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1902

J U GEN D

Nr. 25

Das letzte Wort

von Ossit

c^jiane de Flairs dachte nach. In einem hohen Lehnstuhl, von dessen seiden-
sM gewebten Rosenranken ihr feiner und stolzer Kops sich wirksam abhob,
saß sie unbeweglich, die großen, traurigen Augen zur Decke ausgeschlagen, als
müßte sie dort oben die Lösung eines schwierigen Problems studiren.

Ihre schlanke Hand hielt ein Telegramm, und ihre kleinen Füße, diese
unwahrscheinlich kleinen Füße, die wegen ihrer Winzigkeit berühmt waren,
wippten in nervösem Staccato auf ihrem Tabouret hin und her.

Das Telegramm enthielt nur die wenigen Worte:

„Tresse heute elf Uhr ein. In unwandelbarer Ergebenheit — Anselme."

Er kam also — wieder einmal!... Lieber Gott, wie sie davon genug hatte!

Er war schon so oft gekommen — wieder und wieder, der arme Anselme! —
Solange Diane zurückdenken konnte, war er eigentlich immer dagewesen.

Vor ihren Blicken, die noch immer an der Zimmerdecke hingen, zogen
Scenen von früher vorbei, Bilder, Eindrücke... —

Sie sah sich und ihn als Kinder auf dem heimatlichen Gutshof. Die
Apfelbäume trugen gerade ihr rosa Blüthenkleid.

Er hatte eines der umherlaufenden Schweine kühn zu seinem Reitthier
erkoren. Sie wollte auch aussteigen, und es kam zu einem kleinen Streit, bei
dem er rasch nachgab — er, damals schon ein großer starker Junge, hoch
aufgeschossen und zehn Jahre alt: sie, ein kleines, siebenjähriges Prinzeßchen,
zierlich und zerbrechlich, wie ein Porzellanfigürchen.

Das war das erste Zusammensein und ihr erster Sieg gewesen. Und
seitdem war er es gewohnt, sich jeder ihrer Launen zu fügen.

Sie konnte sich fast keiner Epoche ihres Lebens entsinnen, in der der
gute, große, blonde Junge nicht irgendwelche Rolle gespielt hätte.

Mit siebzehn Jahren hatte sie de» Marquis de Flairs geheirathet. Sie
war geworden, was sie zu werden versprochen hatte: ein entzückendes, empfind-
liches, capriziöses Geschöpf.

Der blonde, junge Riese war damals in Wien — die diplomatische Carrisre
hatte es ihm angethan — und wollte sich das Herz aus dem Leibe weinen
vor Kummer über diese Heirath.

Als er sie aber sechs Monate später wiedersah, war er überrascht und
besänftigt zugleich, da er fand, daß sie ihren Gatten mit absoluter Gleich-
giltigkeit behandelte. Sie ließ dessen, wie seine eigene Anbetung mit der leisen
Geringschätzung des Selbstverständlichen über sich ergehen.

Er aber träumte von ihr an jedem Abend in Wien, an jedem Abend
in Berlin und dann der Reihe nach auf allen Stationen seines europäischen
Wanderlebens.

Sie wußte das alles sehr wohl. Sie wußte, daß er ihr rettungslos mit
Seele und Leib verfallen war — daß er krank war vor Liebe zu ihr — baß
sie mit ihm machen konnte, was ihr einsiel, alles was ihre kleine, verdrehte
’ Seele aus ihm machen wollte, daß sie sein Herz in ihren schmalen Händen
hielt, wie ein Kind eine abgepslückte Blume.

„Unwandelbare Ergebenheit" — sagte das Telegramm. — O ja! Un-
wandelbar! — Seine beispiellose Dienstwilligkcit hielt allem und jedem Stand.
Sie hatte ihn vernachlässigt, gedemüthigt, dem Spott ausgeliefert. Sie hatte
ihn gequält, war mit ihm umgegangen, wie Kinder mit einer Uhr, wenn

sie untersuchen wollen, wie es in ihr aussieht-aber geändert hatte

er sich nicht.

Er konnte es sich nicht nichr aus den Sinnen schlagen, dies sinnverwirrende,
Problematische Geschöpf, das mit so viel Selbstbewußtsein aus dem hohen
schlanken Halse den bethörenden Kopf eines perverse» Engels trug. Mit ihrem
verwöhnten, phantastischen, kaum zu befriedigenden Wesen, dessen Mischung
zu dem seinigen so direkt im Gegensätze stand, hatte sie ihn zu ihrem willen-
losen Sklaven gemacht. — Aber er war ihr langweilig.

Sie wußte sehr ivohl, daß er unter allen, unter den Vielen, die sie durch
ihren eigenartigen, schwer zu fassenden Charme beherrschte, der Beste, der
Zuverlässigste war, der Treueste ihrer Anbeter. — Aber er langweilte sie.

Sie wußte, daß sich die Mädchen der Straße nach ihm umdrehten, und
daß auch die Damen ihm unter halbgeschlossenen Lidern hervor, durch den
Schleier geschützt, verstohlene Blicke nachsandten. Denn er war wirklich bild-
hübsch mit seinem offenen Gesicht, seinen großeir melancholischen Augen und
dem kleinen mädchenhaften Lächeln. — Aber er langweilte sie.

Sollte sie ihn heirathen? In den drei Jahren, seit denen sie Wittwe war,
hatte er ihr seinen Antrag mit unerschütterlicher Geduld wiederholt. Manchmal
fühlte sie sich sogar ein bischen geschmeichelt durch die fanatische, grenzenlose, unab-
schreckbare Verehrung dieses großen, schönen Menschen. — Aber er langweilte sie.

Oft reiste er lange Nächte hindurch, um sie nur eine Stunde lang sehen
zu können, denn er war bei alledem in seinem Beruse peinlich gewissenhast,
und seine Vorgesetzten rühmten seine Pflichttreue.

Sie empfing ihn dann ohne Enthusiasmus, aber auch ohne Ungnade,
einfach gleichgiltig. Sie duldete, daß er kam und schickte ihn nicht fort, in
einem nnbestimnrten Gefühl des Wohlwollens, aber auch der geistigen Ueber-
legcnheit, in der sie sich ihm gegenüber befand.

Klug, begabt, aber indolent, wie sie war, hatte sie von jeher ein aus-
gezeichnetes Fassungsvermögen gehabt. Die schönen Künste gaben ihren Sinnen
und Nerven Sensationen, die ihr nichts anderes je hatte gewähren können.
Sie besaß ein treffendes Urthejl und ,einen sicheren Geschmack, der bei Frauen
sonst in diesen Dingen nicht eben gewöhnlich ist, Aber niemals hatte sie die
Versuchung empfunden, sich selbst mit irgend einer Kunst zu beschäftigen und
dieser jetzt so verbreiteten Manie zu huldigen, mit der sich Leute ans der besten

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PERSEUS Ludwig Dasio (München)

Gesellschaft — ein paar wirkliche Talente abgerechnet — unentwegt lächerlich
machen. Wenn sie etwas gegen Anselme gelegentlich ausbringen konnte, so
war es eben seine ausgiebige Verständnißlosigkeit in allem was Kunst betraf,
und sein banales Urtheil, das immer daneben ging.

Aber... sie fühlte sich an diesenr Morgen etwas müde. Der Gedanke
durchzog sie, daß ein Tag kommen werde, vielleicht schon ganz nahe war, wo
sie alt sein würde — aber er, v, er würde keine ihrer Runzeln bemerken, dessen
war sie sicher — er würde sie liebei» nach wie vor. — Nach wie vor...

„Schließlich — warum eigentlich nicht?" dachte sie. --—

Und dann kam er selbst. Und sie fand wieder, daß er sehr gut anssah
mit seinen ausdrucksvollen, kräftigen Zügen und den schnsuchtstiescn Augen
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Ludwig Dasio: Statue: Perseus
Ossit: Das letzte Wort
 
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