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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 14.1909, Band 2 (Nr. 27-52)

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„Wohlan, Herr König," sprach Kaiser Karl
lächelnd, „der Ritter, dessen ich harre, läßt auf
sich warten."

Hugo ließ ihn holen. Er kam. Es war
ein Ritter von hoher Gestalt und wohl ge-
wappnet. Der gute Kaiser hieb ihn in zwei
Stücke, wie er gesagt.

Und dieweil diese Dinge geschahen, dachte
Olivier:

„Die Hilfe der Heiligen Jungfrau ist in
diesen Wundern sichtbar; und ich freue mich
der offenbaren Zeichen ihrer Liebe, bie fte dem
Königreiche der Franken gibt. Der Kaiser und
seine Genossen flehten die heilige Mutter Gottes
nicht umsonst an. Ach, ich werde für alle
andren büßen und man wird mir den Kopf
abschlagen. Denn ich kann die Jungfrau Maria
nicht bitten, mir zu helfen, daß ich meinen Scherz
ausführe. Dieser Scherz ist von solcher Art, daß
es unziemlich wäre, sie hineinzuziehen, welche
die Lilie der Keuschheit, der elfenbeinerne Turm,
die verschlossene Pforte und der eingefriedigte
Garten ist. Und mangels himmlischer Hilfe
fürchte ich sehr, nicht so tun zu können, wie
ich gesagt."

Also dachte Olivier, als König Hugo ihn
jählings ansprach:

„Nun, Graf Olivier, erfüllt Euer Ver-
sprechen."

„Herr König," antwortete Olivier, „ich harre
mit großer Ungeduld der Prinzessin, Eurer
Tochter. Denn Ihr müßt mir wohl oder übel
die kostbare Gunst erweisen, sie mir zum Weibe
zu geben."

„Das ist richtig," sprach König Hugo. „Ich
sende sie Euch also mit einem Kaplan, um die
Hochzeit zu feiern."

In der Kirche während der Zeremonie dachte
Olivier:

„Dies Mägdlein ist gar anmutig und so
schön, wie man es nur wünschen kann, und es
verlangt mich zu sehr, sie zu umarmen, als daß
mir mein vermessenes Wort leid täte!"

Des Abends nach dem Mahle geleiteten
zwölf Ritter und zwölf Damen den Grafen
Olivier und die Prinzessin in ein Schlafgemach,
allwo man sie allein ließ.

Sie verbrachten daselbst die Nacht, und am
folgenden Morgen führten die Wachen alle
beide vor den König Hugo. Er saß auf seinem
Throne, umgeben von seinen Rittern. Neben
ihm standen Karl der Große und die Paladine.

„Wohlan, Graf Olivier," fragte der König.
„Habt Ihr Euer Wort gehalten?"

Olivier schwieg, und schon freute sich König
Hugo, seinen Schwiegersohn köpfen zu lassen.
Denn von allen Scherzen hatte der Oliviers
ihn am meisten erbost.

„Antwortet!" rief er aus. „Wagt Ihr zu
sagen, daß Ihr Euer Wort hieltet?"

Da sagte die Prinzessin, errötend und lächelnd,
dieweil sie die Augen niederschlug, mit schwacher,
doch deutlicher Stimme:

„Ja."

Karl der Große und die Paladine waren
sehr zufrieden, daß die Prinzessin dies Wort
gesagt hatte.

„Wohlan," sprach Hugo, „die Franken haben
Gott und den Teufel für sich. Es stand ge-
schrieben, daß ich keinen von diesen Rittern
würde köpfen lassen. Tretet näher, Herr
Schwiegersohn."

Und er reichte Olivier seine Hand, welche
er küßte.

Kaiser Karl der Große umarmte die Priw
Zessin und sprach zu ihr:

„Helene, ich nehme Dich als Tochter und
Schnur. Du wirst uns nach Frankreich be-
gleiten und an unserm Hofe leben."

Und da seine Lippen auf den Wangen der
Prinzessin lagen, so sagte er ihr ins Ohr:

„Du sprachst, wie man als Weib von Herz
sprechen muß. Doch vertraue mir dies ganz
insgeheim an: hast Du die Wahrheit gesagt?"

Der Vater A. Weisgerber

„An meinen Rindern freut mich nur eins:
die Gouvernante."

Sie antwortete:

„Herr Kaiser Olivier ist ein wackrer und
höfischer Mann. Er hat mich mit so vielen Artig-
keiten zerstreut, daß ich nicht daran dachte, sie
zu zählen. Er auch nicht. Ich mußte ihn also
seines Wortes für quitt halten."

König Hugo befahl große Lustbarkeiten zur
Hochzeit seiner Tochter. Dann kehrte Kaiser-
Karl mit seinen zwölf Paladinen nach Frankreich
zurück und führte die Prinzessin Helene mit sich.

(Autorisierte Verdeutschung

von Friedrich von Oppeln-Bronikowski)

Aphorismen

Dein Glück wie dein Unglück, Beides um-
hülle mit dem undurchdringlichsten Geheimnis.
Denn sie sind dein Wesen, das Niemand
versteht.

Einen Feind mehr hast du an dem Manne,
dem du geholfen. Ans Kreuz mit dem, der
allen geholfen.

Tugend ist die Summe derjenigen Eigen-
schaften an Anderen, welche uns besonders
angenehm sind. Wenn uns selbst diese Eigen-
schaften fehlen, so ist das auch — Tugend.

Die meisten Reden haben den Zweck, zu
verhindern, daß an das, wovon geredet wird,
auch gedacht wird.

Wir sollten weder beneiden noch bemit-
leiden. Denn allzuoft beneiden wir, wo
wir bemitleiden, und bemitleiden wir, wo
wir beneiden sollten.

Wenn auch die Philosophen und Dichter
von Mark und Pfennig leben müssen, so ist
das ein Beweis, daß in der Weltordnung
das Geldverdienen wichtiger ist als das Dichten
und Denken.

Arm ist der Mensch in' dem Augenblick,
da er seine gesamte Produktion verkaufen muß.

Der Gedanke schwächt die Tat, die Tat
schwächt den Gedanken. Nur der Mensch
kennt diesen Zwiespalt, nicht die Natur. Sie
denkt nicht, handelt nur und ist selig darin.

Paul Sarin

Im Zuge

Hier zerreißen alle Bande,

Deine Seele fühlt sich frei,

Fliehn am Fenster lichte Lande
Zugentgegen, bunt vorbei.

Täler, Firnen, Weiten, Wälder,
Sensenträger, Mädchen, Frauen,

Weiche Wiesen, reiche Felder
Läßt das Zauberglas dich schauen.

Einem Traume gleicht die Reise, .
Dessen Bilder schon verblassen,
Während du zum Gott noch leise
Flehst, dir dieses Glück zu lassen.

Friedrich Freksa

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Friedrich Freksa: Im Zuge
Paul Garin: Aphorismen
Albert Weisgerber: Der Vater
 
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