weniger als gerechtfertigt. Auch ein Steinfugennetz kann mit
dekorativem Takt, mit fein berechneter Anpassung an einen in-
dividuellen Bau und mit beleidigender Rohheit der Form, es
kann in edlen, eines Heiligthums würdigen und in abschrecken-
den Farben ausgeführt werden. Und ist es erlaubt, ein noch
vorhandenes, wenn auch späteres, doch reicheres und höheres
Kunstgebilde zu vernichten, um nach schwachen Spuren das
an seine Stelle zu setzen, was doch nicht den Werth des Alten
haben kann, sondern eine mehr oder weniger ungeschickte Imi-
tation ist und bleibt?
Außer einigen Wandgemälden des 16. Jahrhunderts auf
Lehmtünche, die man, da ihr Zerfall vorauszusehen war, hätte
durchzeichnen und kopiren sollen statt sie zum Objekt von
Übermalungsscherzen eines Dilettanten zu machen, befand sich
in der westlichen Blende ein Bild des hl. Christoph, nach Hrn.
Prof. Lotz „noch ziemlich gut erhalten“. Nach Herrn C. Schäfer
wurde es „aus kaum sichtbaren Spuren“ erneut, d. h. nicht
über-, sondern neugemalt, im Stil des 14. Jahrhunderts. Solche
Malereien in alten Stilformen haben nun weder als historische
Denkmale, noch als lebendige Kunstschöpfungen, noch als An-
dachtsmittel (der gemeine Mann bricht in Gelächter aus) irgend
einen Werth. Sie haben Werth als Kuriosität, als Beispiel, wie
weit ein Amateur es in Imitation der bildnerischen Kalligraphie
irgend eines Säkulums bringen kann, etwa wie ein Sprachge-
lehrter in Mußestunden, ein Gedicht in einem ausgestorbenen
Dialekt verfertigt. Giebt sich so etwas für Kunst aus, so kann
man darüber nur die Achseln zucken. Wenn aber durch ein
solches Kabinetsstück auch der unbedeutendste Rest des wirk-
lich Alten, ein Dokument vaterländischer Kunstgeschichte, wie
hier geschehen, aus der Welt geschafft wird, so muß dagegen
als gegen eine kunstschänderische Barbarei protestirt werden.
2. Ein anderes Blatt wird uns aufgeschlagen im Rittersaal.
Hier war die alte Polychromie unter späterer Tünche verdeckt,
obwohl man auch hier noch, z. B. die auch in der Kapelle vor-
kommenden Strahlensonnen erkennen konnte. Dann aber hatte
die deutsche Renaissance des 16. Jahrhunderts verschiedene
Stücke hierher gestiftet: ein zwei Stockwerke hohes Kamin,
drei Thürverkleidungen von eingelegter Holzarbeit und einen
Kredenztisch. Endlich befand sich in der südöstlichen Ecke des
Saales eine Treppe von sehr eigentümlicher Gliederung (a, a. 0.
Abbildung). An den Wänden sah man Bilder von Jagden, die
ohne Kunstwerth, doch von kulturhistorischem Interesse waren.
Jetzt liegt der Renaissance-Kamin in Trümmern auf dem
Schloßhof und die Treppe ist verschwunden. Damit ist ver-
nichtet, was unter Künstlern als die „malerische Ecke” des
Saales bekannt war und oft aufgenommen wurde, wie ich selbst
mich erinnere, den berühmten W. Unger bei einer solchen Auf-
nahme dort getroffen zu haben. Die reichen Thürverkleidungen,
Werke eines hessischen Hofschreiners vom Jahre 1573, sollten
anfangs in einen anderen Raum versetzt werden, aber auf den
Wunsch einer hohen Besucherin des Saals soll man sich ge-
nöthigt gesehen haben, sie (und den Kredenztisch) zu erhalten,
d. h. die eine wurde zu Flickungen der anderen vernutzt. Die
Beseitigung dieser Stücke ist umso verwerflicher, da dieselben
zur Vervollständigung der Physiognomie des 16. Jahrhunderts
gehörten, dem der Saal seine letzte Gestalt zu verdanken hat
— eine Epoche, wo Hessen zum ersten und letzten Male selb-
ständig in die wehthistorischen Verhältnisse eingegriffen hat,
wo der Wille eines hessischen Landgrafen bei dem Weltkampf
in die Wagschale fiel. Allerdings stehen diese Renaissance-Ar-
beiten in keiner Übereinstimmung mit dem Stil des Baues:
Aber es ist ja bekannt, wie gut gothische Innenräume Denk-
mäler verschiedensten Stiles vertragen, wie wenig diese Ein-
schiebsel, welche Jahrhunderte lang unter ihren Hallen Gast-
recht genossen haben, den Gesamteindruck stören, ja wie ein
Hauptreiz derselben darin liegt, daß die aufeinanderfolgenden
Geschlechter ihre Spuren, ihre Stiftungen in jenen Bauten zu-
rückgelassen haben. Diese großen mittelalterlichen Anlagen
sind oft mehr Werke der Zeiten, als eines Kopfes oder einer
Zeit, Werke der Nation in einer langen Reihe von Geschlech-
tern; der Geist der Geschichte spricht aus ihnen zu uns in ver-
nehmlichen Zügen. Freilich um diese Schrift zu lesen, dazu
gehört etwas mehr als den Kursus irgend einer technischen
Schule durchgemacht zu haben, unter anderm etwas historische
Bildung. Es ist vielleicht manchem schwer begreiflich zu
machen, daß ein Bauwerk, an dem die Nation als Denkmal
ihrer Geschichte, als Theil ihrer selbst, möchte man sagen, ein
Interesse hat, nicht dazu da ist, als Gelegenheit zur fanatischen
Durchführung einer gewissen eng begrenzten Stilform zu dienen,
die sich eine Zeit oder Partei oder Sekte zum Steckenpferd
erkoren hat. Wie oft ist nun schon durch diese Zerstörungs-
manie der Restauratoren jede Spur des Ehrwürdigen von einem
Bau weggefegt worden, sodaß nur noch die Fantasie sich den
alten hehren Eindruck hervorrufen kann, während das Auge
bloß ein modernes, barbarisch buntes Machwerk sieht, einen
schülerhaften Versuch, den Dialekt _ einer untergegangenen
Sprache nachzustammeln. Soll denn dieser so oft gerügte Un-
fug nie ein Ende nehmen?
Das enormste ist nämlich in der Neubemalung des Ritter-
saales geleistet worden. Hier wo der Restaurator nicht durch
die zu tage liegenden Reste gebunden war, konnte er ganz frei
schaffen. Sämtliche Wände sind mit einem rothbraunem Mu-
ster verziert, so völlig roh, wie man es heute höchstens etwa
in den Bodenkammern von Bauernhäusern trifft. Daß im Mit-
telalter, wo für das einfachste plastische oder malerische De-
tail stets sich ein Arbeiter fand, der aus freier Hand, mit
künstlerischem Gefühl bildete, wo so wenig wie im griechischen
Alterthum, Formen auch des Handwerks mechanisch wieder-
holt wurden, solche Schablonenarbeit vorgekommen sei, ist ein-
fach beispiellos und ein Insult auf die Kunst unserer Väter.
In den Schlußsteinen ist wohl das äußerste im Anstriche mit
„giftig-grellen“ Farben geleiset, was selbst in dieser Branche
vorgekommen ist. Selbst wenn diese Muster, wie wohl behaup-
tet wird, aber von vielen stark bezweifelt wird, früher vor-
handen gewesen wären, so wäre damit keineswegs eine Autori-
tät für die jetzt dastehende Verhöhnung des Farbensinns ge-
wonnen. Der jetzige Effekt entspricht etwa dem eines Ver-
gnügungslokals niedrigster Ordnung. Und doch war in dieser
Hinsicht Vorsicht umso mehr nahegelegt, als der sonst so ver-
dienstvolle Lange auch in der Elisabethkirche den Ton ver-
fehlt hatte, und Ungewitter in der Kirche zu Wetter, ebenfalls
nach Zerstörung der hier nach dem Urtheil der Künstler be-
sonders schönen und reichen Rankenornamente auf hellem
Ockergrund ein weißes Steinfugennetz ausführen ließ, das in
der Farbe einen so unqualifizierbaren Eindruck macht, daß man
es als Beispiel brauchen kann für die widerliche Wirkung der
gelben Farbe, wenn sie von der Reinheit abweicht (s. Oersted,
Naturlehre des Schönen).
Und warum hat sich zur rechten Zeit keine Stimme er-
hoben gegen diese Projekte? Die Antwort ist, daß schon im
Herbst 1871, als die ersten Gerüchte davon ins Publikum dran-
gen, ein Nothsignal erfolgt ist. Es wurde damals angekün-
digt, daß die von Lange restaurierte Elisabethkirche, und
namentlich das reich ornamentierte Chorgewölbe noch einmal
restauriert und mit jenem allein-seligmachenden Steinfugen-
netz überzogen werden solle. Es hieß ferner, daß die Statuen
der Deutsch-Ordens-Comthure aus dem Chor weggeschafft und
unter die Thürme versetzt werden sollten. Diese Vernichtung
der Restauration Langes, des Lebenswerkes eines Mannes, der
jedenfalls mit einer an Andacht grenzenden Pietät seit seiner
Jugend jenen Bau studiert hatte, war wohl geeignet, bedenk-
lich zu machen- Jetzt nun ist es zu spät. — Vielleicht ist
die Schuld auch nicht allein dem leitenden Architekten, Hrn.
Schäfer aufzubürden. Sucht er sich doch selbst fortwährend
„mit dem breiten Schild einer höheren Genehmigung” zu decken.
Freilich kann eine solche Dekoration im Entwurf auf dem
Papier sich ganz anders ausnehmen, als in der Wirklichkeit. —
Man hört oft sein Talent rühmen, aber es wird hinzugefügt,
daß er in dieser Restauration die von ihm gehegten Erwartun-
gen auffallend getäuscht habe. Es ist möglich, daß er es
so gut gemacht hat, als er wußte — nach der ihm zutheil ge-
wordenen künstlerischen Bildung. — Es ist zu spät also. Doch
ist die Elisabethkirche durch zufällige Umstände, vielleicht
durch finanzielle Schwierigkeiten, bis jetzt noch unangetastet
geblieben. Es ist freilich wahrscheinlich, daß auch diese Worte
ohne alle praktischen Folgen verhallen werden, wie die früheren.
Möglich, daß als Antwort demnächst ein ähnlicher Heißsporn
auch auf dies köstliche Denkmal frühgotischer Kunst in Deutsch-
land „losgelassen” wird. Aber es soll nicht Franzosen und Bel-
giern aufgehoben bleiben, uns den Spiegel unserer Ehre vorzu-
halten. Die Nachwelt, wenn sie einmal die Vandalismen des
19. Jahrhunderts verzeichnet, soll nicht sagen, daß niemand sich
gefunden habe, der den Muth besessen, gegen diese frevelhafte
Verunstaltung, welche unter dem Namen der Wiederherstellung
unsere herrlichsten Denkmäler uns ungenießbar macht, im Namen
des Geschmackes, der Kunst und des Altertums, der Wissen-
schaft und des Vaterlandes zu protestiren.
Bonn, den 30. Januar 1876.
C. Just i.”
137
dekorativem Takt, mit fein berechneter Anpassung an einen in-
dividuellen Bau und mit beleidigender Rohheit der Form, es
kann in edlen, eines Heiligthums würdigen und in abschrecken-
den Farben ausgeführt werden. Und ist es erlaubt, ein noch
vorhandenes, wenn auch späteres, doch reicheres und höheres
Kunstgebilde zu vernichten, um nach schwachen Spuren das
an seine Stelle zu setzen, was doch nicht den Werth des Alten
haben kann, sondern eine mehr oder weniger ungeschickte Imi-
tation ist und bleibt?
Außer einigen Wandgemälden des 16. Jahrhunderts auf
Lehmtünche, die man, da ihr Zerfall vorauszusehen war, hätte
durchzeichnen und kopiren sollen statt sie zum Objekt von
Übermalungsscherzen eines Dilettanten zu machen, befand sich
in der westlichen Blende ein Bild des hl. Christoph, nach Hrn.
Prof. Lotz „noch ziemlich gut erhalten“. Nach Herrn C. Schäfer
wurde es „aus kaum sichtbaren Spuren“ erneut, d. h. nicht
über-, sondern neugemalt, im Stil des 14. Jahrhunderts. Solche
Malereien in alten Stilformen haben nun weder als historische
Denkmale, noch als lebendige Kunstschöpfungen, noch als An-
dachtsmittel (der gemeine Mann bricht in Gelächter aus) irgend
einen Werth. Sie haben Werth als Kuriosität, als Beispiel, wie
weit ein Amateur es in Imitation der bildnerischen Kalligraphie
irgend eines Säkulums bringen kann, etwa wie ein Sprachge-
lehrter in Mußestunden, ein Gedicht in einem ausgestorbenen
Dialekt verfertigt. Giebt sich so etwas für Kunst aus, so kann
man darüber nur die Achseln zucken. Wenn aber durch ein
solches Kabinetsstück auch der unbedeutendste Rest des wirk-
lich Alten, ein Dokument vaterländischer Kunstgeschichte, wie
hier geschehen, aus der Welt geschafft wird, so muß dagegen
als gegen eine kunstschänderische Barbarei protestirt werden.
2. Ein anderes Blatt wird uns aufgeschlagen im Rittersaal.
Hier war die alte Polychromie unter späterer Tünche verdeckt,
obwohl man auch hier noch, z. B. die auch in der Kapelle vor-
kommenden Strahlensonnen erkennen konnte. Dann aber hatte
die deutsche Renaissance des 16. Jahrhunderts verschiedene
Stücke hierher gestiftet: ein zwei Stockwerke hohes Kamin,
drei Thürverkleidungen von eingelegter Holzarbeit und einen
Kredenztisch. Endlich befand sich in der südöstlichen Ecke des
Saales eine Treppe von sehr eigentümlicher Gliederung (a, a. 0.
Abbildung). An den Wänden sah man Bilder von Jagden, die
ohne Kunstwerth, doch von kulturhistorischem Interesse waren.
Jetzt liegt der Renaissance-Kamin in Trümmern auf dem
Schloßhof und die Treppe ist verschwunden. Damit ist ver-
nichtet, was unter Künstlern als die „malerische Ecke” des
Saales bekannt war und oft aufgenommen wurde, wie ich selbst
mich erinnere, den berühmten W. Unger bei einer solchen Auf-
nahme dort getroffen zu haben. Die reichen Thürverkleidungen,
Werke eines hessischen Hofschreiners vom Jahre 1573, sollten
anfangs in einen anderen Raum versetzt werden, aber auf den
Wunsch einer hohen Besucherin des Saals soll man sich ge-
nöthigt gesehen haben, sie (und den Kredenztisch) zu erhalten,
d. h. die eine wurde zu Flickungen der anderen vernutzt. Die
Beseitigung dieser Stücke ist umso verwerflicher, da dieselben
zur Vervollständigung der Physiognomie des 16. Jahrhunderts
gehörten, dem der Saal seine letzte Gestalt zu verdanken hat
— eine Epoche, wo Hessen zum ersten und letzten Male selb-
ständig in die wehthistorischen Verhältnisse eingegriffen hat,
wo der Wille eines hessischen Landgrafen bei dem Weltkampf
in die Wagschale fiel. Allerdings stehen diese Renaissance-Ar-
beiten in keiner Übereinstimmung mit dem Stil des Baues:
Aber es ist ja bekannt, wie gut gothische Innenräume Denk-
mäler verschiedensten Stiles vertragen, wie wenig diese Ein-
schiebsel, welche Jahrhunderte lang unter ihren Hallen Gast-
recht genossen haben, den Gesamteindruck stören, ja wie ein
Hauptreiz derselben darin liegt, daß die aufeinanderfolgenden
Geschlechter ihre Spuren, ihre Stiftungen in jenen Bauten zu-
rückgelassen haben. Diese großen mittelalterlichen Anlagen
sind oft mehr Werke der Zeiten, als eines Kopfes oder einer
Zeit, Werke der Nation in einer langen Reihe von Geschlech-
tern; der Geist der Geschichte spricht aus ihnen zu uns in ver-
nehmlichen Zügen. Freilich um diese Schrift zu lesen, dazu
gehört etwas mehr als den Kursus irgend einer technischen
Schule durchgemacht zu haben, unter anderm etwas historische
Bildung. Es ist vielleicht manchem schwer begreiflich zu
machen, daß ein Bauwerk, an dem die Nation als Denkmal
ihrer Geschichte, als Theil ihrer selbst, möchte man sagen, ein
Interesse hat, nicht dazu da ist, als Gelegenheit zur fanatischen
Durchführung einer gewissen eng begrenzten Stilform zu dienen,
die sich eine Zeit oder Partei oder Sekte zum Steckenpferd
erkoren hat. Wie oft ist nun schon durch diese Zerstörungs-
manie der Restauratoren jede Spur des Ehrwürdigen von einem
Bau weggefegt worden, sodaß nur noch die Fantasie sich den
alten hehren Eindruck hervorrufen kann, während das Auge
bloß ein modernes, barbarisch buntes Machwerk sieht, einen
schülerhaften Versuch, den Dialekt _ einer untergegangenen
Sprache nachzustammeln. Soll denn dieser so oft gerügte Un-
fug nie ein Ende nehmen?
Das enormste ist nämlich in der Neubemalung des Ritter-
saales geleistet worden. Hier wo der Restaurator nicht durch
die zu tage liegenden Reste gebunden war, konnte er ganz frei
schaffen. Sämtliche Wände sind mit einem rothbraunem Mu-
ster verziert, so völlig roh, wie man es heute höchstens etwa
in den Bodenkammern von Bauernhäusern trifft. Daß im Mit-
telalter, wo für das einfachste plastische oder malerische De-
tail stets sich ein Arbeiter fand, der aus freier Hand, mit
künstlerischem Gefühl bildete, wo so wenig wie im griechischen
Alterthum, Formen auch des Handwerks mechanisch wieder-
holt wurden, solche Schablonenarbeit vorgekommen sei, ist ein-
fach beispiellos und ein Insult auf die Kunst unserer Väter.
In den Schlußsteinen ist wohl das äußerste im Anstriche mit
„giftig-grellen“ Farben geleiset, was selbst in dieser Branche
vorgekommen ist. Selbst wenn diese Muster, wie wohl behaup-
tet wird, aber von vielen stark bezweifelt wird, früher vor-
handen gewesen wären, so wäre damit keineswegs eine Autori-
tät für die jetzt dastehende Verhöhnung des Farbensinns ge-
wonnen. Der jetzige Effekt entspricht etwa dem eines Ver-
gnügungslokals niedrigster Ordnung. Und doch war in dieser
Hinsicht Vorsicht umso mehr nahegelegt, als der sonst so ver-
dienstvolle Lange auch in der Elisabethkirche den Ton ver-
fehlt hatte, und Ungewitter in der Kirche zu Wetter, ebenfalls
nach Zerstörung der hier nach dem Urtheil der Künstler be-
sonders schönen und reichen Rankenornamente auf hellem
Ockergrund ein weißes Steinfugennetz ausführen ließ, das in
der Farbe einen so unqualifizierbaren Eindruck macht, daß man
es als Beispiel brauchen kann für die widerliche Wirkung der
gelben Farbe, wenn sie von der Reinheit abweicht (s. Oersted,
Naturlehre des Schönen).
Und warum hat sich zur rechten Zeit keine Stimme er-
hoben gegen diese Projekte? Die Antwort ist, daß schon im
Herbst 1871, als die ersten Gerüchte davon ins Publikum dran-
gen, ein Nothsignal erfolgt ist. Es wurde damals angekün-
digt, daß die von Lange restaurierte Elisabethkirche, und
namentlich das reich ornamentierte Chorgewölbe noch einmal
restauriert und mit jenem allein-seligmachenden Steinfugen-
netz überzogen werden solle. Es hieß ferner, daß die Statuen
der Deutsch-Ordens-Comthure aus dem Chor weggeschafft und
unter die Thürme versetzt werden sollten. Diese Vernichtung
der Restauration Langes, des Lebenswerkes eines Mannes, der
jedenfalls mit einer an Andacht grenzenden Pietät seit seiner
Jugend jenen Bau studiert hatte, war wohl geeignet, bedenk-
lich zu machen- Jetzt nun ist es zu spät. — Vielleicht ist
die Schuld auch nicht allein dem leitenden Architekten, Hrn.
Schäfer aufzubürden. Sucht er sich doch selbst fortwährend
„mit dem breiten Schild einer höheren Genehmigung” zu decken.
Freilich kann eine solche Dekoration im Entwurf auf dem
Papier sich ganz anders ausnehmen, als in der Wirklichkeit. —
Man hört oft sein Talent rühmen, aber es wird hinzugefügt,
daß er in dieser Restauration die von ihm gehegten Erwartun-
gen auffallend getäuscht habe. Es ist möglich, daß er es
so gut gemacht hat, als er wußte — nach der ihm zutheil ge-
wordenen künstlerischen Bildung. — Es ist zu spät also. Doch
ist die Elisabethkirche durch zufällige Umstände, vielleicht
durch finanzielle Schwierigkeiten, bis jetzt noch unangetastet
geblieben. Es ist freilich wahrscheinlich, daß auch diese Worte
ohne alle praktischen Folgen verhallen werden, wie die früheren.
Möglich, daß als Antwort demnächst ein ähnlicher Heißsporn
auch auf dies köstliche Denkmal frühgotischer Kunst in Deutsch-
land „losgelassen” wird. Aber es soll nicht Franzosen und Bel-
giern aufgehoben bleiben, uns den Spiegel unserer Ehre vorzu-
halten. Die Nachwelt, wenn sie einmal die Vandalismen des
19. Jahrhunderts verzeichnet, soll nicht sagen, daß niemand sich
gefunden habe, der den Muth besessen, gegen diese frevelhafte
Verunstaltung, welche unter dem Namen der Wiederherstellung
unsere herrlichsten Denkmäler uns ungenießbar macht, im Namen
des Geschmackes, der Kunst und des Altertums, der Wissen-
schaft und des Vaterlandes zu protestiren.
Bonn, den 30. Januar 1876.
C. Just i.”
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