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Nr. 2

J U G E N D

1910

Blasebälge

Blasebälge, blaset fein!

Blaset in mein Feuerlein!

Blaset fest und immerzu,

Blaset hu! Blaset hu!

Daß die Eisen tüchtig glüh'n,

Ueberall hin Funken sprüh'«,

Wenn ich meine Arbeit tu'.

Blaset hu! Blaset hu!

Blasebälge seid ihr alle!

Wollt nicht, daß sie mir gefalle;

Eure Ohrenbläserei

Rührt mich nicht in «reiner Treu.

Gar nichts mach ich mir daraus;

Wind löscht Feuer niemals aus.
Stärker wird mir nur die Glut
In dem Blut, in dem Blrrt.

Herz und Hammer mächtig schlagen,
Eisen kann viel Hitz vertragen.

Recht ist's so, wie ihr es tut;

Blaset hu! in mein Blut.

Albrccht Ringen

worden und Süden

Mein Schiff, von seiner Hoffnung Hauch getrieben.
Zog allzufreudig in die graue Ferne!

Mein Herz war allzu freudbereit zu lieben —
Nun ziemt es ihm, daß es verzichten lerne!

Mir träumte einst von ewig blauen Tagen,
Von roten Noseu, rankend an Cypressen,

Von Wogen, die im Schoße Perlen tragen,
Von einem Glück, das nie mehr zu vergessen-

— Vorbei! Vorbei! — Hier rauscht

durch rauhe Baume

Nur dieses Nordwinds mörderisches Tosen!

. . Weit, weit im Süden welken meine Träume —
Und andre Hände pflücken meine Nosen-

A. I>© Nora

Tat's mir der Abend an?

Tat's mir der Abend an? Aus den Portalen
Der Kerzen Schimmern? Hoch vom Turm

das Schallen?

Ein fromm Erinnern süßer weher Klänge?

Sie lockten mich, und in des Volks Gedränge
Zwang's mich zum Dom. Weihrauch,

vergessene Lieder,
Das Klingeln am Altar — ich beug mich nieder.

Hier wohnet Gott, ich bin in seiner Nähe.

Den die Vernunft geleugnet hat so zähe.

So viele Jahre, nun aus tiefstem Herzen
Kommt er zu mir: All meiner Seele Schmerzen
Und Not heb ich zu dir! Du Allerbarmer,
Dir beugt in Demut sich ein irrend Armerl

Du guter Gott! Wie gern wär ich geblieben
In deinem Haust Der Pfaff hat mich vertrieben.
Hoch von der Kanzel tönt ein wildes Drohen
Mit ewigen Martern, tausendjährigen Lohen
Im höllischen Feuer. — Lächelte nicht leise
Am Kreuz der Heiland dort auf eigene Weise?

Leo Miller

Das Urbild

von Friedrich Huch

Draußen schlug die Turmuhr. Walther schrieb
noch eine weile, daun legte er die Feder hin.
Das Konzert begann um acht, er mußte sich
beeilen.

„wo ist denn mein Hut?" fragte er sich halb-
laut, suchte ihn bald hier, bald dort, setzte endlich
eine Tuchmütze aus, löschte die Lampe und ver-
ließ das Zimmer.

Jetzt fand er seine Schlüssel nicht; er drehte
wieder um und entzündete die Lampe auf's neue.
Die Schlüssel sah er nirgends, dafür aber lag
jetzt wie hingezaubert der Hut mitten auf dein
Sofa. „Natürlich!" murmelte er halblaut, nahm
ihn auf, enthüllte damit das versteck seines
Schlüsselbundes und setzte halb zerstreut hinzu:
„Soll das nun ein Witz sein?"

Zehn Minuten später saß er in einem wagen
der elektrischen Bahn, den er gerade noch erreicht
hatte, und nun kam er in eine behagliche Stim-
mung. Das Letztgeschriebene seines neuen Buches
zog im Geist an ihm vorbei, hin und wieder
macbte er sich Notizen. Dann stand er auf einem
hellerlcuchteten platz und fragte sich: „wo bin
ich denn hier? vorhin stand doch da oben auf
dem Schild des Wagens groß und deutlich eine
Sechs, und jetzt steht da eine Dreizehn?!"

Zum Glück gab es hier Automobile. Die
Fahrt zum Kouzerthaus kostete ihn soviel wie
das Billet, aber wenigstens war er nun da. Zwar
ließ man ihn nicht gleich in den Saal, da das
erste Trio schon begonnen hatte, aber das fand
er auch ganz in der Ordnung. Lr wartete ge-
duldig, und mit gesenktem Kopfe lauschend. Der
Satz endete, es klapperte da drinnen vielfach und
verworren, und nun durfte er eiutreten. Man
wies ihm seinen platz an, und er ließ sich mit
einer leisen, höflichen Bewegung neben einer jungen
Dame nieder, die ihr Kleid ein wenig raffte.

Dann schloß er die Augen und wollte die
Welt um sich herum vergessen. Aber es gelang
ihm nicht. Das. junge Mädchen neben ihm hielt
eine kleine Partitur auf ihrem Schoß, und jedesmal,
wenn sie die Seite wendete, gab es ein fast un-
hörbares, leichtes Knistern. Er bemühte sich, es
nicht zu beachten, beachtete es aber unwillkürlich
nur um so schärfer. „Ich lese einfach heimlich
mit!" dachte er schließlich, „dann stört es mich
überhaupt nicht mehr!"

Er tat es eine weile, und nun schieil ihm
alles schön und friedlich. — wieder wendete
sie eine Seite um, strich das Blatt zur rechten
vorbereitend leise glatt und ließ die Hand dann
auf ihm liegen. Unbewußt blieben Walthers
Augen auf ihr ruhen, während er die Musik
nicht mehr las, sondern nur noch hörte. Dann
verlor sich auch die Musik in eine Ferne. Sinnend

Ferdinand Staeger

betrachtete er diese Hand. Er kannte sie. Wo
hatte er sie nur gesehen, diese schlanke, schön-
geformte Hand, die so mädchenhaft herb und
doch so mütterlich war? Er suchte in seiner
Erinnerung. So ausdrucksvoll erschien sie ihm,
wie ein ganzer Mensch. Und er kannte auch
diesen Menschen. . . ganz nah sogar...

Er verlor sich in immer ferneres Nachsinnen,
seine Ahnung verdichtete sich schon fast zu einer
Ferm. Da lehnte er sich leise zurück und sah auf
das Gesicht, das zu dieser Hand gehörte. Das
visionäre Bild, das sich vor seinem inneren Auge
zu formen begonnen, zerlöste sich wieder vor der
Wirklichkeit, so wie dem Einschlummernden durch
ein Geräusch der Außenwelt die Seele wieder
wasserklar und durchsichtig wird, nachdem ihre Ober-
fläche eben anfing sich schimmernd zu kristallisieren.
„Und doch irre ich mich nicht!" dachte er, indem
er auf die Hand zurücksah, die als ein offenes
und doch verschlossenes Rätsel unbeweglich dalag.

wieder wurde seine Seele entrückt, Bilder
wie ans einem andern Leben tauchten vor ihm

auf, halb gesehen und schon verloschen-da

plötzlich wußte er es: Dieses Mädchen erinnerte
ihn an jemand, den es garnicht gab . . an eine
geliebte Gestalt aus einem seiner Bücher, die
nun längst der Vergangenheit angehörten und
doch noch so lebendig in ihm lebten. Und das
Gesicht — wieder betrachtete er es heimlich —
ja auch das Gesicht erinnerte ihn an jenes
Mädchen.

Er senkte den Kopf, und während die Töne
still und weich den Raum durchzogen, träumte
er sich mehr und mehr in eine unreale Wirklich-
keit hinein. Jene Gestalt, die bisher nur in
seiner Seele lebte, hatte sich zu Blut und atmendem
Leben gewandelt, war wirklich Mensch geworden.
Diese Empfindung bewegte ihn mit einem süßen
Schauer.

wieder füllte ein lautes Klappern den Saal.
Die Musik war beendet. „Unsinn!" dachte Walther,
„jetzt habe ich von dem ganzen herrlichen Satz
nichts gehört wegen dieser albernen Träumerei."

Er wechselte den Platz, aber es gelang ihm
nicht, seine Gedanken ganz auf die Musik zurück
zu richten, während des letzten Teiles faß er
wieder da, wo er zuerst gesessen, und jetzt hatte
er nur noch den einen Wunsch: Dies Mädchen
kennen zu lernen.

„Die Illusion geht sicherlich zum Teufel!"
so sprach er nach Schluß des Konzertes zu sich
selbst, während seine Beine sich bestrebten, in dem
Gedränge ihre Spur nicht zu verlieren. Und
wenn sie nun wirklich jener Gestalt seines Buches
glich, war es da nicht schwer, eine Form der
Annäherung zu finden, der nicht sogleich auch
eine Abweisung folgen mußte? Er fand sie
nicht. Zudem bemerkte er jetzt, daß sie in Be-
gleitung einer Dame war. „was sie für feste
und schöne Bewegungen hat!" dachte er, indem
er zusah, wie sie sich ihren Mantel anzog. Da
traf ihn zum ersten und einzigen Male ein Blick,
nicht abweisend, auch nicht freundlich, aber sicher.
Und er schien zu sagen: „Ich habe etwas be-
merkt. was soll das?"

Am nächsteil Tag studierte er die Kouzert-
programme der Woche, und ein paar Abende
darauf war er wieder in dem Saal. Die er
suchte, schien nicht da. Als er aber später wieder
in das Vestibül hinabging, stand sie plötzlich ganz
in seiner Nähe, wie aus dem Boden hervor-
gcrufen... Er mußte sie dort oben übersehen
haben. Sie war allein. Sein Herz begann stark
zu schlagen: „Soll ich sie anreden, ihr anbieten,
Hut und Mantel für sie aus der Garderobe zu
besorgen ?"

Er tat es nicht. Diese Art des Bekannt-
werdens erschien ihm zu gewöhnlich. „Aber ge-
sehen hat sie mich doch!" Deutlich hatte er zu
bemerken geglaubt, wie sie bei seinem Anblick
ein klein wenig stutzte, „wie dumm ist man!"
dachte er auf der Straße, tu der freien Luft,
„hier wäre nun eine Gelegenheit gewesen, wie
sie vielleicht nie wieder kommt."

Er beschloß, ihr jetzt wenigstens zu folgen,
aber über seine Gedanken hatte er sie aus dem
Register
Ferdinand Staeger: Der Wanderer
Leo Miller: Tat's mir der Abend an?
A. De Nora: Norden und Süden
Albrecht Ringen: Blasebälge
Friedrich Huch: Das Urbild
 
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