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Somit war unser Trutz- und Schutzbund
ein für allemal gebündelt. Das Resultat
war vorderhand, daß wir gleich am näch-
sten Tage uns verbrüderten und in den
Wald, den grünen Wald zogen, wobei wir
mit unseren Rnabentenoren das schone
Lied sangen: „Zum Walde mußt du wan-
dern gehn, zum Walde mußt du gehn!"

Plötzlich, als wir uns, der Rleider zum
Großteil entledigt, niederließen, kam in
Nestls magischen Zauberkünstlerhänden
eine Schachtel zum Vorschein, die er mir
alsbald geöffnet mit weltmännischer Ge-
bärde unter die Nase hielt.

„Zigaretten!-"

„Iawohlja."

Nestl langte mir eine her. Es war die
billigste Sorte, bekannt unter verschiede-
nen Übernamen, wie „Sargnagel", „Re-
krutentschick", „Schmalspurige" usw. aber
unter dem gesetzlichen Namen „Ungarische
Zigaretten", per Stück ein Heller, in den
Handel gebracht wurde.

„wo hast du die hundert Tschick her;"

„putzt" kam es mit einer großen Wolke
aus Nestl Mund.

„wo denn;", drängte ich neugierig.

„weißr du, wir haben einen Zimmer-
herrn, einen gewissen Leutnant von
Zaberfeld und dem Hab ich sie putzt-"

„Ein Leutnant und — „Ungarische";,
wunderte ich mich.

„Ja, mein Lieber, das ist ein Gerie-
bener. Der kauft nur Ungarische und
raucht trotzdem nur „Goldmundstück".

„was du nicht sagst;"

„Als ich neulich ins Zimmer kam, —
wenn der Leutnant nicht da ist, geh ich
manchmal hinein und unterhalt mich mit
dem Pfeifendeckel — da war der gute
wenzl, gerade bei der Vergolderei: „Mar-
janjoschef — su ane Dreckfinkschmiere-
rei —!, Hub ich angmaln schu gonze
wuhnung mit dem Dreck da. — Und
suwas steckt sich — zu Befehl Herr Leut-
nant — in seine Guschen! Ieschusmarjan-
joschef — tät ich mich vergrauslichen —."

Die Zeit verging — und mit ihr die
Ungarischen. Nachdem wir so ziemlich
die Hälfte zur Feier des Tages aufge-
raucht hatten — bemerkte ich, wie sich
Nestls Nase pkosphorgrün färbte. Seine
grauen Schweinsaugerln rollten nervös
und waren überdies noch um ein Beträcht-
liches kleiner geworden. Mir selbst war
alles eher als wohl zu Mute, nur wollte
ich in meiner Mannbarkeit dem Nestl nicht
nachstehen.

„Das ist ein Glump, diese Ungarische",
floß es hilflos aus Nestls breitem Mund.

Der Zustand wurde immer schlimmer
und äußerte sich in einem Konglomerat
von verschiedenen Zuständen. In dieser
Verfassung getraute ich mich nicht nach
Hause. Also zum Nest!. Dem seine Mutter
war Näherin und arbeitet irgendwo auf
Stör.

Ein lautes Lärmen, aus dem Zimmer

Leutnant von Haberfelds kommend, gab
uns einen Teil der ursprünglichen Nüch-
ternheit wieder. Als wir zur Türe schli-
chen, horten wir die wutschnaubende Leut-
nantsche Donnerstimme:

„Habtacht! — Waas leugnen wollen
Sie; Sie Dieb! Sie böhmischer Zirkl Sie!

— Ich werde Sie in Disziplinarunter-
suchung stecken. — Ahnen Sie, was Ihnen
droht, wenn es bekannt wird, daß Sie
einen ka und ka ostereichisch-ungarischen
Leutnant der Infantrie und Edelmann
bestoooohlen haben! — — —"

„Zu Befe-"

„Habtacht! — Halts Maul!" weil dem
Herrn Leutnant momentan nichts einfiel

— und weil er doch auch von Adel war,
sagte er nur „Aeh". Als ihm wieder was
einfiel, sagte er weiter:

„Habtacht! — Also daß er es weiß: Ich
bin mitnichten gelaunt mich meines teu-
ren Eigentums berauben zu lassen, ab-
treten!"

Das war dem wenzl zu viel. Er platzte,
sämtliche Habtachts und Haltsmauls igno-
rierend, los:

„Zu Befehl, Herr Leutnant, meld ich
ghorsamste — ist sich Ungarische erstens
gar keine teure Eigentum, sondern ist sich
ganz sputtbillige Tum — —."

„Halts Maul."

— Meld ghursamste, Herr Leut-
nant, rauch ich fürs zweite nie nicht im
ganzen Le'm sulch miserable Dreckzigrettel

— Meld ghursamste, Herr Leutnant,
rauch überhaupt nur Spurt!"

„Aeh", der Leutnantsche Monokel rollte
flüchtend durch 's Zimmer.

Als hätte er eine Division zu komman-
dieren, schrie der Leutnant:

„Haaaaabtaaaaacht! — Und wo, so frag
ich, wo sind die hundert Stück, wo ist die
Schachtel Zigaretten hingekommen, —
herrrraus!"

„Meld ghursamst, Herr Leutnant,
müssen S' rein selber aufgraucht ham in
Ihre kopflose Verstreutheit, sunst raucht
sich — mein Ehrnwurt — niemand das
ungarische Dreck — — —."

Der Nestl war trotz seiner Verderbtheit,
(von der übrigens nur der Herr Lehrer,
bald freilich auch Leutnant von Haberfeld
überzeugt war) ein sogenannter lauterer
Charakter. Als solcher konnte er unmög-
lich den Schimpf aus dem guten pseifen-
deckel ruhen lassen. Er schrieb aus einen
Zettel:

„Zu Befehl, Herr von Leutnant, die
Spangerlen Hab i duzt, dadervon isch mir
aber so saumies geworten, daß ich Ihnen
den schäbigen Rehst gerne wider zruck gebe.
Der Wense! hat sie nicht buzt. Indem ich
Kose, daß Ihnen auch mies wirt, zeichne
ich mit viele Grieße ihr Freint Nestl."

Diesen Zettel legte er heimlich mit dem
Zigarettenrest auf Haberfelds Schreibtisch.
Für diese Ehrlichkeit ist der gute Nestl zu-
erst von seiner Mutter, dann vom Herrn
Leutnant — schließlich noch vom Lehrer-
anständig durchgewichst worden, daß
natürlich beim letzteren auch für mich was
abfiel, war selbstverständlich. Indes: Ge-
teiltes Leid ist halbes Leid.

H a 1 1 s t c i n

Papa i in Schi-Gelände
„Des kann i gar koiin Mensch nit sage, wie mir ’s
isch, die ganz Welt isch mir zum Ekel!“

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Register
Willy Hallstein: Papa im Schi-Gelände
 
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