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1902

JUGEND

Nr. 19

Dutta

von 0. v. Hcaulieu

ÄSJteine erste Bekanntschaft mit Dutta Rebbecke
veranlaßte eine sonderbare Angelegenheit,
Ich wohnte in dem Bause, wo Dutta's Eltern,
um den Berliner Ausdruck zu gebrauchen, Portiers
waren; ich wohnte Gartenhaus, vier Treppen, sie,
Vorderhaus, Keller. Räumlich hatten wir also
wenig Annäherung. War cs nun meine Eigen-
schaft als Geschichten - Schreiberin, was ihr sol-
ches vertrauen einflößte, genug, eines Abends,
während Mutter Rebbecke „den Gas" anzündete,
fragte sie mich in einer wichtigen Angelegenheit
um Rath.

Dutta wollte auf einen Maskenball gehen mit
Bekannten und möchte doch Jemanden haben, der
das verstände und ihr dabei hülfe. „Als Was
soll sie da gehen," fragte Frau Rcbhecke mit ernster
Miene und runzelte die Brauen.

Wenn Leute aus dem Volke sich vergnügen
oder sich vergnügen wollen, so setzen sie stets eine
feierliche, traurige Miene auf. ^

Ich runzelte ebenfalls die Stirne und sann.

„Wir dachten schon an die Schwestern Barrison
und da wollten wir mal fragen, ob Lona Barrison
einen Pompadour in der pand tragen muß. Das
könnte Dutta ja denn auch thun, wir müßten aber
noch den Pompadour borgen. Da Sie so Einen
haben ... das Kleid von Lona Barrison borgten
wir uns schon," fügte jze schnell hinzu, als sie
mein Gesicht beobachtete.

Nun habe ich die Schwestern Barrison zwar
niemals gesehen, aber ich entschied, daß ein Pom-
padour zu der Rolle gehöre und lieh ihr den
meinen.

Das legte den Grund zu meinen zarten Be-
ziehungen z» Rebbeckes.

Eines Tages erschien Mutter bei mir, mit
einer großen, weißen Schürze angethan. Diese
feierliche Wichs bedeutete etwas Wichtiges, und
in der That, Mutter machte einige Redensarten
über die hohen Kohlenpreise, das greuliche Schmntz-
ivetter, welches den pof cinsane (ich kann nicht da-
für, so sagte sie), dann kam sie mit der Sprache
heraus.

vorher muß ich aber noch Vaters Stellung in
der Familie berühren. Er ist ein städtischer Be-
amter. Das kann Alles bedeuten, vom Nacht-
wächter bis zum Dbcr-Bürger»leister, darum wird
der Ausdruck von den unteren Beamten mit Vor-
liebe angewandt. Sie sonnen sich dadurch mit in
dem Glanze der pöhcren. Den Tag über ver-
weilte perr Rebbecke nicht zu Pause, Mutter war
daher im Pause, wie auch sonst, die leitende Per-
sönlichkeit.

„Ja, was ich sagen wollte," Hub sie an, „nil
ist Dutta siebzehn, und was der perr ist, mit dein
sie radelt, scheint doch nicht reell zu sein. Reizend
sieht ja der Balg aus dem Rad aus mit der Affen-
jacke (sie meinte Zuaven-Iacke) und den Pludcr-
höschen. Aber Ernst macht e r nicht und so wird
wohl nichts aus dein peirathen werden." Während
Frau Rebbecke pof und Treppe scheuerte und sich
plagte, flitzte Jungfer Dutta mit einer männlichen
Bekanntschaft ans dem Rad umher, und Mutter
fand das ganz in der Drdnung.

„Und da dachte ich mir," so fuhr sie fort,
„Dutta sollte was lernen. Das muß doch ein
Jeder, nicht wahr?"

„Lernen kann nie schaden."

Ich hatte mich so in die Rolle des Rebbeckc-
schen Familien-Orakels gefunden, daß ich meine
Behauptungen mit der nöthigen Feierlichkeit und
Würde losließ. Cb diese Behauptungen aber
immer richtig waren, ist mir später zweifelhaft
geworden.

„Was sagen Sie zu Buchhalterin? Cder sonst
Was bei Tietz oder Wertheim?"

„Märe es nicht besser, ivenn Ihre Tochter eine
Stellung in einer Faiinlic annähme?" Mit den
Worten wollte ich zart ausdrücken, ob sie nicht
Dienstmädchen werden möchte.

Mutter Rebbecke setzte eine beleidigte Miene
ans, was sich erwarten ließ. Für sich selbst war
ihr keine Arbeit zn viel, ihre Tochter dagegen
durfte sich nicht die Finger naß machen. „Dafür
ist mir mein Kind doch z» schade, anderer Leute
Schmutz weg zu bringen," sagte sie spitz.

Ich merkte deutlich, meine Stellung, als Fa-
inilien-Drakel, war stark erschüttert, wenn es mir
nicht gelang, auf der Stelle einen Einfall zn haben.
Mein Ehrgeiz, einmal geweckt, ließ mir keine

Ruhe, „vielleicht Masseuse," schlug ich vor, „da-
bei verdient sie viel Geld."

„Das wird, seit Sternberg, kein anständiges
Mädchen." Frau Rebbecke verrieth mit diesem
pinwcise auf den berüchtigten Skandalprozeß, daß
sie ihre Zeitung mit Nutzen gelesen habe.

„vielleicht Empfangsdame in einem photo-
graphischen Atelier." „Empfangsdame!" Ich sah
ihr an, schon das Wort gefiel ihr.

„Ja, das wäre was, das verdirbt nicht die
kjände, das könnte ich Dutta'n mal sagen, wenn
sie aus dem GrUnewald retour kommt."

Eine Weile schienen die Ehanceri der radeln-
den, männlichen Bekanntschaft zu steigen, denn
Frau Rebbecke schwieg vom Lernen und Dutta be-
kam immer schönere Kleider.

„Der Balg ist ganz verrückt," bemerkte Frau
Rebbecke, wenn ich sie ans der Treppe sah, „ganz
und gar verrückt. Sie sagte das nicht strafend,
sondern geschmeichelt. „Nichts ist ihr gut genug,
feit sie mit der neuen Bekanntschaft ansradelt,
Alles muß vom Feinsten sein. Na, er bekommt
ja auch ein hohes Gehalt, hundert Mark hat er
bei crietz. Wenn er genug erspart hat, errichtet
er ein eigenes Geschäft."

Wie will er das mit hundert Mark thun, dachte
ich, war aber so schlau, nur zu erwidern: „Fräu-
lein Gustchen ist also verlobt?"

„Ja, sie geht mit ihm," versetzte Mutter diplo-
matisch. Immer noch stieg die männliche Bekannt-
schaft im Tnrse, das verrieth mir eine Unter-
redung, welche ich eines Tages belauschte.

Dutta lag sonst mit meiner alten Köchin, Ma-
rie, in Fehde, weil diese sie nicht Fräulein nannte
und auch sonst nicht genug hofirtc. Eines Mor-
gens, als ich über den Eorridor ging, war die
Thür zur Küche offen und so könnte ich beob-
achten, was dort geschah..

Marie machte Tauben zum Mittag zurecht,
Dutta stand neben ihr und sah gespannt Mi.

plötzlich sagte sie: „Was verlangt wohl so 'n
Mann, daß man kochen könnte, Fräulein?"

„Das käme ganz auf dem perrn an," versetzte
die Köchin zurückhaltend.

„verlangte er, zum Beispiel, gebratene Tauben?"

„Wenn cs ein feiner perr wäre, allerdings,"
entschied Marie würdevoll.

„Regen, Sturm und Hagelschauer Der sich niemals noch ergab,

Schickt der Himmel mir herab, Und ich trotz' ihm bis zum Grabl"

Doch ich bin ein alter Bauer, (tz«rm»nn Llngg „3m R-btrigNen")
Index
Robert Engels: Zeichnung ohne Titel
Gertraut Châles de Beaulieu: Dutta
 
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