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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 43.1938, (Nr. 1-52)

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MORGENMOND

EIN MÜNCHENER KÜNSTLER-ROMAN VON JOHANNA BIRNBAUM

23 i s l) e r i 9 e r I n h o l t: Barbara Bürkner, Studentin der Philo-
logie, fährt der Stadt ihrer Studien nnd ihrer Sehnsucht, München,
entgegen. Dort hat sie bald Freundschaft geschlossen mit dem Bildhauer
Florian Seidl, einem Kunstfanatiker, der dem Glaspalasttreiben des
Wahres 1927 recht unfreundlich gegenübersteht. Barbara weilt in ihren
Scmcsterferien zu Hanse, während Florian in einem auswärtigen Schloß
Beschäftigung gefunden hat.

0. Fortsetzung.

Mit dem Abendzug fuhr Florian nach München zurück.

*

Die Bäume standen kahl, dürr hing das Laub in den Hecken, als
Barbara an einem der ersten Tage im November wieder südwärts
fuhr. Der Sturm trieb schwarze Regenwolken vor sich her, aber hier
und da funkelten auf hellen Himmelöwiesen verheißungsvoll die Sterne.

Ansbach — schnell senkte sich die Nacht über die Ebene. Felder,
Wälder und Hopfenhecken versanken in Dunkelheit. Die Lichter von
Augsburg leuchteten auf. Immer kürzer wurde die trennende Weg-
strecke.

Barbara ordnete ihr Haar, fuhr mit der Puderquaste über die Nase
und stellte die Koffer zurecht.

Schon blitzten die Schilder der Vororte auf - jetzt München -
Hauptbahnhof!

Im Gang drängten die Menschen.

Barbara neigte sich aus dem Fenster.

„Grüß Gott, Bärbel!", hörte sie die wohlbekannte Stimme, und
im nächsten Augenblick war Florian neben ihr.

Arm in Arm gingen sie dem Ausgang zu. Das Gepäck wurde ein-
gelöst und vorn in der Taxe verstaut.

Als der Wagen in stille Straßen einbog, nahm Florian den kleinen
Reisehut von Barbaras Kopf und drückte fein Gesicht in ihr Haar.
Ihm war, als ob er es in kühle Seide vergrabe und alle Sehnsucht
stille.

„Endlich habe ich dich wieder, endlich —." Als Barbara sich frei
machte und sich ins Polster zurücklehnte, standen Florians Augen
flackernd vor Verlangen über ihr. Gleichsam unverhüllt offenbarten
seine Züge eine Frage, auf die sie keine Antwort wußte. Nur nicht
denken! Nur heute nicht!

Sie schloß die Augen und lehnte sich an seine Schulter. München
— Florian — ! Keine andere Stadt hat diesen Glanz! Keine andere
Liebe diesen Zauber!

A 11 t 0 n ü r a t li

Der Wagen hielt.

Von der Ursulakirche schlug es Mitternacht.

Ein paar Minuten später war Barbara wieder allein. Sie räumte
Kleider und Wäsche in den Schrank. Dabei batte sie deutlich das
Bewußtsein, daß für sie ein neuer Lebensabschnitt begonnen habe.
Ihre Freundschaft mit Florian würde sich anders gestalten, als das
Herz es wünschte. Aber das Schicksal fragte nicht danach. Sie würde
unter ihrer puritanischen Erziehung leiden, aber sie würde sie nicht
verleugnen. Dazu kam das Wiffen, als winziges Glied eingereiht zu
sein mit allen Gedanken und Taten in das Leben vergangener und
kommender Generationen. Sie mußte sich Florian verweigern. Er
würde ihr nicht treu bleiben. Sie würde ihn nicht halten können. Oh,
sie wußte nur zu gut, daß eine unbekannte Macht ihr Spiel mit ihm
trieb und ihn vorwärtspeitschte von einem Erleben zum andern!

Sie hatte nicht den Mut, das Außerordentliche zu wagen, ihm
selbst Schicksal zu sein. Der Gedanke kam ihr nicht, daß durch ihre
bedingungslose Hingabe Florian vielleicht zur Ruhe käme und sie für
immer zusammenbleiben würden. Die vielen Abende im Sommer-
semester gingen ihr durch den Sinn, die sie in Gesellschaft anderer
Menschen verlebt hatten, wie es sein Beruf mit sich brachte, an denen
sie gezittert hatte, wenn einer seine gerade und derbe Art nicht ver-
stand. Als Frau neben ihm zu stehen, war dann gewiß noch bedeutend
aufregender. Angst vor den Menschen! Es war feige.

Aber Barbara hatte so wenig Mut.

*

Auch im Wintersemester hielten Barbara und Florian an der
Gewohnheit fest, bei Professor Spindler zwischen zehn und elf Kunst-
geschichte gemeinsam zu hören.

Auf großer Leinwandfläche erstand vor ihnen die Schönheit der
Antike, die sie mit dem Durst der Jugend in sich aufnabmen. Voll-
kommene Harmonie vereinte sie während dieser Stunden in dem hoben,
dunklen Raum, wo sich eine lockende Welt vor ihnen auftat. Bild-
werke großer Meister offenbarten sich ihnen, gehoben durch die erstaun-
lich Hobe Kunst der Fotografie, verschönt durch den Zauber der Groß-
aufnahme und lebendiger als in Wirklichkeit durch das Geheimnis
ausgeklügelter Lichtwirkungen.

Des Schöpfers Sehnsucht nach Vollendung, nach heiterem, edlem
Lebensgenuß teilte sich ihnen mit. Vergessen war ihre Armut. Sie
streckten die Hand aus nach dem Glück.

„Wenn wir erst zusammen durch Griechenland und Italien reisen!"

Lockende Ferne! Warmer, sonniger Süden! Blauer Himmel! End-
loses Meer!

An der Seite der Liebe.

Weit war die Welt und verheißungsvoll. Das Leben lag vor ihnen
- ein bunter Garten im Sonnenschein.

Und die Andacht der Jugend enthob sie einem fürwitzigen Greifen
nach der Erfüllung aller Sehnsucht, bis — ja — bis ein Sonntag-
nachmittag kam, an dem Florian die goldene Ferne zu weit und zu
unsicher schien, und er eö vorzog, nach leuchtenden Blüten zu greifen,
bevor ihm das Schicksal reife Früchte in den Schoß fallen ließ.

An jenem Sonntag war Barbara allein zu HauS. Ihre Wirtin
war bei ihrem verheitrateten Bruder zum Kaffee eingeladen. Barbara
hatte den Tag für Arbeit angesetzt. Auch Florian wollte an seinem
letzten Entwurf noch Änderungen vornehmen. So dachte sie nicht
einen Augenblick daran, daß Florian es sein könnte, als die Glocke
ging, und sie erschrak fast, als er so unerwartet vor ihr stand.

Sie führte ihn in das große, modern und sachlich eingerichtete
Wohnzimmer. Das Feuer war ausgegangen, und es war bereits
ungemütlich kalt. Eine Unterhaltung wollte nickt recht in Gang
kommen. ^ ^

„Wenn du Lust hast", schlug Barbara schließlich vor, „mache ich mich
rasch fertig, und wir trinken im ,Fürstenbof' eine Tasse Kaffee
zusammen."

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Anton Grath: Plastik
Johanna Birnbaum: Morgenmond
 
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