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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 27.1922, (Nr. 1-24)

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Nr. 17 (11. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3894#0727
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Auf dem t)amm ging ich ihn entlang in beiden Richtungen, hier wie dort:
irgendwo hörte er plötzlich auf, wie verfchluckt von der Wiefe. - Ob er
unterirdißh weiterfiihrf ? -

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: ich fah, daß er weniger eine histo-
rifche oder mystische, als vielmehr eine praktifch-Iandwirtfchaftlidie Bedeutung
hatte. Er bildete gewiffermafsen die Bafis eines großen Felderdreiecks, das all-
seitig von Wiesen umgeben, nur mit der Spitze weit drüben an die Bandstraße
fließ. Also wohl ein sogenannter Wirtfchaßsweg, der nur zur Zeit der Feld-
bestellung und der Ernte gebraucht wurde. Die übrige Zeit lag er unzugäng-
lich da, verloren und verwunschen und hatte den ganzen lieben Sommer nichts
anderes zu tun, als feine Blumengewänder zu wechseln und so prachtvoll bunt
angetan in den Himmel zu träumen. -

O, wie hatte er es gut und wie war er schön, der stille Träumer! Vom grü-
nen Damm beschützt, von dichtem Ährenwald überrauscht und eingewiegt,
ruhend in wonnereichen Düsten und süßen Heimlichkeiten, selig in unbe-
schwerter Stille und heiterer Einsamkeit! -

Kann man einen alten Weg lieb haben? Nun, ich liebte ihn auf den ersten
Blick und schloß ihn gleich in die besondere Herzkammer, in die camera cari-
tatis, wo Eichendorff und Knut Hamsun, wo mein erschossener Hund Pazzo
und Frau Jita vom Naumburger Dom wohnen. Die mögen auf ihm lustwan-
deln in heiterm Verein. Vorauf der Hund mit Springen und Blaffen, dann die
holde Frau, mit vollendeter Gebärde den Mantel raffend, um bald zum jun-
gen, redefrohen Eichendorff, bald zum älteren, stillen Hamsun steh wendend-
Gott, wem wird ste die Hand, die schöne, lebensvolle Frauenhand auf den
Arm legen! -

Bald war der Weg mir Trost und Bruder, und ost fand ich meine Kühe bei
ihm. Wenn er fröhlich war - und das war er meistens -, fo war ich es auch,
hatte er feinen melancholischen Tag, fo ging mir’s ebenso. O, wie fröhlich
konnte er sein! So fröhlich, daß die Tust über ihm ins Zittern und Flimmern
geriet. Und war er traurig, fo glich er einem Totenacker.

Und noch heute: will ich all den Menschenunsinn vergessen, kann ich ste
nicht ertragen, die Menschen, die - nun, ich will nichts weiter gegen ste Vor-
bringen und dem großen Philosophen nicht widersprechen, der ste die Krank-
heit der Welt nennt -, so brauche ich mich nur aufzumachen und diesen,
meinen alten Wegbruder zu besuchen.

Nirgends kann ich die Menschen so gründlich vergessen wie hier bei ihm.
Nirgends kann ich mich so vergessen. Hier, wo ich ganz allein bin mit mir, wo
ich weit fort bin von allem Häßlich-Menschlichen, wo mich nichts an mein
Häßlich-Menschliches erinnert, wo ich dem Weg Bruder bin, wo ich mich ver-
eint und verwachsen fühle mit Gras und Blume, mit Baum und Erde, wo ich
nichts bin als ein Wehen auf dem Wege, als ein Wind über die Wiesen hin.
Ich gehe dahin meiner selbst unbewußt, gleichsam wieder nackt und natürlich.
Ich singe und weiß nicht, daß ich singe. Unter dem hohen Himmel gehe ich
dahin in Stille und Staunen, unbeschwert, ungestört, ruhend in mir selbst und
doch wie außer mir.

Und nirgends bin ich meinem Herzen fo nahe wie hier, nirgends bin ich
Gott näher. Ich fühle feine Hand auf meiner Schulter und rede mit ihm wie
mit mir selbst. - Wo ist nun alles, was mich sonst beschäftigt, mich quält und
an mir zerrt und mich verzerrt, fo daß ich nicht ich selbst sein kann! Wo sind
nun die großen Gefühle und die hohen Gedanken! Was ist es nun mit un-
seren großen Worten I Was ist es zum Beispiel mit der „Liebe" I - Ach, wo-
zu die großen, die allzugroßen WorteI Sie sind alle aus der Lüge geboren! -

Zweimal traf ich andre Menschen auf meinem Wege. Oder waren es doch
keine richtigen Menschen? — Das erste Mal war es ein alter Mann. Er kam
aus den Wiesen über den Damm und stand plötzlich unweit von mir mitten
in den Blumen des Wegs. In weißen Hemdärmeln und ohne Kopfbedeckung,
die blanke Senfe über der Schulter, stand er verschnaufend da und fah mir
aus engen Augen freundlich-mißtrauisch entgegen, indem er sich mit einem
großen blauen Tudte den kahlen Schädel trocknete. Er war sehr alt und er
war angestrengt von der für feinen müden Rücken viel zu (chweren Arbeit
des Mähens und vom Klettern über den kleinen Hügel. Sein freund ich miß-
trauisches Lächeln hatte etwas Erzwungenes, etwas Hilßofes und Mitleid-
erregendes, aber als ich ihn grüßte und ihm im Vorbeigehen in die Augen
sah, waren sie nicht mehr eng und blinzelnd wie eben noch, sondern ich fah
auf einmal in tiefe, dunkle Höhlen. Mir war auch, als ob nicht Schweißgeruch
und menschlicher Hauch von ihm ausginge, sondern ich meinte ein kaltes und
fremdes Wehen von ihm her zu verspüren. Als ich mich, kaum ein paar Schritte
gegangen, nach ihm umwendete, war er verschwunden. —

Der zweite Mensch, den ich auf dem Wege traf - gelb und reif stand nun
das Feld — ja, der zweite Mensch war Bell. -

Ich war, von der Fähre kommend, ein Stück die Landstraße entlang ge-
gangen und hatte mich dann in der Richtung auf die alte Weide, bei der mein
Weg seinen Anfang oder sein Ende hat, in die Wiesen geschlagen. Wie ost
schon, verweilte ich auch heute wieder unter dem vertrauten Baume und
dachte: Gott weiß, woher er die Kraft nimmt, um solch prachtvolle, silber-

grüne Krone treiben zu können, denn dieser magere Rindenrest, der allein
vom Stamm noch übrig war, konnte doch unmöglich all die Säfte hinaufleiten,
die zu solch üppigem Treiben nötig waren. - Nun ging ich den lieben Pfad, der
durch meine Tritte täglich deutlicher geworden, im wollüstigen Gefühl allen
Lächerlichkeiten des Tages wieder einmal glücklich entronnen zu fein, allein zu
sein und ich selbst. Mein Herz war voll fröhlicher Andacht und - mit Staunen ge-
stand ich mir's - seltsam erwartungsvoll, als sollte mir Besonderes begegnen.

Vor mich hinblickend war ich nicht lange gegangen, da hörte ich plötzlich
ein feines, leises Singen. Erschrocken blieb ich stehen und lauschte:. . . „von
Himmelsbläue wundersam umwoben" ... Das ewig-wundervollste, gelicbtefte
Lied! Welch süße, dunkle, mein Innerstes berührende Stimme fang mir das! -
Aber ich fah niemand und eigentlich war ich froh, daß ich niemand fah. Ich
genoß Lied und Gesang viel inniger so. Süß und in sich selig stoß er in den
Himmel und in mein Herz. — Da lag wohl irgendwo in Gras und Blumen ein
junges Menschenkind und gab die Seele dem Ewigen hin. Besser und schöner
für ste und für mich, ich störte die Sängerin nicht. - So ließ ich mich, dem Liede
indessen einige Schritte nähergekommen, am Rande des Dammes nieder und
vom beglückenden Gesang ergriffen, löste sich meine Seele und zog „selig mit
durch ewige Räume" . . . —

Diese letzten Worte strömten Innerstes aus, und ich mußte mich sehr gewalt-
sam, wie aus einem Rausch ausraffen, um möglichst rasch und ungesehen über
den Damm in die Wiesen zu schnüren.

Sei es nun, daß ich doch nicht fuchsletfe genug war, oder daß sie ganz von
selbst (ich aufgerichtet hatte: gerade als ich über den Hügel huschen wollte,
sah ich sie: und ste mich. Nur zehn Schritte etwa von mir faß sie im hohen Gras
am Dammrand, Füße und Beine unter der Blumendecke des Weges verborgen.
Sie hatte die Arme erhoben und griff mit beiden Händen an ihr Haar - o wie
blond war es! - als suche sie irgendwo Halt. Ihr Oberkörper war mir zuge-
wendet und elastisch aufgeffrafft in Erschrecken und Abwehr. Große, graue
Augen, ärgerlich und scheuchend, aber noch angefüllt von dem im Gesang
Empfundenen, versuchten mich anzufahren, konnten aber nicht hindern, daß
mir dieses von Sonne glühende, vom Lied erregte Angesicht überaus lieblich
und wie altvertraut erschien.

So sahen wir uns eine gute Weile an, bis ich, von einem schönen und sichern
Gefühl erfüllt, zu ihr hinsthritt und mich bei ihr niederließ. Die letzte Verwir-
rung mit einem Lächeln abstreifend, fragte sie mich mit ruhiger, dunkler
Stimme, wie ich Störenfried hierherkäme und wer ich sei. Ich antwortete, dies
sei mein Weg, ich benutze ihn fast täglich und, wenn sie es denn durchaus wis-
sen wolle, mein Name fei Hans Kuckucksei. Na, eine vernünftige Antwort
hätte sie nicht erwartet, aber sie wolle mit der erhaltenen zufrieden fein. Was
sie be räfe, so hätte sie vor etwa einer Stunde von „meinem” Wege ebenfalls
Besitz ergriffen; er gefiele ihr sehr, und sie dächte nicht daran, diesen neuen
Besitz etwa mir zuliebe aufzugeben. Mein Name -, nun er fei ihr recht; ste
hätte leider keinen so in Feld und Wiese paffenden, sie hieße ganz einfach und
schauderhast lsabella. -

Also „Bell” sagte ich, das sei doch ganz schön und paffe recht gut hierher.
Lachend, wobei mir wieder die dunkle Fülle ihres Tons aufstel, gab sie mir
ihre feste und warme Hand, die ich eine kleine Weile in der meinen hielt. —
Und wie wir nun, so das alte bittersüße Zwei-Men[chenfpiel beginnend, uns
in die Augen sahen, lange, schmerzhaft lange Zeit, wortlos, aber mit hundert
scheuen und guten, stürmischen und bösen Fragen im Blick, die sanft aufglän-
zenden oder grell funkelnden Antworten gierig heranraffend und aneinander-
bauend zu Steg und Brücke, schritten wir uns schnell und leicht ein gut Stück
über Trennendes entgegen, bis wir an Erkennen glauben und im Glauben
und Erkennen wieder lächeln konnten. -
Darauf streckte ste (ich wie ermattet hin ins Gras und schloß die Augen.
Beide Hände auf den ruhig und tief sich regenden Brüsten, lag sie ganz still.
Ihr Mund war leicht geöffnet und lächelte. -
Erhobenen Herzens und mit verweilender Lust betrachtete ich die Liegende
und sah, daß ste schön war, daß sie die Schönheit hatte, nach der sich meine
Sinne sehnen werden in alie Zeit. Fest eingeprägt ihr Bild, sank ich ein Ent-
zückter neben ihr hin. Traumhaft verfchwebend verklang in mir das ewige
Lied und klang hinüber in das weltatemgleiche Rauschen der nahen Felder.
Bell, dachte ich, süße Bell! Da fühlte ich, daß sie - über mich gebeugt - mich
betrachtete, wie ich vorher sie betrachtet hatte. Ihre heiße Hand legte sich auf
meine Augen, und mir war, als sei ich ganz von rosenrotem Licht erfüllt. Wie
ein zartes, süßes Betasten spürte ich ihre Blicke über mich hingleiten, ihr Atem
berührte mich, und wie ein Verdurstender trank ich ihren Mund. -
Dann lagen wir lange nebeneinander in der entzückten Stille um uns und
im Gesang unseres Blutes, gewiegt von den Atemzügen aus der Erde Brust.

Als ich endlich mich aufhob, war die Sonne im Untergang, und ein heim-
liches, ernstes Licht lag über der Welt.

Bell lag mit weit ausgebreiteten Armen wie eine selig Sterbende. Frieden
war aus ihrer nun blaß erscheinenden Stirn über den umschatteten Augen, die
dunkel und tief aufgetan in den Himmel sahen Ihr Gesicht erschien mir an-
ders als vorher, nackter, erschlossener. Ich fah, daß ste wußte um Leid und alle

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