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Das fliegende Geld

Don Gottfried Kölwel

Der kinderlose Witwer Andreas Wulf, der oor Jahren fein Gut ver-
kaufte, weil ihm die Dienstboten, wie er sagte, mehr auS den Schüsseln
stoßen als die Schweine aus dein Trog, bewohnte seitdem ein kleines
Haus in Hardt.

Obgleich es ihm fein Reichtum ermöglicht hätte, sich mit Bequemlich-
keiten zu umgeben, beschränkte er sich auf eine einzige Stube; die andere,
die noch im Hause engte, vermietete er an eine alte Anverwandte, um
jemand zu haben, der ihm Ln der schwarzen Küche den Kartoffelbrei
bereitete, bei der Suppe das Schmutz sparte und nicht mit vermessenen
Augen vom geräucherten Speck schnitt.

Allen Dörstern war es bekannt, daß der reiche Bauer karger als ein
Taglöhner lebte, Kaffeebohnen als Benteldiebe bezeichnete und den BLer-
krug stets mit Wasser füllte.

Die Ellenbogen auf das Fensterbrett, das eingeschrumpfte Gesicht in
die knochigen Hände gestützt, lehnte er stundenlang hinter geschlossenem
GlaS und betrachtete durch das Gitter, das er zum Schutz vor Dieben
hatte anbringen lasten, alle Vorübergehenden. Triw eine Bäuerin einen
neuen Schurz, ein Bauer eine neue Samtweste, Audi?as Wulf hielt alles
für Verschwendung. „Die Leute können nicht mehr sparen, sind alle ihrem
51 Geld feind," murrte er, hob daS Gesicht aus den Händen, zog die Ellen-
bogen vom Fensterbrett und verkroch sich in die dunkle Tiefe der Stube.

In der Ecke, neben dem Bett, klotzte ein Eichenfchrank. Ein großer
Schlüssel, den Wulf aus der Hosentasche zog, öffnete das schwere Schloß.
Erst, nachdem die Vorhänge zugezogen, die Türe verriegelt war, griffen
die langfingerigen Hände des Bauern nach dem Leinensack, der unter
Wäsche Uiid Kleidungsstücken verborgen in der Schrankecke lag. Sechsmal
ringelte sich der Strick vom Hals des Sackes. Auf dem wurmstichigen
Tisch, einem Hausgerät aus Urväterzeiten, breitete sich das Geld allmählich
aus. Zuerst schied der Bauer das Gold vom Silber, dann wieder die
Zwanzig- von den Zehnmarkstücken, die Fünfmarkstücke von den Talern,
die Zweimark- von den Markstücken. Reihen drängten von einem Rand
des Tisches zum andern. Zwischen Häufchen, meist aus fünf Stücken ge-
baut, wuchsen kleine Türme. Aus einem großen Kuvert, das er aus der
Tiefe des Sackes hervorzog, entfaltete er Banknoten und Wertpapiere in
ähnlicher Weife wie das Metallgeld. Obgleich feine Augen schon alterten,
das Licht im Zimmer durch die Vorhänge gedämpft war, ihm entging
beim Zählen nicht ein Stück.

Strahl brach aus seinen Augen, wenn er daran dachte, daß sich das
Geld wieder mehren wird. Neue Gold- und Silberstücke, neue Banknoten
wird der Zinstag bringen.

Drüben in Kaltheim, einem Dorf im Moor, wo sich die ärmlichen
Bewohner vom Torfstich nährten, wucherte ein Teil feines Geldes. Es
wucherte schon seit Jahren, Hütten, Häuser unterwühlend.

Andreas Wulf hatte es scheinhalber schon öfter gekündigt. Da die
Schuldner unfähig waren, alles bar zurückzubezahlen, drohte ihnen die
Gant. So hatte sie der Bauer in völliger Gewalt. Von Jahr zu Jahr
steigerte er den Zins.

Der Sommer fahlte schon in den Herbst, als sich der Bauer Andreas
Wulf am Morgen des Zinstages aufmachte, Geld bei seinen Schuldnern
einzuholen.

Eindringlich gebot er seiner Base die HauStüre hinter seinem Rücken
gut zu versperren, damit kein Handwerksbursche, kein diebisches Kind und
auch kein anderer Halunke den Kragen in den Hausgang oder gar in die
Stube recke. „Du mußt nicht bloß die Haken oben und unten einhängen,"
sagte er, „sperre auch das Schloß zu und schiebe den Riegel vor." Auf der
Schwelle ermahnte er sie nochmal zu Gleichem, blieb auf der Gaste laut-
los stehen und horchte auf den Vollzug.

Dann erst ging er. Den gebückten Oberkörper stützte er auf einen
Buchenstock, der wie ein Fühler den Beinen vorausgriff. Aus der Ent-
fernung sah er öfter auf sein kleines Haus zurück. Ob kein Schrei gelle,
keine Flamme aus dem Dach schlage. Unverändert saß es da, eingekauert,
in die Erde verkrallt, den angestauten, starren Schatz zu hüten.

Der Dorfweg führte durch das Moor. Einzelne Bäume hagerten,
Büsche kauerten am Weg. Wo das Schilf die Schwerter streckte, verbarg

sich dunkles Wasser. Jenseits der Gräser trat es immer mehr hervor und
drängte sich zu Lachen an. Aus einem braunen Tümpel, der sich, von
Wasser übersättigt, bauchte, stachen Binsen auf wie Borstenhaare.

Der Bauer dachte an den Leinensack im Kasten. Wenn der so dick
wie dieser Tümpel schwölle. Wieviel Gold- und Silberstücke müßte er
dann fassen! Man könnte zählen, tage-, nächtelang, zählen, immer zählen.
Im Geiste wühlten seine Hände gierig durch das viele Geld.

_ £>iefe Gedanken trugen dazu bei, daß er in Kaltheim die Zinsen seiner
Schuldner abermals erhöhte.

Wenn ihm die Häusler auch vorstellten, sie könnten nicht mehr soviel ver-
dienen, die Stiefel seien rar, das Gewand teuer, vom Brot müßten sie
das Zinsgeld wegsparen und die Kinder schreien lassen, spurlos ver-
rauschten diese Worte an seinem Ohr. „Dann müßt ihr eben 's Kapital
heimzahlen!" sagte er und verließ, das Zinsgeld in der Tasche, teilnahms-
los die dunstigen Stuben.

Auf der Rückkehr ngch Hardt, als die Hütten in Kaltheim sich immer
Niedriger duckten, bewegte ihn der Gedanke, ob feine Schuldner schließlich
nicht nach einem Mittel suchen werden, sich der Zahlungsftist zu entziehen.
Wanderte nicht oft verdächtiges Gesindel durchs Land, Handwerksburschen,
Korbflicker, Scherenschleifer, Zigeunerinnen mit wahrsagenden Vögeln
und dergleichen? War es nicht auffällig, daß ihn heute feine Schuldner
fast ausnahmslos mit Scheinen bezahlten, statt mit Hartgeld? Wenn sie

ihm falsche Banknoten gegeben hätten-Falsche Banknoten. Unrast

beste! ihn. Drang, sie prüfend anzusehen.

Er lehnte den Stock an einen Baum am Weg. Langsam drehte er sick
nach allen Richtungen. Sein Ohr lauschte, sein Blick suchte, ob niemand
in der Nähe sei.

Nichts als die hagere Bäume, die gekauerten Büsche, das Schilf, die
Moorlachen und der schwarzbraune Tümpel war zu sehen, dünner Wind
klirrte dnrch die Landschaft.

Am westlichen Horizont ballte sich dunkles Gewölk. Riefenfchatten
ftaßen die Himmelshälfte. Über den großen Bäuchen wirrten gigantische
Gesichter. Ob sie hungrig gierten, grinsten aus höllischem Einfall, sich
einander befeindeten oder, fteundschastlich vereint, für die Erde Unheil
sannen, der Bauer Andreas Wulf kümmerte sich nicht darum, „'s wird
nicht regnen," sagte er zu sich selber, „ist viel zu ftisch."

Vorsichtig, mit den Händen voraustastend, ließ er sich am Fuß des
Baumes nieder.

Die Füße im Straßengraben, das Gesicht dem Moor, dem Gewölk
den Rücken zugedreht, saß er gekauert da, spähte, horchte nochmals nach
allen Seiten, zog erst dann die Papierscheine hervor und legte sie auf
seinen Schoß.

Den obersten hielt er vor die Augen, als wollte er durchsehen. Auch einen
zweiten und dritten prüfte er.

Bei diesem Geschäft, das seinen Glauben an die Echtheit der Banknoten
bestärkte, schnellte ein neuer Gedanke des Mißtrauens in ihm auf. Wenn
ihn die Häusler beim Zählen betrogen hätten. — —- Aber er hatte doch
alles nachgezählt. Man kann sich irren, dachte er und sing an, die Scheine
abermals zu zählen. Dabei legte er, nachdem er neuerdings nach allen
Richtungen geforscht hatte, die kleinen Banknoten zu seiner linken, die
größeren zu seiner rechten Seite. Um sie zu beschweren, legte er einige
Fünfmarkstücke darauf.

„Stimmt," sagte er, mit dem Zählen fertig, „stimmt alles."

Als aber feine langgliedrigen Finger die Banknoten wieder zufammen-
legen und in die Tasche führen wollten, sprang jäher Wind aus dem
Gewölk. Wie Riesenatem sprang er auf, pustend, spuckend, stieß in
die Scheine.

Die Talerstücke kollerten in den Graben, knatternd flogen die Papiere
in die Luft.

Von Schrecken durchblitzt, hackten die Hände des Bauern nach den
Scheinen. Schon hatte er einen errafft, einen zweiten zerknittert, aber
die andern hoben und senkten sich von neuem, flogen wie Vögel von
Stelle zu Stelle, immer weiter fort. Keuchend folgte Wulf dem Flug. Ein
blauer Schein flog immer vor ihm her. Wulf raste, ihn zu erhaschen.

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