Der Tanzklub „Reseda", der aus ehemali-
gen Schülern und Schülerinnen des Tanz-
lehrers Blumentreu bestand, hatte bisher ein
beschauliches Dasein geführt. Man kam zwei-
mal in der Woche im Hinterstübchen vom
„Goldenen Engel" zusammen, wo des Tanzes
gepflogen wurde. So auch an dem Tage, als
Karl Gänserich, der Sohn des Apothekers,
seinen Vetter aus der Großstadt milbrachte.
Dieser fiel sofort durch seine spitzen Schuhe,
seine lange silberne Kette und eine kleine Kra-
vatte auf, die, etwa halb so dünn als em
Schuhband, wie ein Querstrich unter seinem
tadellos frisierten Kopf saß. Dann tanzte er,
mit irgend einem jungen Mädchen, das sich
sofort entsetzt an ihn klammerte und nicht
wußte, wohin sie ihre immerhin recht großen
Füße setzen sollte. Der Vetter tanzte aber
auch gar zu arg. Er knickte mit dem Oberteil
der Oberschenkel nach rückwärts, dabei mit
langem Schritt vorgehend, trat seitwärts mit
rücksetzendem Fußabsatz querschreitend, riß die
Tänzerin halb im Kreise, stand still, hochauf-
gerichtet mit leise zitternden Beinen, begann
von neuem.
Der ganze Tanzklub befand sich in böchfter
Aufregung, und Karl Gänserich hatte einen
Kopf wie rote Pelikantinte. So etwas hatte
man ja nicht mal in den eleganten Blättern,
die manchmal beim Friseur lagen, gesehen.
Sämtliche Paare batten aufgehört, so daß
sich schließlich der Tänzer und seine unglück-
selige Dame, die an ihm hing wie ein Flat-
terschlips an einem Schillerkragen, allein auf
dem Parkett befanden. Als er schließlich ge-
endet, trat Karl, den man damit beauftragt
batte, an ibn heran und meinte, solche Tänze
dürfe er hier nicht vorführen, man sei hier
anderes gewohnt. Worauf der Vetter, der
die Sache falsch auffaßte, aufs tiefste in sei-
ner Ehre als vorzüglicher Tänzer gekränkt,
das Zimmer mit den Worten verließ: „Das
war die neuste Tour des Milonga, wenn Euch
das nicht genügt, kann ich Euch wirklich
nicht helfen."
Der Tanzklub „Erzentric", der nur erst-
klassige Tänzer zu seinen Mitgliedern zäblte,
war der ausgefallenste Klub der Weltstadt.
Nur das Allermodernste wurde gepflegt, nach
sechs Wochen war jeder Tanz veraltet. Ein-
mal hatte ein Herr es gewagt, Samba zu
tanzen, worauf man ihm eröffnete, daß solch
entlegene Sachen hier nicht gern gesehen wür-
den. Hier fing man mit dem Zitronenfortrott
an, und nur wer den Maikäferstep rückwärts
konnte, gehörte zur Sonderklasse. In diesem
Klub erschien an einem Gaftabend ein Paar,
das einen merkwürdigen neuen Tanz vor-
führte. Bei einem Boston, der etwas schnell
gespielt wurde, und zu dem man hier den
Sägefischtango tanzte, erhoben sich die beiden,
die bisher nur zugesehen hatten, um auch ein-
mal aktiv mit dem Tanzbein einzugreifen.
TÄN Z E
VON CURT SEIBERT
Nun hatte man ja schon oft erlebt, daß ir-
gend jemand eine neue Variation auf einen
älteren Tan; versuchte, aber daß ein vollkom-
men unbekannter Tanz gezeigt wurde, ohne
vorher von dem Klublehrer vorgeführt zu sein,
war bis dato noch nicht dagewesen. Entgegen
den besonders eckigen Bewegungen der neue-
sten Mode, tanzte dieses Paar, das übrigens
ebensogut aussah, wie es tanzte, in runden
Schwingungen und gleitenden Bewegungen,
einfach, zwanglos, ohne Pose.
Die Meinung der Klubmitglieder war ge-
teilt. Einige waren begeistert, weil eö etwas
Neues war, andere waren empört, daß ihr
Klub das nicht erfunden hatte, wieder andere
fanden ihn schauerlich, einstimmig aber wurde
beschlossen, das Paar für den Klub zu gewin-
nen, den neuen Tanz zu propagieren und zur
großen Mode der Saison zu machen. Als
daher der Kapellmeister den letzten Fidelstrich
Amaryllis
Das Atelier ist heiß.
Draußen, drunten die andere Welt
Klopft ihre Teppiche, schreit und bellt.
Der Maler, der das wußte, er weiß
Es jetzt nicht mehr. Die Zeit steht still.
Der Pinsel zecht, läuft, zecht, läuft schnell
Und weiter, als er darf und will.
Reglos im Stuhle das schöne Modell
Träumt von sich selber, von Amaryll.
Joachim Ringelnatz
Wie man ihn nicht kennt
Joachim auf dem Presseball in Wien.
getan, traten der gesamte Vorstand, das
Preisrichterkollegium, sowie die Schiedsrichter
für Haltung, musikalisches Empfinden und
Technik an das Tänzerpaar heran. Ihre erste
Frage galt dem Tanz selbst, wer ihn erfun-
den habe, wo sie ihn gelernt hätten, und ob
sie bereit seien, ihn öfters vorzuführen, damit
auch die anderen....
„Aber ich begreife Sie wirklich nicht,"
sagte der Tänzer erstaunt, „was wir eben
tanzten, war ein ganz einfacher alter
Walzer!"
Der Tanzklub „Eden" hatte ein neues
Mitglied, Herrn Kautschuk Ali aus Tuta-
komba, irgendwo in Afrika. Der zweite Vor-
sitzende hatte ihn eingeführt, der ihn irgend-
wo, nicht in Afrika, kennen gelernt hatte. Man
begrüßte sich und ihn und machte eö sich in den
behaglichen Klubräumen bequem, in denen
zweimal wöchentlich abends zwangloser Tanz
stattfand. Die Kapelle Monty setzte zum Mi-
longa ein, und der Klublehrer Frattini stellte
sich wie üblich zwischen kaltes Buffet und den
Oleanderbaum, um die Paare zu kritisieren.
Man erhob sich, wählte zwanglos eine gut-
tanzende Partnerin und strich die Sohlen
über das Parkett. Auch Kautschuk Ali hatte
eine Dame auserkoren und führte mit ibr
einen Tan; auf, der alle in maßloses Er-
staunen und Entzücken versetzte. Kaum hatte
er das Parkett betreten, als er die Beine in
die Luft schwang, mit den Armen seitwärts
aufwärts strebte und seine Partnerin hin und
wider drehte. Er schob mit ihr seitwärtS-
rückwärts, strich mit den Absätzen an seine
Hosen, zitterte in den Knien, brachte Leben
in die anderen Paare, die flüchtend nach den
Seiten streben mußten, da der Afrikaner für
seinen temperamentvollen Tanz viel Platz
brauchte.
Seine Partnerin hatte Mühe, ihm bei lei-
nen schnellen Sprüngen tu folgen, aber Ali
lächelte über das ganze Gesicht, und die Ka-
pelle, die durch den Tanz in Verzückung ge-
riet, spielte schneller und toller. Alis Sprün-
ge wurden immer grotesker, er sah aus wie
ein Kamel, das in einsamer Wüste von Flö-
hen gestochen wird. Der ganze Klub war be-
geistert, Herrn Frattini liefen die hellen Trä-
nen über die gefurchten Wangen. Er notierte
eifrig in sein Notizbuch jeden PaS, jeden
Schritt, jede Figur des Tanzenden. Die Ka-
pelle schwieg, man beglückwünschte Kautschuk
Ali, in dem man schon den neuen Klub-
meistcr sah.
„Sagen Sie nur, bester Ben Ali-Bri,"
fragten bundert Stimmen, „wie heißt der
neue Tanz, den Sie eben vorführten?"
Ali lächelte sein Wüstenlächeln.
„Neuer Tanz?" sagte er mit leichtem Ak-
zent, „ich kann garr niggt tansen, mochte erst
lernen, deshalb bin ich doch bei Ihnen ein-
getretten in Klub."
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gen Schülern und Schülerinnen des Tanz-
lehrers Blumentreu bestand, hatte bisher ein
beschauliches Dasein geführt. Man kam zwei-
mal in der Woche im Hinterstübchen vom
„Goldenen Engel" zusammen, wo des Tanzes
gepflogen wurde. So auch an dem Tage, als
Karl Gänserich, der Sohn des Apothekers,
seinen Vetter aus der Großstadt milbrachte.
Dieser fiel sofort durch seine spitzen Schuhe,
seine lange silberne Kette und eine kleine Kra-
vatte auf, die, etwa halb so dünn als em
Schuhband, wie ein Querstrich unter seinem
tadellos frisierten Kopf saß. Dann tanzte er,
mit irgend einem jungen Mädchen, das sich
sofort entsetzt an ihn klammerte und nicht
wußte, wohin sie ihre immerhin recht großen
Füße setzen sollte. Der Vetter tanzte aber
auch gar zu arg. Er knickte mit dem Oberteil
der Oberschenkel nach rückwärts, dabei mit
langem Schritt vorgehend, trat seitwärts mit
rücksetzendem Fußabsatz querschreitend, riß die
Tänzerin halb im Kreise, stand still, hochauf-
gerichtet mit leise zitternden Beinen, begann
von neuem.
Der ganze Tanzklub befand sich in böchfter
Aufregung, und Karl Gänserich hatte einen
Kopf wie rote Pelikantinte. So etwas hatte
man ja nicht mal in den eleganten Blättern,
die manchmal beim Friseur lagen, gesehen.
Sämtliche Paare batten aufgehört, so daß
sich schließlich der Tänzer und seine unglück-
selige Dame, die an ihm hing wie ein Flat-
terschlips an einem Schillerkragen, allein auf
dem Parkett befanden. Als er schließlich ge-
endet, trat Karl, den man damit beauftragt
batte, an ibn heran und meinte, solche Tänze
dürfe er hier nicht vorführen, man sei hier
anderes gewohnt. Worauf der Vetter, der
die Sache falsch auffaßte, aufs tiefste in sei-
ner Ehre als vorzüglicher Tänzer gekränkt,
das Zimmer mit den Worten verließ: „Das
war die neuste Tour des Milonga, wenn Euch
das nicht genügt, kann ich Euch wirklich
nicht helfen."
Der Tanzklub „Erzentric", der nur erst-
klassige Tänzer zu seinen Mitgliedern zäblte,
war der ausgefallenste Klub der Weltstadt.
Nur das Allermodernste wurde gepflegt, nach
sechs Wochen war jeder Tanz veraltet. Ein-
mal hatte ein Herr es gewagt, Samba zu
tanzen, worauf man ihm eröffnete, daß solch
entlegene Sachen hier nicht gern gesehen wür-
den. Hier fing man mit dem Zitronenfortrott
an, und nur wer den Maikäferstep rückwärts
konnte, gehörte zur Sonderklasse. In diesem
Klub erschien an einem Gaftabend ein Paar,
das einen merkwürdigen neuen Tanz vor-
führte. Bei einem Boston, der etwas schnell
gespielt wurde, und zu dem man hier den
Sägefischtango tanzte, erhoben sich die beiden,
die bisher nur zugesehen hatten, um auch ein-
mal aktiv mit dem Tanzbein einzugreifen.
TÄN Z E
VON CURT SEIBERT
Nun hatte man ja schon oft erlebt, daß ir-
gend jemand eine neue Variation auf einen
älteren Tan; versuchte, aber daß ein vollkom-
men unbekannter Tanz gezeigt wurde, ohne
vorher von dem Klublehrer vorgeführt zu sein,
war bis dato noch nicht dagewesen. Entgegen
den besonders eckigen Bewegungen der neue-
sten Mode, tanzte dieses Paar, das übrigens
ebensogut aussah, wie es tanzte, in runden
Schwingungen und gleitenden Bewegungen,
einfach, zwanglos, ohne Pose.
Die Meinung der Klubmitglieder war ge-
teilt. Einige waren begeistert, weil eö etwas
Neues war, andere waren empört, daß ihr
Klub das nicht erfunden hatte, wieder andere
fanden ihn schauerlich, einstimmig aber wurde
beschlossen, das Paar für den Klub zu gewin-
nen, den neuen Tanz zu propagieren und zur
großen Mode der Saison zu machen. Als
daher der Kapellmeister den letzten Fidelstrich
Amaryllis
Das Atelier ist heiß.
Draußen, drunten die andere Welt
Klopft ihre Teppiche, schreit und bellt.
Der Maler, der das wußte, er weiß
Es jetzt nicht mehr. Die Zeit steht still.
Der Pinsel zecht, läuft, zecht, läuft schnell
Und weiter, als er darf und will.
Reglos im Stuhle das schöne Modell
Träumt von sich selber, von Amaryll.
Joachim Ringelnatz
Wie man ihn nicht kennt
Joachim auf dem Presseball in Wien.
getan, traten der gesamte Vorstand, das
Preisrichterkollegium, sowie die Schiedsrichter
für Haltung, musikalisches Empfinden und
Technik an das Tänzerpaar heran. Ihre erste
Frage galt dem Tanz selbst, wer ihn erfun-
den habe, wo sie ihn gelernt hätten, und ob
sie bereit seien, ihn öfters vorzuführen, damit
auch die anderen....
„Aber ich begreife Sie wirklich nicht,"
sagte der Tänzer erstaunt, „was wir eben
tanzten, war ein ganz einfacher alter
Walzer!"
Der Tanzklub „Eden" hatte ein neues
Mitglied, Herrn Kautschuk Ali aus Tuta-
komba, irgendwo in Afrika. Der zweite Vor-
sitzende hatte ihn eingeführt, der ihn irgend-
wo, nicht in Afrika, kennen gelernt hatte. Man
begrüßte sich und ihn und machte eö sich in den
behaglichen Klubräumen bequem, in denen
zweimal wöchentlich abends zwangloser Tanz
stattfand. Die Kapelle Monty setzte zum Mi-
longa ein, und der Klublehrer Frattini stellte
sich wie üblich zwischen kaltes Buffet und den
Oleanderbaum, um die Paare zu kritisieren.
Man erhob sich, wählte zwanglos eine gut-
tanzende Partnerin und strich die Sohlen
über das Parkett. Auch Kautschuk Ali hatte
eine Dame auserkoren und führte mit ibr
einen Tan; auf, der alle in maßloses Er-
staunen und Entzücken versetzte. Kaum hatte
er das Parkett betreten, als er die Beine in
die Luft schwang, mit den Armen seitwärts
aufwärts strebte und seine Partnerin hin und
wider drehte. Er schob mit ihr seitwärtS-
rückwärts, strich mit den Absätzen an seine
Hosen, zitterte in den Knien, brachte Leben
in die anderen Paare, die flüchtend nach den
Seiten streben mußten, da der Afrikaner für
seinen temperamentvollen Tanz viel Platz
brauchte.
Seine Partnerin hatte Mühe, ihm bei lei-
nen schnellen Sprüngen tu folgen, aber Ali
lächelte über das ganze Gesicht, und die Ka-
pelle, die durch den Tanz in Verzückung ge-
riet, spielte schneller und toller. Alis Sprün-
ge wurden immer grotesker, er sah aus wie
ein Kamel, das in einsamer Wüste von Flö-
hen gestochen wird. Der ganze Klub war be-
geistert, Herrn Frattini liefen die hellen Trä-
nen über die gefurchten Wangen. Er notierte
eifrig in sein Notizbuch jeden PaS, jeden
Schritt, jede Figur des Tanzenden. Die Ka-
pelle schwieg, man beglückwünschte Kautschuk
Ali, in dem man schon den neuen Klub-
meistcr sah.
„Sagen Sie nur, bester Ben Ali-Bri,"
fragten bundert Stimmen, „wie heißt der
neue Tanz, den Sie eben vorführten?"
Ali lächelte sein Wüstenlächeln.
„Neuer Tanz?" sagte er mit leichtem Ak-
zent, „ich kann garr niggt tansen, mochte erst
lernen, deshalb bin ich doch bei Ihnen ein-
getretten in Klub."
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