Nr. 24
JUGEND
1902
Graf Bülow l;u einem Mitarbeiter des ,Figaro" über die Zollfrage): „Die Politik der Diagonale
wird mir nicht leicht gemacht' sollte einer versuchen, das Beispiel des Paris nachzuahmen
(der bekanntlich unter den drei Göttinnen, über deren Schönheit er ein preisrichtcr-
urtheil abgeben sollte, die Venus auszeichnete), würden ihm INinerva und Juno
die Augen auskratzen,"
Weltchronik der „Jugend"
Es fehlt der Chronik dieses Mal
Auch wieder nicht an Material:
Zunächst sei hier der Fall verblicht.
Daß Persiens Schah Berlin besucht.
In Potsdam hatte er die Gnade
Und assistirte der Parade
Und sah zu seinem grenzenlosen
Entzücken Friederichs des Großen
Parademarsch, neu einstudirt
Und wundervoll erekutirt.
In diesem Falle faßt der Mann
Die Flinte mit der Linken an,
Mit der er sie am Kolbe» stützt,
Die Rechte wird dazu benützt
Das Schießgewehr beim Schloß zu faffeu
So kanu's der Mann nicht fallen lassen!
Wie ist der Griff doch angenehm.
Wie zeitgemäß und wie bequem!
Es fand sofort auch wundernett ihn
Der Perser-Schah Mnzaffer-Eddin
Und sprach: „Seit dieser Griff entdeckt
Ist Deutschlands Wehrkraft erst perfekt!" -
Der Schah kam auch in's Opernhaus,
Doch hielt er cs nicht lange aus;
Nach einem Akt von Meyerbeer
Schon wurden ihm die Lider schwer,
Dann riß er ans in tiefem Schauer
Und siüchtete in's Cafe Bauer. —
Im Reichsland ward Baron de Schmidt
Zum Kürassier jetzt ä la suite
Ernannt — was ihm so viel Credit
Verschafft hat, dieses weiß man nit. ~
Graf Hoensbroech sprach zum zweiten Mal
In München vor gefülltem Saal,
Doch Alle blieben wohlerzogen
Und nicht ein Maßkrng kam gestvgen,
Kein Stuhlbein wurde ausgerissen,
Es ward kein faules Ei geschmissen,
Man schumpf sich nicht mit groben Titeln,
Man hieb sich nicht mit derben Knitteln —-
Kurz, man benahm sich bis um's End 'rum,
Als gab's in München gar kein Centrum! —
Reichs schatzamts-Thielmann sagte wahr:
„Wir kriegen in dem nächsten Jahr
Ein Defizit von circa achtzig
Millionen!" — Na, die Sache macht sich! —
Die Zuckersteuer-Commission
Treibt raffiuirte Obstruktion,
Zieht die Berathung schlau hinaus,
Bis man im Herbste schließt das Haus,
Und stellt sich noch bei der Hantirnng
Wie eine Stütze der Regierung!
O pfui! Und wen wohl trifft die Schuld da?
Den Centrumshauptling Müller-Fulda!
In Preußens Landtag — wie erfreulich! —
War Bülow sehr energisch neulich!
Als jammernd die Conservativen:
„Gctreidezvllerhöhung!" riefen,
Sprach er mit zornigem Gesicht:
„Mit Ihnen debattir' ich nicht,
Es hat in den beregten Fragen
Blos die Regierung was zu sagen —
Drum hören Sie jetzt auf zu weinen!"
Er sprach's und ging mitsammt den Seinen.
In Heidelberg, da ist in Frieden
Professor Kuß maul jetzt geschieden,
Ein Arzt von hohem Forschertriebe,
Gewandtheit, Kunst und Menschenliebe,
Ein Dichter auch, ein froher, freier
Und einst der erste Biedermaier.
Just 80 Jahr hat er erreicht
Sei ihm die Erde lind und leicht! —
Betrüblich ist, was in Madrid
Durch die Regierung jetzt geschieht:
Sagasta hat das Land soeben
Dem Sch—alk Rampolla preisgegebc»,
Der jetzt de facto ungenirt
Das arme, dumme Volk balbirt.
Es stehen fürder alle Orden
Jetzt über den Gesetzen dorten
Und solche werden eingebracht,
Nur wenn es Rom Vergnügen macht.
Wie war' es jetzt in Spanien wohl
Den Schadler, Daller, Pichler, Kohl!
So aber seufzen sie: „Zur Zeit
Fehlt's halt in Bayern doch noch weit!
Es möcht' kein Htind da langer leben,
War' uns der Landmann nicht gegeben,
In dessen hoffnungsvollem Zeichen
Wir Spanten wohl noch erreichen!" —
In München freut sich Jeder sehr,
Weil Doktor Schorsch von Ort er er
Hier Rektor wird -- man weiß, warum!
Am Luitpold-Gymnasium.
Das wird für München ein Gewinn
An Schönheit und an Biedersinn
Und eine Sehenswürdigkeit,
Die neuen Glanz der Stadt verleiht. —
Frau Humbert, welche sehr erheblich
Als Schwindlerin, wird noch vergeblich
Gesucht auf ihren Reisewegen
Es schützt sie halt des Papstes Segen!
Doch Vieles, was recht sehr pikant,
Wird zur Affaire jetzt bekannt :
So, daß die Tochter der Humbert
In Wahrheit gar ein Mannsbild war'
Und daß Herr Humbert senior,
Justizminister lang zuvor
Und hochverehrt auch als Jurist,
Des ganzen Schwindels Vater ist! —
Erwähnen will ich noch zum Schluß,
Daß um den ersten Junius
Wir fünfundzwanzig Grad im Schatten
In München auszustehen hatten
Und noch dazu nach Reaumnr!
Kann sein: im Juli schncit's dafür!
IIhmmI ot
Kleine Gespräche
„Etz gibt« also a ncus Ministerium in
Frankreich. Herrgott, wenn i denk, wie lang
s' bei uns scho Minister san!"
„O die warten bloß no an gwiffcn Zeit-
punkt ab — bis f als Apostel zu der Fuaß-
waschung keinmal"
Bei einer papstscicr in Posen sagte Erz-
bischof von S t a b I e w s k i:
„Mit dem Propheten Iesaias möchten wir
fragen: ,wic lange wird diese Nacht noch
dauernDenn überaus finster und
schrecklich erscheint die heutige Nacht
der Kirche."
„Das stimmt! Es will wirklich gar nicht
Tag werden."
„Etz. weil der Krieg in Afrika aus is. soll
ja wieder der Federkrieg angchn zwischen die
englischen GenerälI"
„Soll mi frcun. wenn s' den aa so human
führen, wie den in Afrika!"
Zwei Spießbürger machten einen Aus-
flug nach der Saalburg und betrachteten eine
Inschrift.
„Du. Schorschl. Du bist ja auf der Latein
schul gwenl was bcdcut't denn dös: Civis
Germanus sum?“
..Nix!" _
Uademccum für die Mitglieder
der »ciizugründonden Fakultät in Straßburg
prof. Hetiling hat nun die Schwierigkeiten beseitigt,
die sich der Gründung einer katholischen
Zakultät an der Universität Straßburg entgegenstellten.
Rom hat eingewilligt, nachdem es die Versicherung er-
halten, daß bei Anstellung von Professoren der Bischof
von Straßburg um sein Votum gefragt würde!
Frei sei und fromm die Wissenschaft!
Dann hat sie auch die Gotteskraft.
ft n m Glaube n zu bekehren.
Drum streb' nach Wahrheit immerdar!
Und was der Bischof hält für wahr.
Das darfst Du ruhig lehren!
t'rl-C'ri
406
JUGEND
1902
Graf Bülow l;u einem Mitarbeiter des ,Figaro" über die Zollfrage): „Die Politik der Diagonale
wird mir nicht leicht gemacht' sollte einer versuchen, das Beispiel des Paris nachzuahmen
(der bekanntlich unter den drei Göttinnen, über deren Schönheit er ein preisrichtcr-
urtheil abgeben sollte, die Venus auszeichnete), würden ihm INinerva und Juno
die Augen auskratzen,"
Weltchronik der „Jugend"
Es fehlt der Chronik dieses Mal
Auch wieder nicht an Material:
Zunächst sei hier der Fall verblicht.
Daß Persiens Schah Berlin besucht.
In Potsdam hatte er die Gnade
Und assistirte der Parade
Und sah zu seinem grenzenlosen
Entzücken Friederichs des Großen
Parademarsch, neu einstudirt
Und wundervoll erekutirt.
In diesem Falle faßt der Mann
Die Flinte mit der Linken an,
Mit der er sie am Kolbe» stützt,
Die Rechte wird dazu benützt
Das Schießgewehr beim Schloß zu faffeu
So kanu's der Mann nicht fallen lassen!
Wie ist der Griff doch angenehm.
Wie zeitgemäß und wie bequem!
Es fand sofort auch wundernett ihn
Der Perser-Schah Mnzaffer-Eddin
Und sprach: „Seit dieser Griff entdeckt
Ist Deutschlands Wehrkraft erst perfekt!" -
Der Schah kam auch in's Opernhaus,
Doch hielt er cs nicht lange aus;
Nach einem Akt von Meyerbeer
Schon wurden ihm die Lider schwer,
Dann riß er ans in tiefem Schauer
Und siüchtete in's Cafe Bauer. —
Im Reichsland ward Baron de Schmidt
Zum Kürassier jetzt ä la suite
Ernannt — was ihm so viel Credit
Verschafft hat, dieses weiß man nit. ~
Graf Hoensbroech sprach zum zweiten Mal
In München vor gefülltem Saal,
Doch Alle blieben wohlerzogen
Und nicht ein Maßkrng kam gestvgen,
Kein Stuhlbein wurde ausgerissen,
Es ward kein faules Ei geschmissen,
Man schumpf sich nicht mit groben Titeln,
Man hieb sich nicht mit derben Knitteln —-
Kurz, man benahm sich bis um's End 'rum,
Als gab's in München gar kein Centrum! —
Reichs schatzamts-Thielmann sagte wahr:
„Wir kriegen in dem nächsten Jahr
Ein Defizit von circa achtzig
Millionen!" — Na, die Sache macht sich! —
Die Zuckersteuer-Commission
Treibt raffiuirte Obstruktion,
Zieht die Berathung schlau hinaus,
Bis man im Herbste schließt das Haus,
Und stellt sich noch bei der Hantirnng
Wie eine Stütze der Regierung!
O pfui! Und wen wohl trifft die Schuld da?
Den Centrumshauptling Müller-Fulda!
In Preußens Landtag — wie erfreulich! —
War Bülow sehr energisch neulich!
Als jammernd die Conservativen:
„Gctreidezvllerhöhung!" riefen,
Sprach er mit zornigem Gesicht:
„Mit Ihnen debattir' ich nicht,
Es hat in den beregten Fragen
Blos die Regierung was zu sagen —
Drum hören Sie jetzt auf zu weinen!"
Er sprach's und ging mitsammt den Seinen.
In Heidelberg, da ist in Frieden
Professor Kuß maul jetzt geschieden,
Ein Arzt von hohem Forschertriebe,
Gewandtheit, Kunst und Menschenliebe,
Ein Dichter auch, ein froher, freier
Und einst der erste Biedermaier.
Just 80 Jahr hat er erreicht
Sei ihm die Erde lind und leicht! —
Betrüblich ist, was in Madrid
Durch die Regierung jetzt geschieht:
Sagasta hat das Land soeben
Dem Sch—alk Rampolla preisgegebc»,
Der jetzt de facto ungenirt
Das arme, dumme Volk balbirt.
Es stehen fürder alle Orden
Jetzt über den Gesetzen dorten
Und solche werden eingebracht,
Nur wenn es Rom Vergnügen macht.
Wie war' es jetzt in Spanien wohl
Den Schadler, Daller, Pichler, Kohl!
So aber seufzen sie: „Zur Zeit
Fehlt's halt in Bayern doch noch weit!
Es möcht' kein Htind da langer leben,
War' uns der Landmann nicht gegeben,
In dessen hoffnungsvollem Zeichen
Wir Spanten wohl noch erreichen!" —
In München freut sich Jeder sehr,
Weil Doktor Schorsch von Ort er er
Hier Rektor wird -- man weiß, warum!
Am Luitpold-Gymnasium.
Das wird für München ein Gewinn
An Schönheit und an Biedersinn
Und eine Sehenswürdigkeit,
Die neuen Glanz der Stadt verleiht. —
Frau Humbert, welche sehr erheblich
Als Schwindlerin, wird noch vergeblich
Gesucht auf ihren Reisewegen
Es schützt sie halt des Papstes Segen!
Doch Vieles, was recht sehr pikant,
Wird zur Affaire jetzt bekannt :
So, daß die Tochter der Humbert
In Wahrheit gar ein Mannsbild war'
Und daß Herr Humbert senior,
Justizminister lang zuvor
Und hochverehrt auch als Jurist,
Des ganzen Schwindels Vater ist! —
Erwähnen will ich noch zum Schluß,
Daß um den ersten Junius
Wir fünfundzwanzig Grad im Schatten
In München auszustehen hatten
Und noch dazu nach Reaumnr!
Kann sein: im Juli schncit's dafür!
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„Etz gibt« also a ncus Ministerium in
Frankreich. Herrgott, wenn i denk, wie lang
s' bei uns scho Minister san!"
„O die warten bloß no an gwiffcn Zeit-
punkt ab — bis f als Apostel zu der Fuaß-
waschung keinmal"
Bei einer papstscicr in Posen sagte Erz-
bischof von S t a b I e w s k i:
„Mit dem Propheten Iesaias möchten wir
fragen: ,wic lange wird diese Nacht noch
dauernDenn überaus finster und
schrecklich erscheint die heutige Nacht
der Kirche."
„Das stimmt! Es will wirklich gar nicht
Tag werden."
„Etz. weil der Krieg in Afrika aus is. soll
ja wieder der Federkrieg angchn zwischen die
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„Soll mi frcun. wenn s' den aa so human
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Zwei Spießbürger machten einen Aus-
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„Du. Schorschl. Du bist ja auf der Latein
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Uademccum für die Mitglieder
der »ciizugründonden Fakultät in Straßburg
prof. Hetiling hat nun die Schwierigkeiten beseitigt,
die sich der Gründung einer katholischen
Zakultät an der Universität Straßburg entgegenstellten.
Rom hat eingewilligt, nachdem es die Versicherung er-
halten, daß bei Anstellung von Professoren der Bischof
von Straßburg um sein Votum gefragt würde!
Frei sei und fromm die Wissenschaft!
Dann hat sie auch die Gotteskraft.
ft n m Glaube n zu bekehren.
Drum streb' nach Wahrheit immerdar!
Und was der Bischof hält für wahr.
Das darfst Du ruhig lehren!
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