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DAS TOTBETEN

VON GEORG BÜNAU

Droben im Wald in der Hutschen am Grant, wo man es „Zum
Döblinger" hieß, hatten sie just einen Sonntag, wie man ihn sich
gefallen lassen konnte. Weil es so schon aper und sonnscheinig ge-
worden, hatte die Kathi wieder einmal hingefunden, und ihr um-
fänglicher Zögerer (Handtasche, meist ftrohgeflochten) sich gut ange-
lassen. Das G selchte, das herauskam, gab drei Sonntagsmahlzeilen
ab, und setzt saß man bei dampfendem Kaffee, den das Strohge-
flccht geborgen: ein paar Pfund blühweißen Zucker dazu.

Wenn über das Klappern der Blechlöffel, mit denen sie die Brot-
brocken aus den Kaffeeschalen holten, die knappe Rede hinging, dann
kehrte sie immer wieder darauf zurück, wie gut eS die Kathl der-
wischt habe, und daß sie ihre Leute auf der Hutschen ja nicht darüber
vergessen solle.

Wohl, derwischt hatte sie's gut. Wenn eine als arme Kucheldirn
und Kellnerin bei einem angejahrten, gut gestellten Dorfwirt ein-
steht, der kein Weib mehr und keine Kinder hat, und dann feine
Frau wird — das hat sich noch immer sehen lassen können, selbst
dem Neid zum Trotz, der darum herumkriccht.

Wie eS denn so zugehe auf dem Mooserwirtshaus, frug setzt wie-
der die Zaunerbas. Sie war eben erst nach der Vesper, die eine
halbe Stunde von Dürrwang her, zugekehrt.

Einen Tag halt wie den andern, war die Antwort. Grad mit
dem Wirt sei's allerweil ein G'frett. Er esse und trinke wacker,
aber alle Wochen ein paar Tag werfe es ihn ins Bett, weil er für
fein Alter zu stark werde und vom guten Leben das Reißen habe.

Na, und ein Kind kriege sie, wie es scheine nicht?

Es huschte giftig über das Gesicht der Kathl. „Naa ...", sagte
sie hart und sah weg. Ihre Gedanken schweiften am schwammig
übergenährten Eheherrn vorbei zum Häusel (Pferde- und Hofknecht),
den sie seit Neujahr hatten: ein braun gekräuselter, fescher Ober-
landler mit blanken Zähnen und graublauen Augen, die mit jenen
um die Wette blitzten.

Naa, sagte sie nochmals; aber der Mooserer habe ihr ja das Sach
notarisch zugeschrieben, und das, was sie an seine Freundschaft her-
auszahlen müsse, wenn was passiere, sei leicht zum Aushalten.

„Da wär's also das Schlechtst no lang net, wenn er sterm tat,"
meinte die Basl vor sich hin; so ganz selbstverständlich. Sie sah gar
nicht auf dabei und strich gewohnheitsmäßig mit den runzlichen Hän-
den über den uralten Schurz aus brüchiger Schillerseide.

Wohl, sagte die Kathl dagegen. Aber das laste er schön stad
bleiben, dafür lebe er zu gut.

Die dünne Auswärtssonne blinzelte schon draußen zwischen die
Fichtenwipfel, und es hieß aufbrechcn: zwei Stunden landeinwärts
wollen marschiert sein, ohne daß man in die Nacht hineinkommt.

Die Basl ging ein Stücke! mit. Als sie am Hohlweg waren, wo
droben bloß noch ein schmaler Streifen Himmel zu sehn, gab sie der
Kathl ein Vertrauliches mit auf den Weg. Sie solle doch einmal
zur Loichingernandl drüben in Gradlham schauen. Die wisse aller-
hand und könne ihr vom Mooserer helfen: auf eine gottgefällige
Weis'. Umsonst sei die nicht schon weit über die Neunziger weg und
noch so wohlauf; da sei ein Segen drin ... „So ani halt, die eppö
woaß..." ^

Am Charfrcitag, genau um halb Zwölf zu Mittag, war die
Mooferwirtin die einzige Besucherin im Dirnhamer WallfahrtS-
kirchcl: ganz hinten im Finstern bei der Bsundern MuttergotteS, die
in einem goldüberstickten Mantel stak und ihr eigentliches Aussehen
niemals zeigte. Nur am schwarzen Antlitz mit der prangenden golde-
nen Krone darüber war ihre Besonderheit zu erkennen, in der sie
mit der schwarzen MuttergotteS zu Altötting in Wettbewerb stand.

Es ward der Wallfahrterin schier unheimlich in dem finstern Win-
kel, und ihre erbosten Beine zitterten ein Bissel, als sie die Holz-
bank mit den fünf Trittbrettern herbeiholte, um an das Blech zu
kommen, auf das sie ihre Kerze setzen mußte. Der Boschen aus Fich-
tcnreis und Weidenkatzeln, hinter dem sich nach Anweisung der

Loichingernandl die Kerze ganz unsichtbar zu bergen hatte, machte ihr
erst recht zu schaffen. Besonders, wie die MuttergotteS, war auch
die Kerze der Nandl: kohlschwarz wie eingeschmelzter Ruß aus
lauter ausgesuchten heiligen Kräutern. Und derweil sie herunter-
brannte, durfte kein Strahl des Tageslichts an sie kommen.

Alsdann kniete die Kathl auf der steinernen Staffel und Hub
das Beten an. Sie mußte ganz frei knien, ohne Betstuhl, sonst galt
es nicht. Und es hieß aushalten: Dreiundzwanzig war die vertraute
Zahl der nötigen Vaterunser; und nach jedem sollte sie die Augen
eindrücken, sich den Mooserwirt auf dem Totenbrett vorstellen und
ihm von Herzen die ewige Seligkeit wünschen. Wenn sie alles rich-
tig einhielte, wär's wohl zu schaffen, daß er genau binnen vier
Wochen dahinginge.

Sie betete und betete. Schon roch der Rauch vom hinabgebrann-
ten schwälenden Docht schlecht und stickig, und das Aufrechtknien
ward ihr immer saurer. Am Rosenkranz hatte sie eine Erbse um
die andere geschoben, endlich waren eö vierzehn Vaterunser. Noch
neun... Aber das Bild des toten Mooserwirts schwamm ihr nur
noch vor den Augen, und nun fiel ihr der Rosenkranz aus der Hand
— da wußte sie auch nicht mehr, wie viel sie hinter sich und noch
vor sich habe. Sie betete blindlings darauf los und hörte erst auf,
als ihr die Welt beim Eindrücken der Augen blutrot vorkam, und
statt des toten Mooferers der Häusel erschien, ohne wanken und
weichen zu wollen.

Da schwankte sie hinaus, setzte sich wie betäubt auf die Steinbank
vor der Tür und schlich dann durch Äcker, Wald und Wiesland da-
hin, bis sie spät nachts daheim war.

*

Wenn man einer Sache sicher ist, zählen sich die Tage fröhlich ein.
Der Mooserwirt machte nach Herkommen allwöchentlich sein zwei-
tägiges Gliederreißen im Bett ab, und die Wirtin konnte den letzten
Freitag, an dem nach Ablauf von vier Wochen das Unausbleibliche
eintreten mußte, leicht abwarten.

An diesem Freitag lag er auch wieder im Bett, und so oft war
sic noch nie zu ihm hinter in die Kammer gekommen, um ihm das
Kopfzichen zu rücken und guten Trost zuzusprechen.

Richtig auch — als sie ihm so gegen Vier eine heiße Kaffeesup-
pen hinterbrachte, lag er da und rührte sich nicht; sie rief ihn an,
er blieb still. Also: es war da, und es brauchte keiner Aufregung.

„Holt's den Bader!" lief sie in die Küchel, „dem Wirt iS was
passiert."

Der Bader kam, und nun — war'e doch nicht da... „Trosfa
hat's 'n," sagte der; ,,'e Herz schlagt no; er kimmt aa scho wieda
zu eahm."

Der Wirt machte die Augen auf, aber mit seinem Reden war S
dahin. Die Zunge war ihm gelähmt, dazu die ganze rechte Seite.
Leben könne er so noch recht lang, meinte der Bader. Dem letzten
Pfarrer sei's grad so gegangen, und er habe noch acht Jahr gelebt.
Anderntags sagte der Doktor genau so.

So wär die Kathl also mit dem Wirt, wie er ehedem war, um
einen ganzen Haufen besser daran gewesen als mit dem jetzigen, der
zu gar nichts mehr taugte und doch gewartet werden mußte.

Deshalb war sie am Montag wiederum bei der Loichingernandl.
Und sie heulte ihr etwas vor, daß es einen Hund erbarmen konnte.

Die Nandl stellte ein scharfes Fragen mit ihr an, und schließlich
kam eS heraus, daß eö mit den Dreiundzwanzig nicht in Ordnung
gewesen. Und deshalb habe es auch nur halb geholfen. Bei so einer
heiligen Sach' käm' es eben auf alles an. Was zu machen fei?
„Mein Gott, vorm nächsten Karfreitag fcho rein gar nir'n ...

„Wenn ma mir aba so lang net warten kinna?" fuhr es der
Wirtin heraus, der schon neun Monate des Malheurs genug waren,
„un wenn's do absolut ehnder sein muaß?"

„Ja, da schau her!" sagte grob die Loichingernandl dagegen, „da
muaßt scho zum Darlkofinger Schäfer gch'n, um a wcltlinga Ge-
waltsach', i sclm halt's nur mit die gottg'fällinga Mittel."

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