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Der Ossa im Böhmerwald

Nach Tische wollt' ich schlafen, aber Rosina ließ mich die Augen
nicht schließen. Ich kannte, ich liebte sie seit langem. Und nun, da ich
der Liebe so sehr bedurfte, erschien sie, die Schöne, die Graziöse, und
verhieß mir Trost.

Ich betrat abermals das Cafehaus, und noch war der Freund
nicht da. Aus Verzweiflung spielte ich Billard, trank Kaffee um
Kaffee, sah auf meine Uhr, sah auf die des Gastzimmers, ich guckte
allen Gästen auf die ihre.

Endlich trat der Freund herein.

Mitten im Spiel verließ ich die Partie und eilte ihm entgegen.

Wo wohnt sie?

Hier, in der Contrada della Passerella.

Und die Hausnummer?

O, das weiß ich nicht.

In welchem Stock?

Im zweiten.

Addio!

Nun war ich in der Gaffe. Ich eile von Haus zu Haus, suche und
suche wieder, aber Rosina ist nicht zu finden. Ich hatte die Straße
schon ganz durchstreift, stand aber doch jetzt vor einem Gebäude, das
ich mich besann, noch nicht besucht zu haben.

Neue Hoffnung, neuer Mut!

Ich eile in den zweiten Stock hinauf, klopfe an die Türe.

Niemand antwortet.

Ich versuche zu öffnen, öffne, und befinde mich in einem Vorzim-
mer. Mehrmals wiederhole ich: Ift's erlaubt? Alles still und ich
trete vor. Im zweiten Zimmer seh ich nichts, und öffne ganz leise ein
drittes, das halb dunkel erscheint.

Nicht wußte ich, ob ich vorschreiten sollte, und war schon im Be-
griffe umzukehren, als ich eine etwas matte Stimme vernahm.

Wäre es eine männliche gewesen, so hätte mich nichts aufgehalten.
Aber es war die einer Dame, und noch dazu klang sie jung und
frisch.

In einem durch Vorhänge ver-
deckten Bette lag eine schöne
Frau, die mich fragte, ob ich der
Doktor sei.

Ich bejahte es, ermutigte mich,
und trat näher. Dann richtete ich
die gewöhnlichen Fragen der Arzte
an sie, fühlte ihr den Puls und tat
alles, um die schnell übernommene
Rolle gut zu spielen.

Ihre schöne Hand ruhte in der
meinigen. Mir selber unbewußt
drückte ich sie immer inniger, bis
die Dame mich endlich schärfer an-
zziblicken begann, und ausrief, in-
dem sie die Hand zurückzog: „Ich
wußte nicht, daß nunmehr Herr
Paganini auch ein Doktor ist!"

Da ich mich erkannt sah, ihr
jedoch die wahre Ursache meines
Hierseins nicht verraten wollte, so
beteuerte ich, ich hielte meine
Maske wohl für ein Unrecht, ja
für sträflich. Ich hätte sie, die
Schöne, aber irgendwo gesehen,
und sie heftig lieb gewonnen, der-
gestalt, daß also nur wahre Leiden-
schaft mich zu dieser Kühnheit habe
verleiten können.

Und schon war ich im Begriffe,
ihr noch mehr zu eröffnen, als ich
jemand eintrcten hörte.

Die liebenswürdige Dame ließ
schnell meine Hand los, und ich
trat einige Schritte zurück.

Ein alter Herr nahte sich, blieb stehen, fixierte mich, und fragte
die Kranke, ob ich der Signor Dottore fei.

Auf meine bejahende Antwort bat der gute Mann mich, Platz zu
nehmen. Auch er setzte sich, und begann, mich nun auszufragen, was
ich von der Kranken oder vielmehr von ihrer Krankheit halte.

Meine Verlegenheit kann man sich vorstellen. Ich, der ich von
Medizin nichts verstehe, als was eine trübe Erfahrung mich in späte-
ren Jahren davon hat ahnen lasten, ich befand mich nun einem Men-
schen gegenüber, der an Krankheit und Tod glaubte, unzählige Re-
zepte hatte, viele lateinische und griechische Worte vorbrachte, und
fast wie ein Arzt sprach.

Natürlich ließ ich stets nur ihn reden, nickte bejahend mit dem
Kopfe und gab ihm immer Recht.

Endlich mußte man aber doch zu irgend einem Schluffe kommen.
Schon lag das Papier zum Rezepte bereit, und der Andere griff be-
reits zur Brille, um zu sehen, was ich verordnen würde.

Ich, um mich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, sagte schließlich:
Es ist das Beste, man läßt die Natur wirken! Und sollte das Übel
am folgenden Tage nicht gewichen sein, dann erst wollen wir zur
Kunst unsere Zuflucht nehmen!

Kaum hörte dies der Alte, so fiel er mir beinahe um den Hals,
und rief: Das ist gewiß die beste Methode! Ich liebe eS gar nicht,
gleich Rezepte verschrieben zu sehen, ohne daß der Arzt vorher nicht
auch die seelische Verfaffung des Patienten von Grund aus erforscht.

Dann folgten neue Komplimente, und neue Bitten, mich zu setzen.
Ich war in der Hölle. Mußte ich nicht gewärtigen, jeden Augenblick
einen meiner Bekannten eintreten zu sehen oder gar den Doktor in
Person? Um meine Qualen auf's höchste zu steigern, begann nun
der Alte ein langsam sich fortschleppendes Gespräch über seine eigenen
Übel.

Da endlich — um mich aus dieser peinlichen Lage zu reißen, da
endlich schlug es sieben Uhr.

Schnell erhob ich mich.

R. Koeppel

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