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SALIGES FRÄULEIN

Matthäus Schiestl (München)

ttlie aus Rotbkäppcben
die Gräfin von Rubbausen wurde

CEiuc Märchen-Fortsetzung für brave Yankee-Kinder

von ksemv 1. Urban

CCSie nun Rothkäpxchen und die Großmutter ge
rettet waren, da lief die Kunde davon durch
das ganze Land und Eins erzählte es dem Andern.
Und von überall her kamen die Reporter der unter-
nehmenden Zeitungen und ließen sich von der
Großmutter und dem Jäger und Rothkäpxchen
nochmals ganz genau beschreiben, wie Alles zu-
gegangen war. Das stenographirten sie Mort für
Mort. Dann xhotographirten sie die Großmutter
und den Jäger und Rothkäpxchen und Rothkäpp-
chens Mutter, sowie alle Vnkcl, Tanten und was
sonst mit Rothkäpxchen verwandt war. Ferner
xhotographirten sie das Daus von Rothkäppchens
Mutter, vom Jäger und von der Großmutter.
Gern hätten sie auch den Wolf xhotograxhirt.
Aber der Wolf war tobt und der Jäger hatte ihm
das Fell abgezogen. So xhotographirten sie das
Fell des bösen Wolfes. Ferner xhotographirten
sie die Scheere, mit welcher der Jäger dem Wolf
den Leib aufgeschnitten hatte, sowie die großen
Steine, die der Jäger dem Wolf in den Leib ge-
packt hatte. Natürlich wurde auch das Bett der
Großmutter xhotograxhirt und der Wald, in wel-
chem der Wolf gehaust hatte und der Korb, in
welchem Rothkäpxchen der Großmutter die Flasche
wein, das Stück Kuchen und das Glas gebracht
hatte, nebst der Weinflasche und dem Glase. Das
Stück Kuchen hatte die Großmutter schon gegessen.
So ließen sie von Rothkäppchen's Mutter einen
neuen Kuchen backen, schnitten ein Stück heraus
und xhotographirten dieses, sowie die Schüssel, in
welcher der Teig zum Kuchen eingerührt und den
Vfen, worin der Kuchen gebacken worden war.
Das Alles thaten sie in die Zeitungen, wie sich
das heutzutage so gehört. Und ehe man sich's
versah, waren der Jäger, die Großmutter und

Rothkäpxchen berühmte -Leute, von denen überall
gesprochen wurde. Nun lebte um diese Zeit in
Amerika ein kluger Mann Namens Barnum.
Der hatte einen gar berühmten Circus, mit dem
er in der ganzen Welt herum reiste und worin
er die wundersamsten Thiere und Menschen zeigte,
darunter die tanzenden Kühner. Diese talentvollen
Kühner befanden sich in einem Käfig mit einem
Blcchboden. Unter diesem Blechboden ließ der
kluge Barnum ein kleines Feuer anmachen und
wenn der Boden heiß wurde, so hüpften und
sprangen die Kühner ängstlich umher, während
vor dem Käfig ein Mann ans der Geige spielte.
Den hatte der kluge Barnum eigens dazu hinge-
setzt. Dann glaubten die Leute, die Kühner tanz-
ten wirklich. Das erzähle ich nur, um Euch zu
zeigen, wie furchtbar klug dieser Barnum war.
Es dauerte nicht lange, so las der kluge Barnum
die wundersame Geschichte vom Rothkäpxchen.

„Ka," sprach er, „das ist etwas für mich!
Da steckt ein Kaufen Geld drin!" Und schnur-
stracks reiste er nach Rothkäppchen's Keimath und
klopfte an das Kaus, worin Rothkäpxchen wohnte,
und trat ein und sprach:

„Kaujedu — sind Sie das beriehmte Roth-
käppchen, das hat gehabt die sensationelle Expiriens
mit den Uolf?"

Da sagte Rothkäpxchen: „Das bin ich!"

Da sagte der kluge Barnum: „GH — ich bin
sehr froh Sie ßu sehen. Uissen Sie auch, daß
Sie kännen machen Fässer voll Geld mit die Ge-
schichte? Alles, uas Sie haben ßu thun, is zu
unterschreiben diesen Kontrakt fir finf Jahre mit
ßueihundertfinfßig Marks eine Uoche und dann
Sie und Ihre Mutter reisen mit mir iber die
ganße Uelt und nach finf Jahre sind Sie ein rei-
ches Mädchen wie Miß vanderbilt und heirathen
einen jungen fcheenen Grafen. kst^r sind finf-
hondert Marks Anßahluug. What do you think
ofit?"

„Ach ja!" sagte die Mutter. „Das wäre ja
nickst schlecht, denn wir sind arme Leute. Aber
wir können die Großmutter nicht allein lassen!"

„OK, Oranckma is allright! Ich uerde sie auch
mitnehmen und den Mann, der hat aufgcschneidct
den Uolf, auch!"

„Man muß heute aus Allem Geld heraus-
schlagen!" sagte Rothkäpxchen.

„Sehr richtig!" meinte Barnum. „Sie känn-
ten sein geboren in Amerika. Uollen Sie unter-
schreiben?"

„Mach' ick!" sagte Rothkäpxchen. So unter-
schrieben sie den Kontrakt. Und der kluge Bar-
num griff in die linke Kosentasche und holte fünf-
hundert Mark heraus, in lauter Gold, und zählte
es auf den Tisch.

„B Gott! (D Gott!" rief Rothkäpxchen einmal
über das Andere und schlug die Kände zusammen.
„So viel Geld jicbt's ja jar nid? I"

Darüber mußte der kluge Barnum furchtbar
lachen. Dann mußten Rothkäpxchen und die
Mutter mitkommeu zum Jäger und auch der Unter-
zeichnete den Kontrakt für zweihundertfllnfzig Mark
die Woche. Und dann gingen alle Bier zur Groß-
mutter und auch die Unterzeichnete einen Kontrakt
für zweihundertfünfzig Mark die Woche. Dafür
mußte die Großmutter das Bett hergebcn, in
welchem der Wolf gelegen hatte, und die Scheere,
mit der dem Wolf der Bauch ausgeschnitten wor-
den war und die großen Steine, die sie dem Wolf
in den Bauch gepackt hatten. Und Rothkäppchen's
Mutter mußte den berühmten Korb mit der Wein-
flasche und dem Glase hergeben und einen neuen
Kuchen backen. Am liebsten hätte Barnum das
ganze Kaus der Großmutter mitgenommen, aber
das ging nicht.

„ck'oo dack >" sagte Barnum, „bei uns in Amerika
uäre das eine Kleinigkeit, denn da sind die Käu-
fer im Lande von Kolz und kännen uerden gexäckt
auf ein Uägen und fortge—ge—brungen—gebringt
— damn the Dutch language!"

„Nun fehlt nur noch das Fell vom Wolf!"
sagte der Jäger.

„Bh nein! GH nein!" sagte der kluge Barnum
lächelnd. „Nix Fell. Ich nuiß haben ein leben-
des Uolf!"
Register
Henry F. Urban: Wie aus Rothkäppchen die Gräfin von Kuhhausen wurde
Matthäus Schiestl: Saliges Fräulein
 
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