1902
JUGEND
Nr. 25
Mitten im Bilde steht das seltsame kleine Mäd-
chen, nichts neben ihm, nichts hinter ihm — leer
alles, nur sein Schatten zeichnet sich lies vom Boden
ab und verstärkt den beklemmenden Eindruck.
* * *
Diane de Flairs stand in Schallen versunken,
ganz entrückt vom Genuß des Betrachtens. Sie
hatte völlig vergessen, daß Anselme hinter ihr stand-
Plötzlich brach er mit seiner klaren und festen
Stimme das Schweigen.
„Total verrückt, der Maler!" bemerkte er. „Diese
beiden Weiber da ganz in den Ecken von den Bil-
dern — thatsächlich komisch!",
Und er lächle, herzlich und wohlgefällig.
Einen Augenblick sah ihn Diane wie entgeistert
an... Dann, mit einem Gemisch von Widerwillen
und Empörung, stieß sie hervor:
„Sie sind ja blöde! — Das sind Meisterwerke
allerersten Ranges..."
Er sah zu spät, daß sie verletzt war, und ver-
suchte sich zu entschuldigen. Sie aber zuckte heftig
die Achseln und kehrte ihm den Rücken.
Sie ging sehr rasch den Weg zurück und sprach
kein Wort mehr. Nur von Zeit zu Zeit flog ein
zornig-spöttischer Seitenblick an ihm herunter.
Sie fand jetzt, daß er ihre Echarpe unglaublich
plump lind ungeschickt trüge.
„Schwachkopf!" dachte sie. „Er ist doch ein kom-
pleter Schwachkopf."
Zuhause angelangt, sagte sie kurz:
„Ich habe Ihnen für heute noch eine Antwort
versprochen . . . Ich sage. Nein."
(Deutsch von Josef Lttlinger.)
Sie Konswatoristin
Der Hausherr zercrt und die Nachbarn schreien,
wenn sic gefühlvoll das piano hackt.
Der liebe Herrgott möge ihr verzeihen
Die falschen Noten, Vortrag und den Takt,
wenn andre Menschen sich dem Schlafe weihen,
Dann klimpert sie Etüden, daß cs knackt.
Der Töne Leiter thut sic fleißig mimen
In Duc und kNoll, in Terzen und Dezimen.
Am frühen Morgen, mit dem ersten Schlage,
Schlägt sie den Czerny, den berühmten, auf.
Und — knapp gerechnet — volle 14 Tage
Uebk sic an einem und demselben Laus.
Ich wundre mich, daß ich es noch ertrage.
Ich fürchte, meine Nerven gehen d'rauf.
Der Ruhlau, Dussck gellt mir in den Ohren,
Und Du Clcmcnti — wärst Du nie geboren!
Ein gutes Luch hat sie »och nie gelesen.
Für solchen „Stumpfsinn" har sie keine Zeit.
Das Lüchcrlcscn kostet große Spesen,
Musik ist billig und birgt Seligkeit.
Ihr gilt ihr Herz, ihr gilt ihr ganzes wesen,
Nur zu! Schon steht das Wimmerholz bereit;
was scheren sie der Goethe und der Schiller?
Die wahre Poesie liegt nur im Triller.
Mit Andacht hört sie jeden Virtuosen,
Sie fehlt in keinem einzigen Ronzerr.
Sic klatscht entzückt, singt einer von den Großen,
Sieklatschr entzückt, auch wenn ein 'Kleinerplärrt.
Dann schwärmt sic wild, in Worten und in Posen.
Zu and'ren Künsten ist der weg versperrt.
Sic ist im Himmel, wenn sic clavicymbclt,
Sonst aber ist sic rettungslos — versimpelt.
Karl CttUnger
Hlte Bekannte
Max Hagen (München)
„Na, Herr Protzensberger, wie gefällt Ihnen die Todteninsel?" — „Kenn' i scho. Vo der Gegend Hab i no a paar An-
sichtskarten dahoam, da warn ma vorigS Jahr in da Summerfrisch'n!"
JUGEND
Nr. 25
Mitten im Bilde steht das seltsame kleine Mäd-
chen, nichts neben ihm, nichts hinter ihm — leer
alles, nur sein Schatten zeichnet sich lies vom Boden
ab und verstärkt den beklemmenden Eindruck.
* * *
Diane de Flairs stand in Schallen versunken,
ganz entrückt vom Genuß des Betrachtens. Sie
hatte völlig vergessen, daß Anselme hinter ihr stand-
Plötzlich brach er mit seiner klaren und festen
Stimme das Schweigen.
„Total verrückt, der Maler!" bemerkte er. „Diese
beiden Weiber da ganz in den Ecken von den Bil-
dern — thatsächlich komisch!",
Und er lächle, herzlich und wohlgefällig.
Einen Augenblick sah ihn Diane wie entgeistert
an... Dann, mit einem Gemisch von Widerwillen
und Empörung, stieß sie hervor:
„Sie sind ja blöde! — Das sind Meisterwerke
allerersten Ranges..."
Er sah zu spät, daß sie verletzt war, und ver-
suchte sich zu entschuldigen. Sie aber zuckte heftig
die Achseln und kehrte ihm den Rücken.
Sie ging sehr rasch den Weg zurück und sprach
kein Wort mehr. Nur von Zeit zu Zeit flog ein
zornig-spöttischer Seitenblick an ihm herunter.
Sie fand jetzt, daß er ihre Echarpe unglaublich
plump lind ungeschickt trüge.
„Schwachkopf!" dachte sie. „Er ist doch ein kom-
pleter Schwachkopf."
Zuhause angelangt, sagte sie kurz:
„Ich habe Ihnen für heute noch eine Antwort
versprochen . . . Ich sage. Nein."
(Deutsch von Josef Lttlinger.)
Sie Konswatoristin
Der Hausherr zercrt und die Nachbarn schreien,
wenn sic gefühlvoll das piano hackt.
Der liebe Herrgott möge ihr verzeihen
Die falschen Noten, Vortrag und den Takt,
wenn andre Menschen sich dem Schlafe weihen,
Dann klimpert sie Etüden, daß cs knackt.
Der Töne Leiter thut sic fleißig mimen
In Duc und kNoll, in Terzen und Dezimen.
Am frühen Morgen, mit dem ersten Schlage,
Schlägt sie den Czerny, den berühmten, auf.
Und — knapp gerechnet — volle 14 Tage
Uebk sic an einem und demselben Laus.
Ich wundre mich, daß ich es noch ertrage.
Ich fürchte, meine Nerven gehen d'rauf.
Der Ruhlau, Dussck gellt mir in den Ohren,
Und Du Clcmcnti — wärst Du nie geboren!
Ein gutes Luch hat sie »och nie gelesen.
Für solchen „Stumpfsinn" har sie keine Zeit.
Das Lüchcrlcscn kostet große Spesen,
Musik ist billig und birgt Seligkeit.
Ihr gilt ihr Herz, ihr gilt ihr ganzes wesen,
Nur zu! Schon steht das Wimmerholz bereit;
was scheren sie der Goethe und der Schiller?
Die wahre Poesie liegt nur im Triller.
Mit Andacht hört sie jeden Virtuosen,
Sie fehlt in keinem einzigen Ronzerr.
Sic klatscht entzückt, singt einer von den Großen,
Sieklatschr entzückt, auch wenn ein 'Kleinerplärrt.
Dann schwärmt sic wild, in Worten und in Posen.
Zu and'ren Künsten ist der weg versperrt.
Sic ist im Himmel, wenn sic clavicymbclt,
Sonst aber ist sic rettungslos — versimpelt.
Karl CttUnger
Hlte Bekannte
Max Hagen (München)
„Na, Herr Protzensberger, wie gefällt Ihnen die Todteninsel?" — „Kenn' i scho. Vo der Gegend Hab i no a paar An-
sichtskarten dahoam, da warn ma vorigS Jahr in da Summerfrisch'n!"