J U G E
3 4. JAHRGANG
N D
1929 / NR. 26
MOHN
Q
J,
o a er
eis verwegene
1 TlaM
en
VON GEORG BRITTING
Die Wasenmeisterei liegt aus einem Hügel vor der Stadt, dem
Galgenberg. Die Straße, die beim Tor den schweren Panzer des
Pflasters abwirft, erklimmt in kurzen Sprüngen die Kuppe, wo em
schwarzer Zaun aus Eisenlanzen das Gehöft feindselig verstachelt.
Verwachsene Bäume und von ekelhafter Blattkrankheit zernagte,
niedere Büsche umkreisen wie lauernde Hunde daS Haus. Marion
ging fast täglich diesen Weg. Nie waren die kleinen Fenster geöffnet,
und als jich einmal die dunkle Türe knarrend drehte, schnell schloß sie
sich wieder mit dem Geräusch eines zuspringenden Taschenmessers
hinter der Frau, die ein Kind (oder war es irgendein Tier?) an die Brust
drückte. Der Versuch mißlang, dem Abendspaziergang eine Richtung
zu geben, daß er jie nicht vorbeisühre an dem verpesteten Garten. Ein
dunkler Wille, dem jie jich mit geringem Sträuben unterwarf, trieb
jie verschlungene Wege, die alle wieder einbogen in die große Straße.
Dann legte jie die Stirn an die kalten Eisenstangen, klammerte sich
mit den kleinen Händen fest und roch lange den süßen und faden
Geruch, vor dem sie sich ekelte.
()hr Bräutigam Otmar, der Afrikaner, war, wie stundenlang an
jedem Tag, mit seinem weizengelben Schnurrbart beschäftigt. Die
Medaillen und Kreuze, die er sich im Weltkrieg, in Südwestafrika,
erfochten hatte, sie klirrten über seiner linken Brustwarze, auch wenn
er sie, wie jetzt, nicht trug. Er neigte das Ohr und horchte auf das
feine Klingeln. Dann, im Wirbel der Fingerspitzen die Schnurrbart-
enden schleudernd, stellte er an seine Braut die Frage, die er, weil
ihn das Ungewöhnliche wieder einmal sehr bedrückte, jetzt und sofort
stellen mußte: „Muß es bei Marion bleiben?" Er hätte lieber Maria
gehabt. Aber sie nickte nur ein verträumtes: Ja. Die gebräunte rechte
Hand init der Narbe tändelte noch immer an dem längsten der Bart-
haare, und im Zerren schien es noch länger zu werden und immer
länger, die linke jedoch lag regungslos auf dem weißen Tischtuch wie
ein Tier. Er spreizte die Finger, und sie erschrak, als er sie zur Faust
schloß. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, eine Mücke oder blau-
glänzende Fliege säße gefangen im Innern. Spielend entknüpfte sie
seine Fingergelenke und war fast betrübt, als kein Insekt surrend
aufflog. Sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn stürmisch.
Wenn im Straßengraben unter versprengten Roggenhalmen eine
3 4. JAHRGANG
N D
1929 / NR. 26
MOHN
Q
J,
o a er
eis verwegene
1 TlaM
en
VON GEORG BRITTING
Die Wasenmeisterei liegt aus einem Hügel vor der Stadt, dem
Galgenberg. Die Straße, die beim Tor den schweren Panzer des
Pflasters abwirft, erklimmt in kurzen Sprüngen die Kuppe, wo em
schwarzer Zaun aus Eisenlanzen das Gehöft feindselig verstachelt.
Verwachsene Bäume und von ekelhafter Blattkrankheit zernagte,
niedere Büsche umkreisen wie lauernde Hunde daS Haus. Marion
ging fast täglich diesen Weg. Nie waren die kleinen Fenster geöffnet,
und als jich einmal die dunkle Türe knarrend drehte, schnell schloß sie
sich wieder mit dem Geräusch eines zuspringenden Taschenmessers
hinter der Frau, die ein Kind (oder war es irgendein Tier?) an die Brust
drückte. Der Versuch mißlang, dem Abendspaziergang eine Richtung
zu geben, daß er jie nicht vorbeisühre an dem verpesteten Garten. Ein
dunkler Wille, dem jie jich mit geringem Sträuben unterwarf, trieb
jie verschlungene Wege, die alle wieder einbogen in die große Straße.
Dann legte jie die Stirn an die kalten Eisenstangen, klammerte sich
mit den kleinen Händen fest und roch lange den süßen und faden
Geruch, vor dem sie sich ekelte.
()hr Bräutigam Otmar, der Afrikaner, war, wie stundenlang an
jedem Tag, mit seinem weizengelben Schnurrbart beschäftigt. Die
Medaillen und Kreuze, die er sich im Weltkrieg, in Südwestafrika,
erfochten hatte, sie klirrten über seiner linken Brustwarze, auch wenn
er sie, wie jetzt, nicht trug. Er neigte das Ohr und horchte auf das
feine Klingeln. Dann, im Wirbel der Fingerspitzen die Schnurrbart-
enden schleudernd, stellte er an seine Braut die Frage, die er, weil
ihn das Ungewöhnliche wieder einmal sehr bedrückte, jetzt und sofort
stellen mußte: „Muß es bei Marion bleiben?" Er hätte lieber Maria
gehabt. Aber sie nickte nur ein verträumtes: Ja. Die gebräunte rechte
Hand init der Narbe tändelte noch immer an dem längsten der Bart-
haare, und im Zerren schien es noch länger zu werden und immer
länger, die linke jedoch lag regungslos auf dem weißen Tischtuch wie
ein Tier. Er spreizte die Finger, und sie erschrak, als er sie zur Faust
schloß. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, eine Mücke oder blau-
glänzende Fliege säße gefangen im Innern. Spielend entknüpfte sie
seine Fingergelenke und war fast betrübt, als kein Insekt surrend
aufflog. Sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn stürmisch.
Wenn im Straßengraben unter versprengten Roggenhalmen eine