Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 23

JUGEND

1902

örtt Corps soll aufgehoben werden.

, Mir egal, ich sauf' ja freiwillig!"

und ruhig, wenn sie alle an ihr hernmznzankcn
hatten, sic war ja wie im Himmel. Satt zu essen
zu jeder Zeit, ein ordentliches Bett, ordentliche
Uleider auf dem Leibe und ordentliche Worte für sie!

Moidele blühte auf, sie kämmte und flocht ihr
Haar alle Tage schön wie die andern Mägde, sie
setzte ihren Stolz darein, sauber „gewandet" zu
sein, sie that ihrer Dienstfrau alles, was sic ihr
nur an deti Augen abschen konnte und erst als
der Sohn von den Kaiserjägern nach Hause kam!
Ihm hätte sie alles thun, ihm zu Gefallen sich
nmbringcn lassen können, lind wie konnte er
bitten! wie konnte er gut sein mit ihr! Er sie
bitten! Er gut sein mit ihr! Mit ihr, der Aerin-
sten aller Armen, die für ihn ja alle Martern
gern erduldet hätte! Ihr junges Herz konnte
kaum sein Glück tragen. Nie
hatte sie gedacht, daß es solche
Seligkeit auf Erden geben
könne. Aber um Weihnach-
ten, bei krachender Aälte, als
der stolze Kaiserjäger schon
lang vom Bitten abgelassen,
und sie mit keinem Auge mehr
anschaute, stieß die Mutter
die arme, schwangere Magd
aus dem Hause.

Ueber den Bergen am
Brenner standen schwere wo!«
keti, der Schnee krachte, utld
in den Schluchten stürmte es.

Der Weg war vereist und
die Nacht nahe, verstoßen,
ohne Freunde, wo sollte die
arme Sünderin hiti? Sie
hockte sich bei einem Ehristus-
bild nieder, das an der Straße
stand »nd schaute auf zu ihni.

Schuld war sie sich keiner
bewußt, wer ihr so viel ge-
geben, dem sollte sie das
wenige nicht geben? Sie be-
reute nicht, aber die Angst
peinigte sie. Wohin? Nach
Hause? Sie zitterte, wenn
sie daran dachte, aber die
Nacht, der Frost, der Sturm
drohten. Sie dachte an das
Rind, das sie trug, und machte
sich auf den Weg über Eis
und Schnee, ihren mühseligen,
beschwerlichen Weg.

Es mochte gegen acht Uhr
des Abends sein, als sie er-
schöpft und von Schmerzen ge-
peinigt, an des Vaters Thüre
klopfte.

Drei erschreckte, furcht-
same, zerlumxteWeiber, zottig
und voll Schmutz, stießen sich
unter der Thüre, die sie nur
halb öffneten. Durch die offene
Rüchenthüre sah man das
Feuer auf dem Herde flackern,
hörte das Krachen der Scheite
— die Heimat, der Herd, die
Ruhe —

Moidele schritt die erste
Stufe hinauf: „Grüß Gott!"
sagte es leise und demüthig,
da fiel der Schein der Laterne,
die Äathl hoch hob, auf sie,
die Weiber kreischten aus, die
Thüre fiel zu und die Riegel
knarrten.

Zweimal in der Nacht,
in Schmerz und Weh, kroch
Moidele an's Haus und bat
um Einlaß. Drinnen brannte
noch Licht, doch rührte sich
nichts. Sie pochte an die
Läden, schleppte sich laut wei-
nend und schreiend an die Hin-
terthüre, doch keiner that ihr auf, das Licht erlosch.

Endlich kroch sie, starr vor Kälte, in den Streu-
schober, kaum mehr im Stand, sich itt die Streu
zu verwühlen, die Hände geballt vor Schmerz, sinn-
los in ihren Aengften.

Am Nachmittag des andern Tages fanden Iodo-
ker Bauern, die mit den Holzschlitten bergab wollten,
durch das Gestöhn aufmerksam gemacht, die Erstarrte.

Ihr Schlagen und Pochen an den Thüren
der Schwestern war vergebens, so brachten sie die
Kranke, nachdein sie sie in Streu und Decken ein-
gewickelt, mühselig zu Thal. Sie und das Kind.
Das Kind, schwächlich und zu früh geboren, starb
gleich, und aus Moidele, als es nach langen
Ficberwochen wieder gemundete, ward eben das
„ Gott'swillen-Moidcle. “

Opfer der Mode

von Ulladimir Kiriakow

„Guten Tag, Anna Pawlowna!"

„Ach, Olga Sergejewna! Das ist mal nett, daß
Sie mich besuchen! Aber was ist das? Ohne Hut?
Ist das vielleicht letzte Mode — ohne Hut auszu-
gehen? Das wußte ich noch gar nicht!"

„Nein! Natürlich bin ich im Hut gekommen.
Aber Sie wissen ja, was für große Hille man jetzt
nach der neuesten Mode trägt. Keine Möglichkeit,
damit durch die Thür zu kommen. Im geschlossenen
Wagen kann man schon gar nicht fahren.... Ich
kam also im Schlitten, mußte den Hut aus der
Straße an der Hausthür abnehmen und ihn beim
Portier lassen. Und — stellen Sie sich vor: als ich
aus der Straße den Hut abnehmen will, bleibl er mir
in den Haaren hängen, und ich kann gar nicht damit
zurechtkommen. Es sammelte sich ein ganzer Haufen
müßiger Gaffer. Einige begannen laut zu lachen.
Ich verstehe nicht, was daran komisch ist, wenn eine
Dame sich nach der Mode kleidet! Wahrhaftig, noch
außerordentlich wilde Sitten bei uns!"

„Und wie sind Sie schließlich zurechtgekommen?"

„Ein Schutzmann kam und hals mir den Hui
abnehmen. Ich glaube, er hat einige Leute zur
Wache geführt."

„Wissen Sie, ich kann mich doch nicht entschließen,
solch einen großen Hut aufzusetzen, mit dem man
überall anstößt..."

„Also Sie ziehen es vor, sich unmodern zu klei-
den? ... Nein, dann schon lieber eine kleine U»
annehmlichkeit in den Kauf nehmen. Im Theater
ist es allerdings ziemlich unbequem: man muß
immer zwei Logen nebeneinander nehmen, weil
es mit einem modernen Hut absolut unmöglich ist,
in einer einzigen Loge Platz zu finde». Mein Mann
sitzt ja immer unter dem Hut, aber der Hui selbst
reicht doch noch in die Nachbarloge hinein."

„Was für ein Album besehen Sie denn da so
eifrig, Baroneß?"

„Sic sind wirklich zu neugierig,Monsieur Grenkoiv."

„Pardon! Ich wußte nichl.."

„Nein, nein, ich scherze ja nur. Kein Gcheimniß
weiter. Das ist ein Tätowirungsalbum. Ich habe
es erst eben aus dem Laden bekommen. Und da sitze
ich nun und wähle mir eine
Tätvwirung aus."

„Sie wollen sich also täto-
wiren lassen, Baroneß?!"

Warum denn nicht? Wenn
es die Mode verlangt."

„Sie wollen sich also wirk-
lich das Gesicht tätowiren
lassen?"

„Das Gesicht? Wer spricht
denn davon? Soweit ist die
Mode Gott sei Dank noch
nicht. Ich werde.. . wie soll

ich's gleich ausdrllcken?.

mein Dekollete tätowiren las-
sen. Das ist die letzte ameri-
tänischeMode. SehenSiemal:
hier dieses Muster finde ich be-
sonders hübsch. Ich glaube,
das ivird mir sehr gut steben."

„Aber es wird Ihnen ja
weh thun."

„Unsinn ! Man kann unter
Chloroform.. Nur schade, daß
man diese Tätowirung das
ganze Leben lang tragen muß,
daß man sie nicht wechseln kann.
Darum ist die Aßswahl des
Musters eben eine ungeheuer
wichtige Sache, einfach eine
Lebensfrage! Nein, ich kann
niich wirklich noch nicht ent-
schließen. Ich muß mich erst
mit meiner Schneiderin be-
rathen."

» » o

Die missverstandene 6brenbe$eigung m. Hagen

„Du, Papa, muffen die Soldaten immer erst „hübsch" machen, ehe sie ihr
Stückchen Kuchen Kriegen?"

376
Index
Paul Rieth: Der Trinkzwang
Wladimir Kirjakow: Opfer der Mode
Max Hagen: Die mißverstandene Ehrenbezeigung
 
Annotationen