Saßen jüngst drei deutsche Fürsten
Froh bei einem Männerskat.

„Herrlich," sprach der Altenburger,

„Ist ein Land, das schuldenfrei,

Dessen Bauern einzig fragen,
wo der ält'fte Wenzel sei."

Feierlich als Zweiter sprach die
2lclrrc Linie von Rcuß.

„Endlich ist getilgt die Schmach, die
wir erlitten durch den prcuß'.

Reine fremden Hypotheken
Fressen mein Dominium.

Nur in Märchen geht bei uns noch
Der Gerichtsvollzieher um."

„Auch bei mir herrscht Steuerfreiheit
Lacht der Burgherr von Vaduz,

„weil ich selber alles zahle,
was ich brauche und verputz'l

Aber nicht, wie der da, ächz' ich,

Bis ich selber lahm und siech.

Nein, seit Anno scchsundscchzig
Führ ich stets mir Preußen Krieg.

Und doch Hab' ich — Gottes Wunder!
Das begreife mir, wer's kann! —

In den fünfunddreißig Jahren
Nicht verloren einen Mann!"

„Hei!" rief da der Altenburger,

Und der Rcußc seufzte: „Ach!

Liechtenstein! Ihr seid der Reichste;

Denn das.macht Euch keiner nach!"

Cri-Cri

lüas ist der Mensch im modernen Drama ?

Ein Schurke, wenn er ei» Fabrikant ist; ein
Cavalier, wenn er ein Arbeiter ist; ein Idiot,
wenn er ein Bureauchef ist; dumm, wenn er ein
Gutsbesitzer ist; untreu, wenn er eine junge Frau
ist; ein niederträchtiger Kerl, wenn er ein
Oberlehrer ist; ein Engel, wenn er ein Unter-
lehrer ist; ein Genie, wenn er besoffen ist; ein
Charakter, wenn er vorbestraft ist; unehelich,
lveii» er geboren wird. Trara

Hacbruf

Weh! Italien will sich von uns trennen,

Sich zum Dreibund nimmermehr bekennen,

Der so lange treu zusammenstand!

Wer wird künftig uns Kastanien braten,
Scheeren schleifen, wie so viele thaten,

Die herbeigereist aus jenem Land?

Wer wird als Modell hernach fungieren,
lind mit Gipsabgüssen noch hausieren,

Mit Granschi und mit Haselnuß?

Wer wird noch in unfern Höfen singen,
Küchenfeen ein süßes Ständchen bringen,
wirft man runter einen Gbolus?

wer wird künftig Hiegelsteine formen
Aus dem Lehm nach den bekannten Normen
So in Zamdorf wie in Berg am Laim?
lind was werden unsre Arbeitslosen sagen,
wenn sie sich nun plötzlich müssen plagen, '
Weil die Italiani ziehen heim?

J. it. s.
Index
Cri-Cri: Der reichste Fürst
Walter Caspari: Corpsstudenten
Otto Eugen Heinrich: Rideatis!
J. B. S.: Nachruf
Arthur Hirth: Illustration zum Text "Die gerade Magenlinie"
Franziska: Die gerade Magenlinie
Trara: Was ist der Mensch im modernen Drama?
[nicht signierter Beitrag]: Ein Soldatenbrief
 
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