Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Karneval

Eine kleine, taumelnde Gestalt stand am
Fahrdamm. Vom Halse bis zum Rocksaum
verhüllte sie ein langer, faltiger Mantel.
Hungrige, schwarze Augen blickten aus dem
schmalen, blassen Gesichtel, und schwache,
tastende Füße schienen eine geheimnisvoll an-
gewachsene Last kaum tragen zu können. Un-
erklärliche Begierde hatte sie hierher getrieben,
aus dein guten Schutz des Mannes, der
leisen Sorge der Mutter hinweg, — mitten
in die tollste Lust, den rauschendsten Spuk
des Karnevals.

Faschings-Dienstag auf der Maximilian-
straße ! Sehr schöne Pferde in buntem Putz,
seidene, aufregende Verkleidungen, huschende,
flüsternde, Ungewohntes wagende Männer
und das lockende, über alles lockende Ge-
heimnis der Maske! — Den pompösen Zug
sehen, schwere Fuhrwerke mit farbigem Künstler-
volk darauf, — bunte, rieselnde Wogen von
Coriandoli, knisternde, schillernde, schmei-
chelnd umschlingende Papierschlangen, Musik,
Lachen, frohe Zurufe....

Menschenleer gähnten die Gassen, alles
hatte sich zu dem Festplatze verzogen, kein
Wagen war mehr zu sehen, weit und breit.
Einen Augenblick zögerte sie. Sie hatte doch
so fest versprochen, nur Droschke zu fahren
und an diesem gefährlichen Tage die Tram-
bahn nicht zu benutzen. — Aber gerade
ratterte eine „Elektrische" heran, und die
junge Frau hob sich langsam auf die Plattform.

Hinter ihr her sauste und brauste ein
Trupp weißseidener Pierrots, kokette Mar-
quishüte standen auf kreidigen, weißgepuderten
Gesichtern, dunkel und keck leuchteten die
Augen daraus hervor. Offiziere der Equi-
tationsanstalt. Lachend umkreisten sie die
ängstlich Dreinschauende mit kühnen Kom-
plimenten, poetischen Ansprachen und zärt-
lichen Aufforderungen, als plötzlich eine große
würgende Furcht, verbunden mit einem Meer
von Selbstvorwürfen ihr lähmend über Leib

und Seele fiel, wie der hübscheste der Ge-
sellen sich heiß zu ihr niederbeugte, um ihren
Mund zu suchen.

„Weißt Du noch, letztes Jahr? Ich
wohnte Dir gegenüber. Was warst Du für
ein feines, schlankes Mädel, und das Haar
floß Dir schwer über die Hüften, wenn Du
abends auf den Balkon tratest. Wochen-
und monatelang habe ich täglich auf diesen
Moment gewartet, herzklopfend, — berauscht.
— Du, — s o berauscht! Und auf einmal
warst Du weg, — wie fortgeblasen, — und
die Abendsonne suchte Dich und Deinen
Lockenmantel und wollte auf den dunklen
Wellen spielen" ....

Seine Lippen lagen auf ihrem Ohre. Da
taute eine seltsame Gefrorenheit auf, die sie
tagelang unter ihrem Bann gehalten hatte,
ihr ging es wie ein großer, lebendiger Strom
durch den Körper, heißes, ungewohntes Leben
regte sich, heimlich zuckend unter ihrem Herzen,
und sie legte mit einer heilig ruhigen Gebärde
die Hände auf den Leib:

„Ich bin schwanger!"

Einen Augenblick floh der weißseidene
Sack jäh zurück, — mit geschlossenen Augen
und verkrampften Fäusten. Dann bildete sich
eine Gasse um das junge Weib. Besorgtes
Flüstern flog ernsthaft von Mund zu Mund
und ehrfürchtige Hände geleiteten sie behutsam
zu einem freien Platz. Die Ausgänge be-
setzen die Pierrots. Kein Unberufener durfte
in den geschützten Wagen dringen. Die kecken
Rufe waren verstummt. Schweigsam und still
bewachten zwölf seltsame, weißseidene Ritter
eine mütterliche Frau. —

Ohne zu halten, rollte die Trambahn auf
den Festplatz. Andächtig wurde die kteine
Menschenmutter herausgehoben, und mit ge-
rührten Blicken in eine leere Droschke gesetzt.

Zwölf Schellenhüte flogen klingend von
gesenkten Köpfen. . .

Zwölf gemalte Gesichter beugten sich grüßend
zur Erde...

Frigga von Lvocktdorff

Silhouette

Vergilbte Blätter, ein seidenes Band, :—
Eine tote Jugend in meiner Hand!

Ihre Knospen und Rosen, sonnenrot,

Sind hundert Jahre verblüht und tot.
Tanzende Genien, Schattenrisse,

Rosenketten, Tränen und Küsse,

Tempel der Freundschaft, laubgeschmückt,
Blumen, mit seidenem Haar gestickt,

— Blonder Seide von weichem Schein, —
Mädchenschriften, verblaßt und fein, —

Und Namen, Namen, — wer kennt sie noch? —
Und waren einst jung lebendig doch!

Aber dazwischen ein einzig Blatt,

Das keinen Namen noch Deutung hat,

Das keine Genien in leichten Tänzen
Mit Flatterschleifen und Rosen kränzen!

Ein zierlich Köpfchen nur fein und rund,
Frei die Stirne, zärtlich der Mund, —

Ein lieb Geheimnis, verhüllt in sich,

Vier Worte drunter mit leichtem Strich:
Mon ombre te suit!

Ich schaue es an, mir sinkt die Hand, —
Vergilbte Blätter, ein seidenes Band, ■—
Mir blühen aus Nebel und Traum herauf
Meine toten Tage wie Rosen auf, —

Und ein Bild dazwischen, ein lieb Gesicht,
Eine Stimme, die fern, ach fern mir spricht
Mon ombre te suit . . .

Lulu v. Strauß u. Torney

Gespräch mit einer Dame

5 i e (zweihundertzwanzig Pfund Lebend-Gewicht,
behängt mit acht Quadratmetern Pelz, mit sechzehn
Köpfen und zweiunddreißig Schwänzen. Sie strahlt,
denn sie weiß sich berauschend schön mit den von der
Kälte geröteten Wangen (0,5 qm) und dem enorm
schelmischen Blick.)

Ich (bin in Gedanken in ihren Pelz hinein-
gerannt).

Sie: Li, guden Dach, Herr Dokter, no, wohin,
Weihnachtsgeschenke kaufe? Das is schön, ach
Gott, es gibt ja nix poetischeres, wie das liebe

Heinrich Kley

Aus der Einladung zum Münchner Presse-Fest 1910
Register
[nicht signierter Beitrag]: Gespräch mit einer Dame
Frigga v. Brockdorff-Noder: Karneval
Heinrich Kley: Aus der Einladung zum Münchner Presse-Fest 1910
Lulu v. Strauß und Torney: Silhouette
 
Annotationen