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Honorar: zehn Kronen

Skizze von Theodor M ü blich

Undeutlich und gedämpft, wie in weiter
Ferne schwebend, fand der Lärm, der durch
die Großstadtstraße brandete, Einlaß durch
die breiten, festgeschloffenen Fensterschei-
ben, und die ersten Sonnenstrahlen, die
der junge Lenz entsandte, huschten neu-
gierig wie ausgelassen fröhliche Rinder
über die Bücher und riesigen Papierstoße,
die auf dem mächtigen Schreibtisch aus-
geschichtet lagen, vor dem Edvard Bran-
des, der einflußreiche literarische Chef der
„Politiken" saß. Er hatte ein Manuskript
in der Hand, in dem er eifrig las. Schon
die ersten Satze hatten seine Aufmerksam-
keit erregt, hatten ihn gepackt und im
Innersten aufgewühlt. Es lag etwas
wunderbares und Außerordentliches in
diesen Zeilen, — der Ausdruck war selt-
sam, ja klastisch, Dostojewski konnte der
Verfasser sein, nicht der junge Mann, der
in bescheidener, schlecht sitzender Rleidung
vor dem Schreibtisch stand und mit ge-
spanntem, fast mochte man sagen: ängst-
lichem Gesichtsauödruck den Lesenden mit
seinen Augen verfolgte, war doch der
Entschluß dieses bedeutenden Mannes sein
Schicksal. So viel, so unendlich viel hing
von ihm ab.

Brandes hatte den jungen Mann ver-

gessen. Ursprünglich wollte er ihn weg-
schicken, wie so viele junge Träumer und
Phantasten, die bei ihm für ihr dilettan-
tenhastes Geschreibsel Forderung erhoff-
ten, aber irgend etwas Unerklärliches hielt
ihn davon ab, und nun las er Seite um
Seite, gefesselt von der traurigen Hand-
lung und der psychologisch zarten Linien-
führung.

Der Dichter schrieb von seinem Leben,
hungernd, obdachlos, ein junger Schrift-
steller ohne Flamen. In sein elendes Loch
wagt er nicht zurückzukehren. Er fürchtet
seine keifende, ungeduldige Wirtin, der er
die Miete wieder nicht bezahlen kann.
Doch die Nacht ist kalt und naß, es friert
ihn, und endlich faßt er einen Entschluß
und schleicht aus Socken die Stiegen zu
seiner Dachkammer hinauf, wo er aus
dem Tisch ein Schreiben findet. Es ist
von der Schriftleitung einer Zeitung, der
er ein Manuskript angeboten hat. Er
nimmt den Brief zu sich und schleicht, wie
er gekommen, wieder zum Hause hinaus.
Bei dem Licht einer Straßenlaterne
erbricht er ihn. Sein Herz jubelt, die
Freude preßt Tranen in seine Augen, —
die Arbeit ist angenommen ...

Brandes hatte das Manuskript gelesen

und legte es auf die Seite. Aufmerksam
betrachtete er den jungen Mann, in dessen
Augen ein Heller, dankbarer Schimmer
aufleuchtete, als Brandes ihm erklärte,
seine Novelle sei angenommen. Er ließ
ihm zehn Rronen Honorar ausbezablen.

*

Jahre waren seitdem verflossen.

Der junge Mann von damals war be-
rühmt geworden.

Eines Tages besuchte der schwedische
Schriftsteller Axel Lundegard den Thef
der „Politiken". Bei dieser Gelegenheit
zeigte ihm Brandes die beschriebenen
Blätter und erzählte ihm die Geschichte
des Manuskripts.

„Verstehen Sie", fragte er Lundegard,
„daß ich mich über meine armseligen zehn
Rronen erschlagen fühlen"

„weshalb;"

Der Schriftsteller legte ihm das Manu-
skript vor. „wenn Sie die Erzählung ge-
lesen haben, werden Sie es verstehen."

„Ist sie denn so merkwürdig; Wie beißt
sie;"

„junger."

„Und der Verfasser;"

„R n u t Hamsu n."

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Register
Hans Otto Schönleber: Der schlafende Faust
Theodor Mühlich: Honorar: Zehn Kronen
 
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