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D L e Hirte

von Karl

Sankt wendelin sitzt am Ackerrain,
gelassen den Hirtenstab zwischen den Rnieen,
schaut still von der Höhe hinunter zum Rain,
sieht die Klöße im Kluß, die Vögel im Winde ziehen
und ist ganz in Himmel und Land wie in einen weiten
Mantel gehüllt.

Daran glänzt die Sonne als goldener Rnopf.
wenn aus der Herde ein Dchslein brüllt,
hebt der Heilige ruhig den Kopf
und blickt nach dem Tier

Die Straße von Bamberg her trabt ein Zug
Ritter und Damen in seidener Zier.

Der Bischof zügelt das Roß und hebt sich im Bug.
„Bruder Wendelin, komm mit mir,,
in meinem Hause ist Platz genug!

viel zu lang schon bist du ein Hirte fürDchsen geweseir.
Hüte die Seelen in meinem Bistum so gut,
und du kannst morgen die erste Messe lesen.

Der H i r

Lin Märchen von

Die Herbstsonne strahlt über die steilen Kelswände herab auf die Alm.
Am Strande des Bergsees, zwischen den Steinblöcken im Heidekraut, hockt
der Hirtenbub. Dichtes Klachshaar hängt ihm ums erdfarbene Gesicht, draus
starren die grauen Augen ernst und grad vor sich hin. Die Schnauze in
seinem Schoße, schläft der zottige Spihhund. — An der Halde zwischen
Latschen und einzelnen Wettertannen weidet die Herde unter dem tiefblauen
Himmel Helle Luftwellen glimmern und brodeln über den windstillen
Ruppen: die Lrdmännlein kochen im Loden verborgen zu Mittag.

Dunkelgrün schimmert der Bergsee dem Buben zu Küßen. Durchs kühle
Wasser sieht er in fahlem Lichte wie nacktes zerbrochenes Riesengebein
mächtige Baumstämme modern, und ganz unten aus dem Moose am Grunde
blmkt es weiß wie ein Ralkstein heraus: ein Schädelgewälbe! Das ist der
Tod, der schläft reglos unterm Wasser im Schlamme vergraben. Rur ein
Säulchen von Luftblasen rieselt und perlt silbern über ihm auf in der Tiefe.

„Hirtenbub!" wispert im Heidekraut neben dem Burschen ein feines
Sümmchen: „Sonntagsbub, da schau her!"

Lin Lrdmännleln mit roter Zipfelkappe steht vor ihm, grad so hoch, daß
es ihm bis ans Rnie hinlangt: es blinzelt mit den Äuglein im faltigen Ge-
sicht und hält ihm ein feines Rnochenrährchen hin, das blinkt in der Sonne.

„Was Haft, wurzelmann?" sagt der Bub.

„Lin Pfeiflein — Hab ich ausgegraben, / ein Rnöchlein von einem kleinen
Rnaben, / der sprang so lustig im Sonnenschein, / nun liegt er lang unter
grauem Stein! — Blas, Sonntagsbub, blas!" wispert das Männlein.

Der Bursch seht das Pfeifchen an die Lippen.

Wie Vogelgezwitscher ertönts. Der Hund hebt den zottigen Schädel vom
Schoße und spitzt die Dhren. Die weidenden Rinder am Hange stehen still
und wenden die Räpfe. Zmmer lauter erschallts, als sänge der ganze Wald
unter ihnen. Wie Drgelklänge erbraust es, wie das Alpenhorn jubelts und
drähnts. Die Kelsen ringsum fchüttern facht mit und erklingen.

„Sonntagsbub, schau!" flüstert das Männlein.

Das hohe Steingewände im Sonnenglanz über der Halde erschimmert
durchsichtig wie Glas Zm Gewände drin, sieht der Bub, sitzen auf steinernen
Stühlen in einer Reihe gewaltige uralte Männer, Mann neben Mann. Die
Köpfe auf der Brust schlafen sie, die langen weißen Bärte bis hinab auf die
Rnie'. Lin Heer von Zwergen wimmelt über den Boden: ihre bunten Röck-
chen schimmern, sie recken die Händchen hoch, sie fuchteln mit den Ärmchen
und schreien: „Laßt uns hinaus zu dem steinernen Haus!" Line schlanke
Jungfer kommt gegangen in langem blauen Gewände: ein Rrönleln auf

n l e g e n d e

V r ö g e t

Lrhebt sich wendelin und zieht den verknüllten Hut.
„viel Gunst, Luer Gnaden, für einen geringen Mann!
Zch dank und bitt, wollt es nicht übel anschreiben
daß ich dem Ruf nicht folgen kann.

Will lieber bei meinen Dchsen bleiben."

Dem Bischof fährt der Zorn ins Gesicht.

„So gilt dir Ruhwei de mehr als priest er gnade?"

Sankt Wendelin lächelt fein und spricht:

„Ganz offen, Herr: Ls wäre zu schade!

Zch bin nun einmal kein Schleicher und Späher,
gehöre zu Wiesen, Rühen und Bauern
und fühle mich Gott bei meinen Dchsen näher
als ihr in euren glänzenden Mauern,

Laßt mich, Herr Bischof, weiter in meiner Stille.

Ls ist Gottes und meiner Dchsen Wille."

Kortsprengt der Zug. Die Straße stiebt Kunken.

Sankt Wendelin ist wieder ganz inSonne, in Wolken,
in rauschende Kelder versunken.

t e n b u b

Leopold Weber

dem Klachskopf geht sie von einem der Alten zum andern, reckt sich aus den
Zehenspitzen empor und zupft sie sacht an derRase. Aber die rühren sich nicht.

Alles bleibt still. Rur aus der Tiefe unter dem Buben klingt fernher ein
Dröhnen herauf wie Glockengeläute, und er sieht durch den Boden hindurch
wie durch lautere Luft bis auf den untersten Grund: dort fitzt in einermäch-
tigen Höhle ein Mann in rotem Mantel auf hohem Sessel, einen goldnen
Stlrnreif im schwarzen Haar, und seine Augen glühen wie Keuer. vor ihm
aber schwingt eine Menge von nackten rußigen Riesen mit Schurzfellen um
die Hüften gewaltige Hämmer, die dröhnen auf die Amboße nieder.

„Siehst den Lrdenfürst?" flüstert das Männlein.

Das Dröhnen verhallt in der Tiefe, und die Lrde schließt sich zu.

Der Hirtenbub legt sich ins heiße Heidekraut auf den Rücken und schaut
in den blauen Himmel. Die Radeln der Latschensträucher um ihn triefen von
Sonnenlicht, daß er wie in lauter Blchglanz daliegt.

„Dürsten tat mi!" sagt er.

„Blas in dein Pfeiflein!"

Der Bub bläst: wie Amselsang lockt es. — Da kommt mit sachtem
Schnaufen hinter dem grünen Hügel hervor ein Hirsch geschritten mit gold-
nem Geweih: weiß wie Schnee funkelt und sprüht sein Keil in der Sonne.
Auf seinem Rücken sitzt rittlings ein Mädchen. Zhr honiggelbes Haar hüllt
sie ganz ein, nur die eine Schulter und ihre Küße schauen daraus. Schatten-
dunkel blicken ihre Augen unter den lichten Brauen hervor. „Trink:" sagt
sie und hebt dem Buben einen Rristallkelch hin voll von goldklarcm Wein.

Durstig packt er den Reich. DenRopf im Racken, trinkt er ihn aus bis auf den
Grund. Da ist ihm,als würd er so stark,daß er dieBerge zusammenreißen könnte
auf einen Ruck. „Gut ists!" sagt er, wischt sich die Lippen: „vergelts Gott!"

Sie nickt zu ihm nieder und wendet den Hirschen. RIar und fein läutet
ihre Stimme zurück: „Heut nacht um neun 1 im Sternenschein / will ich bei
dir sein: i Mädchen und Rnaben wollen sich lieb haben!"

„Rommst nachher auch gewiß?" ruft er ihr nach.

Der Hirsch trabt davon, ihr gelbes Haar weht auf und verschimmelt ums
Lck an dem Hügel. — Da hebt der Spitzhund die Schnauze und knurrt.

von der Höhe her krächzt es und schneuzt sichs, und mit der Rrape am
Buckel kommt ein Hausierer abwärts gestiegen. Da sieht der Bub, zwei Bocks-
hörnlein spitzen ihm unter dem Hütl auf aus der Stirn, grünlich glitzern die
Augen aus dem gelben Gesicht, und wie er schnauft, sprühen zu den Raslöchern
hervor feurige Kunken und tanzen wie ein Mückenschwarm ln der Sonne.

„Grüß dich Gott, Bubl" krächzt der Teufel.

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Register
Karl Bröger: Die Hirtenlegende
Leopold Weber: Der Hirtenbub
 
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