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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 35.1930, (Nr. 1-52)

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https://doi.org/10.11588/diglit.6762#0468
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hoch und dreht sich langsam ihr zu. „Ja", sagt
er, „das haben Sie. Ich wollte Ihnen den
Stein schenken, das wissen Sie gut. Nun be-
konnnen sie ihn nicht mehr." Ein Lachen springt
aus hinter seinen Augen. Antje sieht es. Sie ist
gleichermaßen davon gestört und angezogen.
„Gut, so habe ich ihn eben verpaßt", sagt sie
trocken. „Ja. Nun bekommt ihn der Bobby."
„Wer?" „Mein Bub. Ich habe übrigens zwei.
Der eine ist vier, der andere sechs Jahre alt."
Schweigen. Dann: „Man sieht Ihnen das
Verheiratetsein gar nicht an. Sie sind so
elastisch geblieben, ich meine auch innerlich."
„Das kommt viel aus die Frau an, die man hat.
Natürlich auch auf einen selber." — „Haben
Sie Ihre Frau lieb?" „Das kann ich wohl
sagen. Sie ist sehr klug."

Die Sonne wirst hinter den Wolken hervor
Strahlenbündel fächerförmig aus das Meer.
Antje und Peter gehen über die hohen Dünen
dem Waldrand zu. Die Dünen leuchten gelblich-
weiß. Sie sind von enggestafselten, arabesken-
artigen Linien durchzogen, alle im gleichen
Schwung liegend, zu einem wunderbaren Bild
der Einheit sich formend. So ist sein Gesicht,
denkt Antje, blnd sie sagt: „Die Düne hat fast
so viele Falten wie Sie." Peter Nil lacht.

Zuerst kommen zerzauste Kiefern, landein-
wärts gebeugt. Mit grünen Inseln im hellen
Sand beginnt die Heide, bis sie sich an der
Waldgrenze zufammenschließt. Im Wald aber
ist das Märchen. Da ist keines Menschen
Hand zu spüren. Die Bäume stehen, wie der
Samen siel: Buchen, Erlen, Kiefern. Moos
leuchtet. Keine Blume. Sie haben sich am
weichen Hang gelagert, Antje auf ihrer Strand-
jacke. Sie liegt im weißen Badetrikot hell und
leuchtend im Grün. Das blonde, glatte Haar
glänzt wie Seide. Sie ist groß und sehr schlank.
Die Haut des Körpers ist mattes Gold, denkt
Peter Nil, von dem gelblichen Ton, wie ihn die
Ohrgehänge der Großmütter hatten. Eine
Nuance tiefer in der Farbe ist das Gesicht. Es
ist regelmäßig und schön geformt, die Nase
gerade, der Mund nicht zu klein und hellrot
geschminkt. Die blauen Augen können über-
mütig sein, aber im Grunde sind sie warm und
ernst.

Das Meer rauscht. Zweige knacken. Sonst
ist keine Stimme. Bis auf das grüne Licht im
Wald, das laut ist, so scheint eS Antje, das
tausend Stimmen hat und eine. „Wie ruhig eS
ist hier", sagt Peter Nil. „Ruhig?" „WaS ist
denn nicht ruhig?" „Ich", sagt Antje.

Sie rührt sich nicht. Es war die eine Stimme,
die laut geworden ist. Es war nicht ihre
Stimme. Der Wald singt.

„Wie kommen wir dazu, dem Hotel zu dem
Mittagessen auch noch den Kaffee zu schenken?
Ich Hab Hunger, kleine Antje. „Ich auch."
Antje lacht. „Woher wissen Sie meinen
Namen?" „Es gibt Trinkgelder." „Ach so —."

Sie rudern zurück. Der Nachmittag ist doch
blau geworden. Antje landet das Boot und
schwimmt hinüber zum Damenbad, um sich
anzukleiden. Sie hat sich mit Peter Nil zum
Kaffee verabredet, in der Konditorei am Strand.
Nil wartet. Er sitzt in einem der bequemen
Klubsessel auf der Terrasse, den Rücken dem
Meer zugedreht. Die Strandkapelle spielt, weiß

sind die Häuser, weiß der Sand, das Meer
opalfarben und der Himmel blau. Die Fähn-
chen über dem Gewimmel der Strandkörbe
leuchten bunt und fröhlich, blngeheuer festlich
ist der Korso der schöngekleideten Frauen.

Antje ist da. Sie hat ein entzückendes, tee-
rosenfarbenes Kleid an. Der randlose Hut auS
hauchdünnem Geflecht hebt das reine Profil gut
heraus. Sie versteht es, sich anzuziehen und sie
ist wirklich hübsch. DaS ist es auch, denkt Peter
Nil. Sie haben Mokka vor sich und rauchen.
„Erzählen Sie, Antje, von zu Hause." „Es
gibt nicht viel zu erzählen. Ich arbeite, und habe
manche kleine Freuden, aber die sind selten."
Ihr junges Gesicht wird sonderbar hart. „Ich
möchte, daß wir gute Freunde werden, Antje."
„Ja?" ganz klein ist ihre Stimme. „Es ist so:
meine Frau kommt in acht Tagen mit den
Kindern hierher. Wir können siebeneinhalb Tage
lang sehr glücklich sein." „bind dann?" „Dann?
Vorläufig ist es noch nicht so weit." Sie sitzen
ganz korrekt am Tisch. Sie beugen sich nicht
ein wenig zueinander. „Willst du, Antje?" „Ja,
ich will."

Es gibt Nächte, in denen man wach liegt vor
Glück, allein, wenn der Geliebte gegangen ist.
Die rosa Nachtlampe ist ausgelöscht, die Sterne
sind da, das Meer rauscht. Im Zimmer nebenan,
durch eine Tür verbunden, atmet der Geliebte.
Er ist da. Das ist das süßeste, dieses ruhige
Wißen. Geweckt zu werden davon, daß er im
Schlafanzug am Rande des Bettes sitzt, braun,
geschmeidig, frisch. Die seinen Falten spielen
fröhlich um Augen und Stirn, seine Hand
streicht einem fest über das Haar, gleitet bis
zum Nacken hinunter, packt, schüttelt: der Tag
ist da.

Der Tag —: das ist fröhlichste Kamerad-
schaft. Was ist schöner: Tag oder Nacht? Tag
und Nacht. Tag ist so, als würde ich deine Frau
kennen. Nacht ist so, als wüßte ich nicht von
ihr. Beides ist schön, wenn du daneben bist.

Noch drei Tage, noch vier Nächte! In sieben
Tagen hat Gott eine Welt erschaffen.

Antje lernt etwas ihr bisher Fremdes be-
greifen: Gemeinsamkeit. DaS starke Glück des
Wissens um den anderen. „Sentimentalität wird
schnell ranzig", sagte Peter Nil einmal. Sie

Liebespaar

Georg O e ni in e I
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Georg Demmel: Liebespaar
 
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