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Der Herr Landarzt Ferdinand Staeger (München)

Sachen. Sie sind eine Art von Spielzeug, das,
der heimatlichen, ordnungsgemäßen Schachtel
entnommen, durch viele Hände gleitet und sich,
meist in irgend einer Weise ramponiert zurück-
gekehrt, nicht mehr recht einschachteln lassen will.
Sie werden bewundert, man schenkt ihnen was,
sie gehen sauber und hübsch angezogen und
sitzen so zu sagen auf dem Präsentierbrett. Ich
Straßenkind fand mich bald in die Rolle der
Prinzessin, ließ mich bewundern und beschenken,
fand meine Tanten zu dick, meine Onkel zu
dünn, den Rhein zu schmal, den Kölner Dom
zu niedrig, das Essen gut und die Schokolade
besser. Meiner Umgebung erschien ich als ein
ziemlich artiges, ganz niedliches und nur leider
ein wenig geistig beschränktes kleines Mädchen.
„Aber Du brauchst Dir keine Sorgen zu machen,
sie wird heiraten, und dann schadet das weiter
nichts," versuchte eine wohlmeinende Tante
meine Mutter über meinen geistigen Defekt
hinweg zu trösten. —

Also der erwähnte Vetter war der erste reifere
Mann — er zählte 14 Jahre — der in mein
Leben trat. Wie er aussah, weiß ich nicht mehr,
er hatte ein Gesicht, das man nicht behalten
kann, jedenfalls war es weiß und rot und blond
und blau. Seine geistigen Qualitäten stimmten
mit den meinigen überein. Er sagte mir nichts
von Liebe, er sagte überhaupt, glaube ich, nie
etwas zu mir . . . oder doch! . . . Ich will nicht
lügen, einmal, als wir über die Straße gingen,
zeigte er auf einen Bäckerladen und äußerte:
„Hier bekommen wir die Semmel her." —

Das ist die einzige Unterhaltung seinerseits,
an die ich mich erinnere. Und trotzdem spielte
er in meinen Träumen lange Zeit meinen „zu-
künftigen Mann." Einen Mann, der mit mir
spazierengehen mußte, das war alles was ich
von ihm verlangte und in welcher Eigenschaft
ich ihn auch am besten kannte. Eines Tages
aber hatte ich ihn „fertig" geträumt, das heißt,
er war nicht mehr mein zukünftiger Mann'
weil — der nächste an die Reihe kam. — —

Wir hatten Besuch bekommen von einem
jungen Violinkünstler. Ich wurde mitten aus
der Gala-Elite-Vorstellung meines Lebens vom
schäumenden Schaukelpferd herab geholt, um den
Besuch zu begrüßen. Auf der Veranda saß ein

junger, brünetter Herr und löffelte seinen Kaffee
aus. Ich war sehr enttäuscht, ich hatte mir
einen Künstler anders vorgestellt.

„Ah, guten Tag," sagte er, „Sie sind also
die Josefa?"

„Du!"

„Sie wollen Reiterin werden, wie ich höre?"—

„Du!"

„Wie meinen Sie?"

„Du! Sie sollen ,Drst zu mir sagen. And
das mit dem Zirkus ist längst vorbei, ich trete
ja heute zum letzten Mal auf, denn ich geh
doch jetzt zum Ballett."

„O verzeihen Sie."

„Du!"

Abends spielte er uns vor. Ich durfte auf-
bleiben. Es war das erste Mal, daß ich mit
Bewußtsein gute Musik hörte. Er spielte mit
künstlerischer Vollendung, mit aller Bravour
des Virtuosentums, und dennoch fern allem
virtuosenhaften; die Offenbarung einer vor-
nehmen, künstlerischen Seele war es. Als er
sein Spiel beendet hatte, hing ich nur noch
halb auf dem Stuhl; ich fühlte mich müde und
zerschlagen, niedergedrückt von einer unfaßbaren
Seligkeit, zu schwer für mein junges Sein, um
mich leicht von ihr emportragen zu lassen.

Meine Mutter sagte: „Sehen Sie das Kind!
Es ist ganz hingenommen."

Ich ging ohne die übliche Lamentation zu
Bett. Als ich dem Künstler gute Nacht wünschte,
fügte ich hinzu: „Danke auch vielmals, und wenn
Sie gern wollen, dürfen Sie,Sist zu mir sagen."

Einmal half mir dieser vielseitig gebildete
junge Mann bei meinem Aufsatz. Ich erhielt
eine „Vier". Er war außer sich, ich zuckte nur
mit den Achseln und verschwieg, daß ich alle
die „feinen Ausdrücke" von ihm als „zu fein"
für mich fortgelassen oder durch banale Worte
ersetzt und so ein krllppelhaftes Machwerk ab-
geliefert hatte. — Beim Abschied drückte er mir
die Hand und sagte: „Sie werden einmal meine
kleine Frau."

Ich erwiderte nichts, ich war noch ein Kind,
so kindlich, daß ich nicht einmal rot wurde, es
hinnahm wie etwas Selbstverständliches oder
etwas ganz Gleichgültiges, etwa, als ob er ge-
sagt habe: Ich schreibe jetzt eine Ansichtskarte.

Später erinnerte ich mich dieses Ausspruches
sehr wohl, später, als er meine „grande passion“
wurde. Denn dazu avancierte er, zwar erst
nach Jahren, als ich kaum mehr wußte, wie
das Objekt meiner Liebe eigentlich ausgesehn.
Und diese Liebe, die von der Phantasie so posl
kestum erweckt war, wurde zu einer Art von
Sammelwut, von der ich zu Zeiten befallen ge-
wesen, wie Kästen voll Muscheln und Liebig-
bilder noch beweisen. Ich trug alle schmückenden
Eigenschaften zusammen, um sie meinem Ideal
einzuverleiben, wie die bunten Karten dem
Sanimelalbum. Aber als ich dann die lebendige
Sammlung wiedersah, war sie lange nicht so
glanzvoll, als ich gedacht. Es ging mir, wie
es einem so oft mit den Dingen aus der Jugend-
zeit ergeht: man findet sie verstaubt und ver-
blaßt, und kann garnicht mehr begreifen, daß
man einmal seine besten Kräfte hingegeben Hai,
um sie zusammenzutragen. Man klappt sie zu
mit einem leisen Lächeln der Wehmut und schiebt
sie zwischen die andern zusammengeklappten
Iugendträume im untersten Schubfach des Lebens.

Und wieder war es ein Jüngling aus der
Fremde. Er sollte hier die Oberklassen des Gym-
nasiums besuchen und nebenbei im Familienver-
kehr seine etwas zu lebemännischen Gewohn-
heiten ablegen. Er kam mit guten Empfehlungen
zu uns, zeigte sich als normal begabt, von schlan-
kem Wuchs und einiger Eleganz des Aeußeren.
Er schaffte sich sofort drei Flammen an und be-
handelte mich sozusagen als seelischen Papierkorb.
Ich nahm seine Ergüsse hin wie etwas, das man
der Höflichkeit halber ertragen muß, ordnete
inzwischen meine Sammlungen, lernte Vokabeln
oder zeichnete mit dem mir eigenem Talent aller-
lei Charakterköpfe auf unproportionierten Ge-
stalten und schob höchstens mal ein gleichgültiges
,fo‘ oder,allst ein und zwar meist, da ich nicht
zuhörte, an den ungeeignetsten Stellen. Eines
Tages — es war ein schreckliches Regenwetter,
und wir saßen mißlaunig in der Dämmerung
beisammen, ohne uns für ein Spiel oder eine
Unterhaltung entscheiden zu können — sagte
er: „Ich weiß nicht, die Elly — das war Flamme
No. eins — ist jetzt immer so albern."

„Das wußte ich längst, daß sie ein Affe ist,"
erwiderte ich, da ich augenblicklich nicht ander-

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Ferdinand Staeger: Der Herr Landarzt
 
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