Kinderniß-Rennen Ma* Feldbauer (München)
Jockey: „Goddam! So muß es 'ueni Reichskanzler zu Muthe sein — wenn er fliegt I
„Amanda, nehmen Sie den Korb; Sie müssen
was zum Mittagessen einholen/'
„Jawohl, Frau Appelschnut!"
„Ich heiß doch nich Appelschnut, ich heiß doch
Frau Schmidt! I"
„Ach ja, richtig! Was soll icki denn holen,
Frau Schmidt?"
„Jucker."
„Wieviel?"
„Für swanzig Mark."
„Ist das nicht etwas viel?"
„Na ja, für'n Fennig!"
„Ist das nicht etwas wenig?"
„Vater, sag mal, wieviel!"
„Ich heiß doch nicht .Vater', ich heiß doch
, Amanda' I"
„Ach Vaa—te—r-III"
„Na ja: also für 50 Pfennige."
„Ja."
„Und was soll ich sonst noch holen?"
„Bonbons."
„Wieviel?"
„Für tausend Bijoncn Mark."
Frau Schmidt hat nämlich vier Zahlvorstell-
ungen: Eins, zwei, drei und „tausend Billionen."
Sie gebraucht zwar auch andere Zahlen; aber bei
denen denkt sie sich nichts. Wenn sie ein größeres
Quantum bezeichnen will, so sagt sie „tausend
Bijonen". Das ist das liebe, ewige Märchen
„Selige Kindheit" oder „Mit drei Schritten in der
Unendlichkeit." Frau Schmidt läßt aber mit sich
handeln.
„Für tausend Billionen Mark Bonbons ist zu
viel. Da kriegen Sie Leibschmerzen, Frau Schmidt."
„Für wieviel denn?"
„Für fünf Pfennige."
„O ja!!"
„Was soll ich sonst noch holen?"
„Mehr nich."
Das heutige Diner umfaßt also Zucker und
Bonbons. Angenehme Aussichten.
In diesem Augenblick zerflattcrt Roswithas
hausfrauliches Phantasiespiel in Nichts; denn ein
großer, blankpolicrtcr Gegenstand ist ihr ins Auge
gefallen und hat für den Augenblick die Jntercsscu
der Mutter und Hausfrau verdrängt. Es ist die
„Bimm-Kommode."
Wer die kindliche Etymologie weniger oft stu-
diert hat als ich, ist sich im ersten Augenblick
vielleicht nicht ganz klar über die Bedeutung des
Wortes „Bimm-Kommode." Als der schon einmal
erwähnte männliche Erbe meines Namens noch
im Baby-Röckchen am Fenster zu sitzen pflegte und
von den Dingen der Welt mit dem Staunen der
mehr und mehr erwachenden Seele Kenntniß nahm,
da sah er eines Abends in der Dämmerung einen
Mann daherkommen, der ein kleines Licht auf einer
Stange trug, und der Mann steckte das kleine Licht
einen Augenblick in eine Lampe hinein, die auf
einem eisernen Pfahl stand, und mit einem Male
brannte die Lampe ganz hell! Das ist der Licht-
mann, sagte sich Erasmus. Und eines anderen
Tages kam ein großer, blitzender Ring daherge-
laufen und ein kleinerer dahinter, und oben saß
ein Mann, der mit den Beinen strampelte. Das
ist ein Ringroller, dachte der kleine Weltrcisende,
und was er dachte, sagte er auch. Und einmal
kam ein Wagen mit zwei Pferden daher, und auf
dem einen Pferde saß ein Mann, der hatte einen
Stock in der Hand, und au dem Stock war eine
Schnur, und wenn der Mann mit dem Stock iu
die Luft hieb, dann knallte es! Ein Knallstock,
sagte Erasmus. Und so rief Appelschnut eines
Tages, als sie einen Star in den Starkasten
schlüpfen sah: „O tuck mal, Mamma, der süße
kleine Vogel is in sein Vogelstall gegingt —
gegangt — gegungt I" und als sie eines Tages
eine Kommode sah, die, wenn man ste aufmachlc,
eine Menge weißer und schwarzer Zähne zeigte
und „Bimm — bimm" machte, wenn man ihr auf
die Zähne schlug, da taufte sie das Klavier mit
feierlichem Entzücken auf den Namen „Bimm-
Kommode."
Appelschnut will also musizieren. Ich lege die
Nibeluugen-Tetralogie auf den Klavicrstuhl und
setze sie oben drauf. Sie schlägt ein Dutzendmal
dieselbe Taste an und bemerkt, das sei „O Tannen-
baum." Dann erklärt sie, das Lied vom „Hänschen
klein" spielen zu wollen — es bewegt sich genau
innerhalb desselben Tonumfangs. Ich uiache sie
darauf aufmerksam, daß auch die schwarzen Dingel-
Musik von sich geben. Sie spielt jetzt sehr chroma-
tische Sachen. Allmählich kommt sie dahinter, daß es
noch mehr Spaß macht, wenn man die ganze Hand,
und noch mehr, wenn man beide Hände nimmt und
damit so viele Zähne niederschlägt, wie möglich.
Aber sie fühlt, daß an dem Vergnügen noch etwas
fehlt, und jetzt fällt's ihr ein: Die Noten!
„Pappa, nu muß ich auch dabei lesen, nich?"
„Ja richtigl Das ist ja die Hauptsache!"
Ich hole den dritten Band von Beethovens
Sonaten her und schlage ihn auf: Op. 106, Sonate
für Hammerklavier. Also los.
Im Notenlesen beschämt sie den gewiegtesten
Partiturcnleser. Immer nach drei Schlägen auf's
Klavier schlägt sie um.
„Pappa, nu muß Du auch sing'n!"
Wenn man bedenkt, daß das gereizte Talent
des Kanarienvogels sich schon seit zehn Minuten
in einem wahnwitzigen Geschmetter Luft macht,
so wird man begreifen, daß hier die Vaterliebe
ihre Grenze findet. Ich weiß, was sie auf andere
Gedanken bringt.
„Appelschnut, woll'n wir Bilder besehen?"
Im selben Augenblick rutscht sie mitsamt der
Tetralogie vom Stuhl und etabliert sich auf dem
Fußboden. (fortt«tZMifl folgt)
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Jockey: „Goddam! So muß es 'ueni Reichskanzler zu Muthe sein — wenn er fliegt I
„Amanda, nehmen Sie den Korb; Sie müssen
was zum Mittagessen einholen/'
„Jawohl, Frau Appelschnut!"
„Ich heiß doch nich Appelschnut, ich heiß doch
Frau Schmidt! I"
„Ach ja, richtig! Was soll icki denn holen,
Frau Schmidt?"
„Jucker."
„Wieviel?"
„Für swanzig Mark."
„Ist das nicht etwas viel?"
„Na ja, für'n Fennig!"
„Ist das nicht etwas wenig?"
„Vater, sag mal, wieviel!"
„Ich heiß doch nicht .Vater', ich heiß doch
, Amanda' I"
„Ach Vaa—te—r-III"
„Na ja: also für 50 Pfennige."
„Ja."
„Und was soll ich sonst noch holen?"
„Bonbons."
„Wieviel?"
„Für tausend Bijoncn Mark."
Frau Schmidt hat nämlich vier Zahlvorstell-
ungen: Eins, zwei, drei und „tausend Billionen."
Sie gebraucht zwar auch andere Zahlen; aber bei
denen denkt sie sich nichts. Wenn sie ein größeres
Quantum bezeichnen will, so sagt sie „tausend
Bijonen". Das ist das liebe, ewige Märchen
„Selige Kindheit" oder „Mit drei Schritten in der
Unendlichkeit." Frau Schmidt läßt aber mit sich
handeln.
„Für tausend Billionen Mark Bonbons ist zu
viel. Da kriegen Sie Leibschmerzen, Frau Schmidt."
„Für wieviel denn?"
„Für fünf Pfennige."
„O ja!!"
„Was soll ich sonst noch holen?"
„Mehr nich."
Das heutige Diner umfaßt also Zucker und
Bonbons. Angenehme Aussichten.
In diesem Augenblick zerflattcrt Roswithas
hausfrauliches Phantasiespiel in Nichts; denn ein
großer, blankpolicrtcr Gegenstand ist ihr ins Auge
gefallen und hat für den Augenblick die Jntercsscu
der Mutter und Hausfrau verdrängt. Es ist die
„Bimm-Kommode."
Wer die kindliche Etymologie weniger oft stu-
diert hat als ich, ist sich im ersten Augenblick
vielleicht nicht ganz klar über die Bedeutung des
Wortes „Bimm-Kommode." Als der schon einmal
erwähnte männliche Erbe meines Namens noch
im Baby-Röckchen am Fenster zu sitzen pflegte und
von den Dingen der Welt mit dem Staunen der
mehr und mehr erwachenden Seele Kenntniß nahm,
da sah er eines Abends in der Dämmerung einen
Mann daherkommen, der ein kleines Licht auf einer
Stange trug, und der Mann steckte das kleine Licht
einen Augenblick in eine Lampe hinein, die auf
einem eisernen Pfahl stand, und mit einem Male
brannte die Lampe ganz hell! Das ist der Licht-
mann, sagte sich Erasmus. Und eines anderen
Tages kam ein großer, blitzender Ring daherge-
laufen und ein kleinerer dahinter, und oben saß
ein Mann, der mit den Beinen strampelte. Das
ist ein Ringroller, dachte der kleine Weltrcisende,
und was er dachte, sagte er auch. Und einmal
kam ein Wagen mit zwei Pferden daher, und auf
dem einen Pferde saß ein Mann, der hatte einen
Stock in der Hand, und au dem Stock war eine
Schnur, und wenn der Mann mit dem Stock iu
die Luft hieb, dann knallte es! Ein Knallstock,
sagte Erasmus. Und so rief Appelschnut eines
Tages, als sie einen Star in den Starkasten
schlüpfen sah: „O tuck mal, Mamma, der süße
kleine Vogel is in sein Vogelstall gegingt —
gegangt — gegungt I" und als sie eines Tages
eine Kommode sah, die, wenn man ste aufmachlc,
eine Menge weißer und schwarzer Zähne zeigte
und „Bimm — bimm" machte, wenn man ihr auf
die Zähne schlug, da taufte sie das Klavier mit
feierlichem Entzücken auf den Namen „Bimm-
Kommode."
Appelschnut will also musizieren. Ich lege die
Nibeluugen-Tetralogie auf den Klavicrstuhl und
setze sie oben drauf. Sie schlägt ein Dutzendmal
dieselbe Taste an und bemerkt, das sei „O Tannen-
baum." Dann erklärt sie, das Lied vom „Hänschen
klein" spielen zu wollen — es bewegt sich genau
innerhalb desselben Tonumfangs. Ich uiache sie
darauf aufmerksam, daß auch die schwarzen Dingel-
Musik von sich geben. Sie spielt jetzt sehr chroma-
tische Sachen. Allmählich kommt sie dahinter, daß es
noch mehr Spaß macht, wenn man die ganze Hand,
und noch mehr, wenn man beide Hände nimmt und
damit so viele Zähne niederschlägt, wie möglich.
Aber sie fühlt, daß an dem Vergnügen noch etwas
fehlt, und jetzt fällt's ihr ein: Die Noten!
„Pappa, nu muß ich auch dabei lesen, nich?"
„Ja richtigl Das ist ja die Hauptsache!"
Ich hole den dritten Band von Beethovens
Sonaten her und schlage ihn auf: Op. 106, Sonate
für Hammerklavier. Also los.
Im Notenlesen beschämt sie den gewiegtesten
Partiturcnleser. Immer nach drei Schlägen auf's
Klavier schlägt sie um.
„Pappa, nu muß Du auch sing'n!"
Wenn man bedenkt, daß das gereizte Talent
des Kanarienvogels sich schon seit zehn Minuten
in einem wahnwitzigen Geschmetter Luft macht,
so wird man begreifen, daß hier die Vaterliebe
ihre Grenze findet. Ich weiß, was sie auf andere
Gedanken bringt.
„Appelschnut, woll'n wir Bilder besehen?"
Im selben Augenblick rutscht sie mitsamt der
Tetralogie vom Stuhl und etabliert sich auf dem
Fußboden. (fortt«tZMifl folgt)
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