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alles, vornehmes, freudeloses Haus. Der Vater
gealtert, ein müder und ausgebrannter Mann, der
nie über den engen Zaun seiner Standesvor-
urteile hinausgesehen hat und von der lebendigen
Welt da drauß.n kaum etwas weih. Er lebt der
Jagd, übt pedantisch ein geschäftiges Nichtstun,
schreibt ohne Ende an einer zwecklosen Familien-
geschichte, führt Buch über das Wetter, das Wild,
das er getötet, die Zigarren, die er geraucht hat.
Die Mutter hart und streng, bigott bis zum Un-
faßbaren, noch viel ahnenstolzcr als der Vater,
weil sie aus regierendem Hause stammt. Ganz
ohne menschliches Verhältnis zu ihren Kindern.
Es gibt überhaupt nichts, was sie liebt. Sie er-
weist Vielen Wohltaten, aber so, daß die Leute
mit den Zähnen knirschen und hinter ihr die Faust
ballen. Zwei Söhne, zwei Töchter sind wir. Der
älteste Bruder führt ein wüstes Leben bei einem
Kavallerieregiment in der Hauptstadt! kommt er
nad) Hause, so kniet er jeden Morgen neben der
Mutter in der Schloßkircl>e. Aber es vergeht kein
Jahr, ohne daß er in neue Skandale mit Frauen
verwickelt ist. Der zweite ist in die weite Welt
gegangen aus Abscheu vor dem Elternhaus, in
dem von ihm nie mehr geredet wird. Meine
Schwester willenlos, kränklich, eine halbe Nonne —
beten, beten, beten! Und nun ich, die Jüngste —
neunzehn Jahre! Seit ich denke, haßten wir uns,
ich und meine Mutter, seit ich denke, war icl)
hungrig nach dem Leben, durstig nach etwas, was
schön ist und Freude macht, nach Menschen, die
lachen können, die einen Willen und offene Ge-
sichter haben. Bei uns erstarb alles in Ehrfurcht,
gab cs nur dressierte Sklaven mit krummen Rücken.
Auch Dienstpersonal, das jung und frisch gewesen
wäre, duldet die Mutter nicht im Haus. Und
and) keine Bücher, die uns vom Leben sagten,
nicht einmal fromme, außer den Andachtsbüchern.
Wenn ich etwas lesen wollte, steckte mir's der
alle Hauskaplan heimlich zu — der einziges der
etwas freier bad)!c. Unter ganzes Leben ein einziger,
frostiger Nebeltag! Was wir Feste nannten —
Orgien der langen Weile!

Darum fiel ich dem ersten in die Arnie, 8er
zu uns kam und jung und ein Mensch war. Er
war ein Architekt, der einen Schloßflügel anbauen
sollte, hübsch, lustig, unterhaltend. Er war aus
gutem Hause, aß mit uns am Tisch, erzählte von
der Welt, von, Ausland, fand eine alte Laute im
Harise rurd sang uns Lieder vor. Die Mutter
sah ihn mit böten Blicken an, aber er gab keinen
Grund, daß sie ihm etwas anhaben konnte.

Bis wir uns fanden, bis ich mich ihm an
bcn Hals warf. Es war wohl im Grunde gar
nicht seine Person, cs war auch nidjt der Mann
in ihm, der mich gefangen nahm, cs war das
Leben, das er allein vertrat in bicfciii Toten-
haus! Wir trafen uns ein paar Mal im Park
— das Verbotene übte seinen Zauber an meiner
niedergehaltencn Seele. Als wir uns das erste
Mal geküßt hatten, kam meine Mutter dazu,
die mir nachschlich und auflauerte. Vielleicht
hatte sie einmal einen Blick aufgefangen, den
er mir zuwarf, oder ich ihm. Dann kam eine
Szene, die furchtbar rurd häßlich war. Furcht-
bar wegen der maßlosen Härte, mit der mich
die Mutter scl>alt, namenlos häßlich wegen der
würdelosen Feigheit des Mannes, an bcn ich
mich verloren hatte. In seiner Verlegenheit
gab er ohne Schonung zu verstehen, ich sei
ihm zuerst entgegengekommen, sonst hätte er
nie gewagt. . .

Ich verlebte ein trostloses Jahr, fast wie
eine Gefangene. Ohne die Begleitung der
Mutter tat ist, keinen Sä,ritt mehr aus dem
Schlosse, mein Leben wurde noch öder und trost-
loser als cs schon vordem gewesen war — ich
sah nur mehr erbarmungslosen Haß und Miß-
trauen um niiel,. Dann war ich reif — be-
reit, jedem zu folgen, der um mich werben
würde! Nur heraus, heraus aus dieser Hölle!

Als mir die Mutier mitteilte, man plane
meine Verbindung mit — dem da, sagte ich
ja, ohne auch nur sein Bild gesehen zu haben.

Er kam, und iä> erschrak. Jeder Zug an ihm
stieß mich ab. Er ist dumm und dünkelhaft,

Auf meinen Amethystblock

Steinerne Veilchen,gewachsen krystallischerStrauß,
Urjuwele» aus Edelgebirge geschlagen,

Zierliche Gipfel ragen

Mir auf dem Tische mitten im städtischen Haus.

Manchmal leg' ich um dich die Hand,

Starke saugend. Ich fühle Land.

4 Ernst Lissaner

Zur Schau gestellte Negerfrau

Ganz dem Drang zu schauen hingegelke»
steht die Menge spöttelnd um ein Bild,
um ein braunes unbewegtes Lebe» —
schönes stummes Tier, so neu und wild.

Stumme Frau: die schwarzen Augen gleiten
unberührt durch dieses fremde Land,
keinem Lufthauch fühlt sie sich verwandt,
keinen Lichtern, keinen Dunkelheiten.

Alles fremd. Ihr Junges ans dem Schoß,

Von Gesichtern blöd und frech umgafft,

lagert sie, gefügig ihrem Los,

voll der Hoheit stiller Mutterschaft.

4 A. M. Frey

Ein Händedruck

Man muß den Worten, die ein stolzer Mund
Mit schönem Klang, gesuchten Sinnes, spricht,
Nicht immer glauben! jedes Wort ist rund
Und fügt sich perlengleich in ein Gedicht.

lind auch das Auge übt die strenge Psticht
Der Wahrheit selten, und cs gibt nur kund,

Was ihm des Hirnes heimliches Gericht
Zn sagen heißt — und cS verschweigt im Grund.

Die klare Wahrheit spricht allein die Hand,

Die, was man fühlte, was man echt empfand.

In einer Sprache sagt so schön und schlicht —

Es spinnt und webt der klingende Verstand
Umsonst sein dichtes Wort- und Blickgewand:

De:i Händen glaube, denn die Ingen nicht!

Norbert Lynkke

Han« Schlier

roh, ohne jede wahre Bildung. Aber er befreite
mich doch aus dem Elternhause — ich gab mich
drein. Die Vorbereitungen zur Hochzeit brachten
Leben ins Haus, wir sahen öfter wieder Men-
schen, ineine Aussteuer wurde angefchafft — das
alles betäubte mich ein wenig. Alle Gedanken
an die Zukunft schob ich von mir, freute mich au
meinen Kleidern, an meinem Schmuck, den Ge-
schenken der Familie. Bisher halte ich ja fast
kein persönliches Eigentum besessen. . . .

Heute war die Hochzeit. Als ich im Braut-
kleid in den Saal trat, stand — er plötzlich vor

mir, in blitzender Uniform, mit Orden bedeckt. Es
durchschauerte mich, iä, fühlte mit einem Sä>lage
eine Abneigung, die schon mehr Ekel war. Dem
gehören, dem? Das war ja noch schlimmer, als
die Nähe der Mutter! Wie sah er hohl aus,
wie armselig mit seinen verlebten schweren Augen,
seiner niederen Stirn, dom tierischen Zug um deir
Mund. Und wie sein Blick meine Gestalt umfing!

Die ganze Hochzeitskomödie ging an mir vor-
über, wie ein gespenstisches Schattenspiel. Ich
sah Gesichter und wußte nicht, wem sie gehörten,
ich hörte Musik und Worte — aber nur deren
Klang, nicht deren Sinn. Während der Tafel
saß — er neben mir und trank und trank

— und hin und wieder sagte er leise etwas zu

mis, was mir das Blut ins Gesicht trieb. O,
wie ich ihn haßte!

Dann war ich znnr lejzten Male allein in
meinem Mädchenzimmer, wo ich mich umkleidete.
Ein Grausen hatte mich gepackt, eine würgende
Gingst vor dem, was kam. Da fiel mein Blick
zufällig auf ein sehr kleines, scharfes Messer auf
meinem Schreibtisch. Es war mir ein Licblings-
stück gewesen, wegen der hübschen Arbeit der Schale

— ein Bester Halle es mir einst aus Japan mit-
gebrncht. In den Griff ist ein silberner Mond
eingelegt über Wellen, auf bcncn Blütcnblätlcr
schwimmen.

Das Messer steckte ich zu mir, ohne Absicht
zunächst — bloß in dem Gefühl: nur nicht wehr-
los sein, wenn etwas Furchtbares kommt! Und
jeßt weiß ich — es wird kommen — er wird sein
Recht wollen, er wird widerlich und täppisch sein

— und ich werde mich wehren! Irgendwie! Ihm
werde iä> nichts tun — er will ja nur sein Recht!
Aber ich will mein Recht auch, mein Recht an
mir selber — mir graut vor diesem Mann, be-
rührt er mich, dann —"

Ich hatte die Vision, wie eine blanke, leicht-
gebogene Klinge siä) in eine weiße Frauenbrust
bohrte. Dann war es, als ob ein Vorhang fiele.
Die blauen Ringe leuäiteten nicht mehr durch die
Lider der Frau mir gegenüber. Sic schlug die

Augen auf und sah fremd und starr an mir
vorbei. Der Zug ratterte fort — die beiden
Männer im Abteil schnarchten. Endlich polter-
ten die Räder über Schienenkreuzungen, man
spürte die Bremsen, Lichter blitzten mit bunten
Augen durchs Fenster herein — Klirren rurd
Kreischen der Räder — der Zug hielt. Der
Name irgend einer kleinen Residenzstadt auf
einem transparenten Schilde wurde über dem
Bahnsteig sichtbar.

In der Türe des Abteils erschien wieder
der livrierte Diener. Der Mann neben mir
sprang verschlafeir auf und berührte seine Frau,
die bewegungslos sitzen geblieben war, an der
Schulter: „Mcchtild, wir sind da!"

Sie richtete siä) wie taumelnd auf und ihre
Augen drückten eine fiebernde Angst aus. Dann
nahm sie mit unsicherem Griff ihren Hut und
drückte ihti langsam auf ihr Haar. —

„Schnell, schnell Mechtild — wir haben
nur eine Minute!"

Der Bediente nahm die Handtaschen. Die
junge Frau ging zögernd, fast schwankend
hinaus, und als sie mich dabei anstieß, schien
sie mit der Grimasse verbindlichen Lächelns ein
Wort der Entschuldigung zu sagen. Vernehm-
bar war es nicht.

Draußen auf den, Bahnsteig eine Gruppe
elegant gekleideter Menschen, ein paar kleine
Mädchen in Weiß mit Sträußen. Ein Hände-
schütteln — eine alle Dame, die die junge
Register
Ernst Lissauer: Auf meinen Amethystblock
Norbert Lynkke: Ein Händedruck
Hans Schlier: Wäscherin
Alexander Moritz Frey: Zur Schau gestellte Negerfrau
 
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