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Nr. 8

JUGEND

1902

Die Fährte führt zu einer braunen pütte im
Waldthal, ein Stadel daneben, aus dessen offener
Thüre sommerliche Düfte wehen; und der Mensch
mit dem schwarzen Bart füllt die ringsstehenden
Rauffen mit rauschendem £}eu. Wildfährten. die
kreuz und quer.

Wendl ist's, der Jäger.

Dben in den pängen zwischen den Bäumen
harren schon da und dort zaghaft die Gäste.
Wendl, der Schreck des Gethiers, ist zum fürsorg-
lichen Wirthe geworden, und „Stuck" und pirsch
sehen arglos auf ihn herab, dessen Fährte sie sonst
schon mit Entsetzen erfüllt. Das ist das pöchste
der Schneefriedenwunder.

Die Rauffen sind gefüllt, Wendl holt einen
gefüllten Sack und sät klappernd die braunen
Kastanien auf den Schnee.

Das ist das. Zeichen! Oben im Wald wird's
lebendig. Graue Köpfe erscheinen, verschwinden,
ein Geweih taucht auf, ein Mntterstück mit dem
Kalb tritt heraus. Das vertrauen kämpft mit
dem Instinkt, — Schritte vor, — zurück — dann
saust die ganze Lalvacade herab, Alt und Jung;
prallt zurück; drängt wieder vor. pälse recken
sich, Augen funkeln lüstern, und ringsum regt
sich's im lvald; ganz im pintergrund die Geweih-
träger, die ewig bedenklichen, die geheimnisvollen
Schleicher des Sommers, ihres werthes sich bewußt
gegenüber der kahlen Schaar.

Lin Mutterthier macht den Anfang; nun ist
alle Scheu vergessen, eiü Drängen und Stoßen
beginnt um die Rauffe, — die Kastanien krachen.
Da kommen die perrn der Schöpfung herab, gra-
vitätisch das Geweih ausgeladen, pinein auf den
Platz. Lin Blick ringsum genügt, ein drohendes
Menden des Pauptes. Weibsvolk und Jugend
drängt sich zusammen und harrt der Gewaltigen.

Die Kastanien werden aufgeknappert, um die
Letzten klappern die Geweihe, sausen die Läufe;
dann werden die Rauffen von dem Pack gesäubert,
das peu herausgeriffen, zerstampft, nur dann und
wann wagt schüchtern ein Stück, auf zarte Er-
innernng an die perbsttage hoffend, Annäherung,
dann und wann auch mit Erfolg.

Der Zwölfer läßt sich sogar zu einem koketten
Spiel mit dem Geweih über den Rücken der Dame
herbei. Er hat mit ihr schwüle Nächte verlebt,
weit von hier auf der Steinalm. Er streckt den


fi erzen

s zieht mich nach dem Rund im Sorten hin:
Dort ist ein Mätzchen für verträumten Sinn.
Dorf steht geduldig eine alte Rinde,

Unzählige fierzen in der rauhen Rinde

Verliebte schnitten sie, recht zierlich, klein;
Buchstaben, Damen Icklietzt ein jedes ein.

Die einen sind vom Sturm verwischt, verwittert,
Dieweil noch junge Slut in andern zittert. —

Du bist Setckickte, Baum, für Lceid und Rust!
Ein Berz noch fehlt. Das schlägt in meiner Brust.

Sch schneid es ein, o Baum! Dickt um zu spielen!
Sch schneide tief. Sa, tief. Du mutzt es fühlen.

titeln Berz um alle! Seder Snfchritt blotz!

Wie meine Riebe: grotz und namenlos.

hans Kudorff


P. Haustein (München)

ödUdfüttming!

^Mndlich Ruhe. — Ruhe des Grabes für den
S£2 Eulturmenschen, der die weise Rast der Natur
nach schwerer Arbeit und ihre daraus erblühende
ewige Jugend sich nicht zum Beispiel nehmen will
und kann. —

Pei, thät das gut, wenn sie einmal nur auf
einige Monate obligat gemacht werden könnte, für
die ganze Sing-, Sang-, Denk-, Mal-, Spiel- und
Arbeitswelt! Gäb das eine Auferstehung, neuen
kraftvollen Schaffensdrang, frisch kreisendes Blut
in Adern und pirn, frohes Genießen und klares
verstehen.

Der Schnee ist der wahre Gleichmacher, und
damit der beste Friedensbringer. Aller Unfried
kommt von der Ungleichheit. Der Stärkere erdrückt
den fruchtlos ringenden Schwächeren, der Große
überschattet den nach Licht und Luft strebenden
Kleinen, das freche Roth schlägt das bescheidene
Blau.

Mit all dem ist es jetzt glücklich zu Ende.
Die weiße Last löscht jede Farbe, Ringen und
Streben; und wenn die Sonne scheint, glitzert
Alles in gleichmäßig eitlem Prangen, die stolze
Tanne und der bescheidene Strauch, der morsche
Strunk und der jüngste Sprößling.

Dabei jeder Form die pärte genommen, allem
Spitzen und Stachlichen, Eckigen, Rauhen, jede
Kampfspnr verwischt, jeder Bruch, das Steingeröll
im Graben, der zerzauste Windwurf, alles weich,
rund — selbst der Schall, der zarteste Widerstand
ist gebrochen. Es schweigt der Bach. Der rastlose
Fall. Der Wald ist erlöst vom Daseinsdrang —
Nirwana. —

Da kommt ein Mensch dahergestapft durch die
Stille. — Jetzt wird's bedenklich: Und eine Büchse
hat er am Rücken und der schwarze Bart, die
Raubthieraugen! Aus mit dem Nirwana. — Irgend-
wo lauert Leid und Tod. Blutiges Begehren zieht
die tiefe Furche durch die große Stille.

Wie plump die Spur. Was muß sich das Reh
dazu denken mit seiner zierlichen Schneeschrift, —
der pirsch mit seinen kühnen Fluchten, der Fuchs
erst, der Jagdcollege mit seinen Silberschnüren,
und der Marder, der kaum den Schnee berührt —
Ist das ein Rüpel! Wenn der seinen dicken Kopf
nicht hätt', mit den häßlichen Stummeln thät er's
wohl nicht machen.

buschigen pals vor, als müsse er den Brunftschrei
ertönen lassen.

Dagegen ist der windige Achter daneben voll
Brutalität, und theilt rechts und links seine piebe
aus, als habe er noch nie von dem Geschlechte
Liebes genossen.

Spießer balgen sich bubenhaft, während das
Schmalthier in bescheidener Grazie mit jedem Ab-
falle zufrieden ist. Wie auf dem Futterplah des
Lebens — der Stärkere behält Recht — ein rück
sichtsloses Stoßen und Drängen; üre-toi, que jo
m’y melle >

Nur hoch oben im Wald steht Einer mit
mächtigen schwarzen Stangen, sieht hochmüthig
herab, wirft das stolze Paupt zurück und ver-
schwindet wieder. Der Wendl kennt ihn wohl, er
macht's immer so seit Jahren, und nie noch kam
er an die Rauffe. Ein Einziger, ein Eigener.

Blicke fliegen hinüber zum Fenster, hinter dem
Wendl schmunzelnd seine Gäste beobachtet.

Mancher kennt den verdächtigen Wind, vor
dem er schon so oft ausgerissen. Ganz sauber
ist's doch nicht mit der Freundschaft; und steigt
einmal der Gedanke auf, ist's aus mit der Ruhe.
Die Geweihten drücken sich, die Stärksten voraus.
Immer rascher wird ihr Gang, bis er zuletzt in
wilde Flucht übergeht.

Das Pack bleibt zurück und macht sich nun
behaglich breit, bis die letzte Rauffe geleert.

Fragende Blicke nach Wendl, ob nichts mehr
gereicht wird, dann zieht es in langsamem Be-
hagen dem Walde zu, jedes auf seinen wegen.

Das letzte Stück mit seinem Kalb sieht noch
staunend auf den Lichtstrahl, der aus der braunen
pütte bricht, — seltsames wesen der Mensch! —
unheimlich!

Es stößt einen rauhen Ton aus und enteilt
in hohen Fluchten, gefolgt von seinem Kleinen.

Drinnen am perdfeuer sitzt der Wendl und
schmaucht seine Pfeife.

A seltsam's Viech, das Wildprett, — voller
Muck'n! —

Sie werden sich nie ganz verstehen die Zwei.

Das Licht erlöscht.. Zwischen den schwarzen
Fichten steigt der Mond herauf.

Lin Fuchs schnürt über den Futterplatz.

Mton VON Perfall

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Register
Hans Rudorff: Herzen
Paul Haustein: Gedichtrahmen
Anton Frh. v. Perfall: Wildfütterung!
 
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