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hatte sich für Pepi die rmabweisliche Not-
wendigkeit ergeben, ein Atelierfest zu ver-
anstalten. Denn damals, wie beute, emp-
findet es der Schwabinger als geheiligtes
Gebot, funfundstebzig Prozent des Erlöses
einem unbekannten Gott der Freude zu
opfern, auf daß er feine Gunst auch weiter-
hin erweise. Pepi hatte in der Tat nicht
gegeizt. Rognak-Verschnitt und Rirsch-
wasser flössen in Strömen, und das Girren
einer Gitarre steigerte die Tanzwut der
Masken zu frenetischem Freudentaumel.
Das Gluck der Stimmung lustvoll aus-
kostend, hatte Mizzi ihre Rräfte allzurasch
verbraucht. Und so sank denn der kleine
pierrot schon vor der Mitternachtsstunde
auf das Sofa und schlief dort ein. —

Als Mizzi wieder erwachte, bot stch ihr
ein schauriger Anblick. Im verdunkelten
Atelier stand — der Tod. Gegen das
Atelierfenster gelehnt leuchtete fein Ge-
rippe in phosphoreszierenden Umrissen vor-
dem Nachthimmel, und leere Augenhöhlen
starrten aus einem blanken Schädel, Hätte
Mizzi gewußt, daß Pepi das Verfahren,
einen schwarzen Badetrikot mit Phosphor

zu bemalen und auf diese Meise den Rno-
chenmann darzustellen, schon mehrmals an-
gewandt hatte, so wurde sie wohl nicht
erschrocken sein, sondern dem „Tod" die
ihm gebührende Maulschelle versetzt haben.
Doch Mizzi war nur ein kleines, wenig
entschlossenes Mädl und weit davon ent-
fernt, Ohrfeigen an Gerippe zu verteilen.
Ihr Mundchen stand weit offen, die Augen
standen entsetzt nach der unheimlichen Er-
scheinung. „Das mimt sie gut!", flüsterten
die Gaste, die vom Nebenraum aus den
Vorgang beobachteten. X'lun löste sich das
Gerippe vom Fenster los, ging auf Mizzi
zu und begann mit ihr zu tanzen. Schaurig
klapperten die auf dem Rucken befestigten
'Rastagnetten, wahrend Mizzi marionetten-
haft einen Fuß vor den anderen setzte,
plötzlich aber geschah etwas Merkwürdi-
ges. Mit einem schrillen Aufschrei, den
keiner der damaligen Gaste mehr vergaß,
brach der kleine pierrot in die Rnie und
fiel der Länge nach auf den Boden. Das
konnte wohl nun nicht mehr „gemimt" fein.
Der Raum wurde erleuchtet, aber als sich
Pepi die Larve abgerissen hatte und stch

über die Liegende beugte, sah er in ver-
löschende Augen. nc*d) einmal weiteten sie
sich, und ein glückliches Lächeln lief über
das Puppenmündchen: „So — du bist 's,
Pepi — dann ist ja alles gut!" — tNü
diesen Worten und einem seligen Lächeln
auf den Lippen starb die Mizzi Rolbinger.
An einem Herzschlag, stellte der Arzt
fest. —

Am Aschermittwoch brachte man die
Mizzi Rolbinger zur Erde. Ein schwaches
Häuflein von Schwabingern folgte dem
Sarg, und der Maler Weinzierl murmelte
einige unverständliche Worte am Grab,
was konnte er auch schon viel über den
kurzen Lebensweg dieses kleinen Mädels
berichten, das sich durch nichts anderes
hervorgetan hatte, als daß es geboren
wurde, als Engerl Modell stand und starb-
Die Wiederholung des einen Satzes aber,
den Mizzi einmal ausgesprochen hatte, und
der ihr kleines Herz über alles Irdische
hinaus hob, wurde stch in dieser Stunde
wohl nicht geziemt haben:

„Sixt, Pepi, Geld brauchst koans zum
Leb'n, aber d' Liab'!" w. A.

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Ludwig v. Senger: Der Daniel
 
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