Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Gedichte

von will Vesper (München)

Eros singt

Fliegt meine Fackel und Funken
Ziehn durch das Dunkel der Nacht,
Liebesselig und trunken
Hab ich die Erde gemacht.

Still steht der Atem des Windes.

Nur der Springquell noch spricht.

Aber des lieblichsten Kindes
Traume erschreckt er mir nicht.

Traume sind lüstern wie Bienen
Wühle» nach Honig und Staub.

Wo mir die Mädchen nicht dienen,

Ziehen die Träume auf Raub.

Fliegt meine Fackel und blühen
Muß es, wohin ich sie stell. ^

Wenn auch die Sterne verglühen,

Wird es noch lange nicht hell.

Flecht ich ein Gitter von Rauken,

Dringt keine Sonne herein.

Nur im Dunkel der schlanken
Fackel ewiger Schein!

An einen Toren

Zweifelnd Hab ich oft vor dir gestanden,

Wenn du alle deine Sehnsucht schicktest
Weit hinaus, und über Gräber blicktest
Nach den fernen, gottersüllten,

mir so sehr verhüllten Landen.

Fandest du nun hin?

Ich seh noch ganz
Deine Blicke, wie sie überquollen
Von dem tiefen Glanz der sehnsuchtsvollen,

schmerzenden Gedanken.
Sieh, auch meine Füße wanken irre,

Meine Sicherheit ist auch dahin.

Einstmals wußt ich, dieser trübe Funken
Leben ist so bald, so leicht versunken
In der Asche und hat wenig Sinn.

Aber seit du dich von mir gerissen,

Jetzt will mir vor meinem Wissen grauen.

Sag ein Wort! Dich hat der Tod belehrt!
Darfst du festes Land und Heimat schauen?
Oder bist du ganz von ihm verzehrt?

Ruf ich dem, der auch kein Schatten mehr?

Ist das ganze All von deinem Leben leer?

Sag mir, wo du bist! Wo gehst du hin?

Daß ich wieder bei dir und dein eigen bin.

Abendgesang

Von Hans Brandenburg (München)

Die Täler atmen Frieden. Der Abend wölbt
Ein Tor zu großen Wundern auf sidem Weg,
Und alle Dinge sind ruhig in sich selbst.

Ach, auf dem Pfad, der wilden Rosen vorbei
Und über Stege empor zum Himmel führt —

Tritt leise, leise auf.

Wie eine Orgel rauscht der tiefe Bach,

Mein betend Auge füllt sich mit rotem Licht
Und auch die Bäume, wo unter jedem Blatt
Süß atmend ein Engelkindlein mit Lächeln schläft.
Fern wächst das Gebirg in silberner Andacht hoch:

Tritt leise, leise auf.

Nun hebt meine Seele sich, innigen Dankes voll,
Zum Himmel empor im Flötenzwiegesana,

Der sanften Anhauchs in feuchtem Schimmer bebt
Und perlend schluchzt und in Tränen schmilzt,
Bis alle Himmel von ihm erglühn —

Tritt leise, leise aus.

Ferdinand Spiegel (München)

„Jung-München"

Drüben in Pullach, in einem morschen
Schweizerhäuschen an steilem Abhang, fand
man sich einst zusammen: ausgeschlüpfte Pro-
vinzpennäler, die der lichte Schein der Kunst-
stadt hoch und fern am Himmel des Lebens
herbeigelockt aus Nord und Süd.

Offiziell und von Papas wegen war man
Philologe oder Mathematiker oder gar Jurist.
Aber es stand glänzend fest, daß man eigentlich
ein Dichter war.

In jenen Frllhjahrsnächten des Isartals sang
die Gitarre das leichtgeflügelte Lied der frohen
Stunde und im Herzen wuchs und schwoll der
prometheische Erstling, an dem jeder heimlich
dichtete. Mancher, der die Stirn in bewußtere
Falten legte, trug wohl auch schon das fertige
Meisterwerk in der Brusttasche. Und der und
jener ließ es schließlich gar drucken. Aber gott-
lob nicht alle!

Föhnwind brauste das Tal hinab und die
Ahnung des kommenden Lenzes machte die
Stirnen heiß und weitete die Brust zum jugend-
lich überlauten Gebet an das stumme Geschick:
O gib, o gib uns den Sieg!

Ja, Jugend dünkt sich furchtbar klug. Betet
zu allen Zeiten zur steinernen Sphinx des Le-
bens: O gib uns dein Rätsel zu raten! Und
wähnt sich stets am Morgen eines großen Tages,
der auf sie wartet. Ahnt nicht, daß sie viel-
leicht am Abend geboren ward. Meint, der
große Stundenschlag der Zeit folge ihrem Geheiß.

Und siehe, Abend war's, da wir ins Leben
traten, und was uns ein Frührot schien, war
der verzuckende Brand eines sinkenden Gestirns.

Die naturalistische Revolte, dieser Bauern-
aufstand im Reiche der Kunst, hatte sich aus-
getobt. Und die Größten und Reifsten, die
seinen Morgen und sieghaften Mittag erlebt
hatten, rüsteten sich in seiner Dämmerung für
einen künftigen Morgen.

Den Zwanzigjährigen aber, die damals als
Neulinge ins Leben hinaustraten, winkte noch
das blutrote Banner seiner Instinkterlösung.
Und ihre Pubertätsromantik verdingte sich diesem
derben Korsar und ließ ihre Ideale an die Ruder-
bänke seiner sinkenden Galeere schmieden; und
betete gierig zur roten Flagge am schwanken
Mast: gib uns, o gib uns den Sieg!

Doch diese hatte ausgesiegt. Nirgends aber
winkte vorerst eine andere. Und Jugend hat
Eile. Hascht wahllos nach irgend einem Ziel...

Und da kamen die Ragouts aus andrer Leute
Schmaus, in denen alle geschwätzigen Unwichtig-
keiten und typischen Banalitäten ungereifter
Sexualität erbarmungslos kleingehackt und mit
etwas neuromantischer Stimmungssauce aufge-
wärmt waren. Und eine Zeitlang schien es,
als sollte das in Schwabing Mode werden.

Gleichzeitig schielte man nach Berlin. Dort
ist man weiter voran. Wir wollen's nicht leugnen.
Dort im gewaltigen Hammerwerk des modernen
Weltstadtdaseins dielet der Zyklopenkampf Brust
an Brust mit der stahlgcpanzerten Zeit ein Bild

von neuartiger Größe. Bon allen ,

schillert diese grellbunte Welt, ein braim?^
Cbaos unsäalicber Sebnsüehte imx . ndes

Chaos unsäglicher Sehnsüchte und hotmlo^

^itnf f?.tn 9^rtfipf+nrm X«-* r—. ^ -^v^ltbet

im

pri
te
izi
m
A
lf

|mmcrbar bereit stehen ' fürchte erlösenden %

Qual. Ein Babelturm, der in den

ac
n
ig

i

3e

endlos weiten Schlachtfeldern der KultH v

tmtitorSm* fioveh f+dfim* fti«. ' «W

wachsen möchte. Doch da spricht jeder die

fernes knf+fmrerr _ . PfQd)e

»te

nz
en

erkenntnis prächtig auf. Unten ab'er"'a„?^

^»««kosmen, die mit
ü '

begnadete Gipfel ein Aphorismus neuer

tyrtäischer Gebärde das Hohelied ihrer wm«.
Existenzen stammeln.^ Zwar blitzt bisweilln^

volutronen des heiligen Hasses und der mo^
Liebe, machen virtuose Harlekinssprünae üli?
reifen Intellektes und der Kretinismus öitfi!f
Mischer Kunstlüge sich breit. ^ '

Dieser Fieberhauch aus den Essen der Mn
stadt wehte auch über München hin, und e°
schien eine Zeitlang, als habe er in Schwabin
verdächtige Keime gestreut. ^ ^

Denn Schwabing besitzt ein weites, gar emn
fängliches Herz. Es ist die ästhetische Experimen
tierstation der Kunststadt München. Die wunder
liche Wahlheimat aller hergereisten Spleme-
eine gastliche Freistatt für jegliches „Schlawmer-
tum', ein Asyl für alle outsiäers der Burqer-
lichkeit.

Jeder kann da Meister werden in irgend
einem Kreis von Jüngern. Und kann stolz mit
diesem Knappentroß die Leopoldstraße hmunter-
wandeln. Bis ans Siegestor wird man ihm
seine Bedeutung glauben. Da gehen gemessenen
Schrittes die „Ästhetischen" und dort kommen
mit interessanter Blässe die „Erotischen" daher.
Sie lieben einander nicht.

Fremde, feindliche Nomadenstämme sind sie
im gleichen Schlaraffenland der Einbildung.
Und wenn ihre Kriegspfade sich begegnen, dann
kreuzen sich die kühlen, verächtlichen Blicke wie
scharfe Schwertklingen. Aber sonst tun sie
einander nichts. — --

Doch will mir scheinen, daß dies Schwabing
sich mählich verändert Immer enger ziehen
sich die wirren Einflußkreise jener Literaten-
zünfte, — immer enger um den verschlingenden
Schlund der eigenen Nichtigkeit: — Kyrie elei-
son ! Es ist nicht schade drum.

Jawohl, Schwabing „entschwabingert" sich.
Langsam scheint die absichtsvolle Originalität-
sucht abzubröckeln, und die „Einzige mit ihrem
Eigenkleid und ihrer Eigenfrisur" zeigt sich
seltener auf der Leopoldstraße. Das hat seinen
guten Grund: Die ästhetische Versuchsanstalt
hat ihren Zweck erfüllt. München bekomint
mählich seinen neuen künstlerischen Einheitssill,
und all die nomadischen Sehnsüchte, die norm
wärts des Siegestores ihre unsteten Zelte aus-
geschlagen hatten, gehen so dem Kanaan der
Erfüllung entgegen; stimmen sich willig auf die
neue klangvolle Note, auf das Leitmotiv mo-
derner Renaissance.

Ja seht, Schwabings Herz ist ernster und
weiter, als ihr dachtet. Es dehnt sich aus dcr
schwülen Kaffeehausenge über den EngWen
Garten hinaus zur taufrischen Freiheit bet w
natur. Und hier weht ein kühner, ein gesum
Wind. Den atmet die Jugend, die allen Litera e •
kliquen fern, das Ohr an die Brust der Erde leg
und der starken Sprache des Lebens lauscht.
Jugend, die nicht so flink war im Ratsello! ,
die sich erst klein und armselig dünkte vor
Größe der Zeit und bescheiden, ernst aus g
Stunde wartet. Die sich erst sammelte zur gll >
Andacht des Erlebens, um einst die goldne pr
ihres mutigen Schweigens zu ernten

Horch! Schon zittert bisweilen ein !
Geigenton auf der Saite der Verheißung. 1
hören wir zage Knabenschritte des Gehle,

zum Leben will. ,

Glaubt mir, es ist der Vormärz der Zu -
der da kommt. Der noch ungekannte,
genannte Nachwuchs dieser Kunststadt, pi |(
sam, aber stetig reift, wie draußen die 1 ^
Natur, wie die brache, braune Frühling .
aus deren Tiefen über Nacht die jung«.

des Lebens bricht! ,

lteue *ie
Register
Will Vesper: An einen Toten
René Prévot: Jung-München
Ferdinand Spiegel: Der Vogelbauer
Hans Brandenburg: Abendgesang
Will Vesper: Eros singt
 
Annotationen