EINLEITUNG
Nicht sehr häufig ist in Deutschland der Typ des Gelehrten, 'der zugleich
Bücherfreund, Büchersammler ist, im besonderen Sinne des Wortes. Dem Bücher
nicht nur Arbeitsmaterial sind, nicht nur Inhaltsvermittler. Läuft das bloße Bücher-
sammeln Gefahr, aus lebendigen oder immer wieder ins Leben zu rufenden Denk-
malen des schaffenden Geistes tote Hülsen zu machen, nach äußerlichen Momenten
zusammengetragenes Geröll, so raubt vielleicht die bloß auf den Gehalt des Buches
gerichtete Anteilnahme ihm sein eigentliches Fluidum, die magische Strahlkraft.
Diese gar nicht so „mystische“ Wahrheit, mehr oder weniger bewußt, hat sie wohl
jeder Bücherfreund erfahren, hat spüren können, daß und inwieweit Büchern eine
eigene Daseinsform zukomme, daß es tote und lebendige Exemplare gäbe und daß
auch die Beziehungen der Bücher zu ihren Besitzern oder zu denjenigen, die sich
mit ihnen befassen, einen nach beiden Seiten merkbaren besonderen Charakter
haben. So ist es denn zweifellos eine moralische Verpflichtung, sich mit Büchern
„richtig“ abzugeben, gemeinhin ausgedrückt, sie nicht nur zu brauchen, sondern sie
auch zu lieben, noch über die selbstverständliche Eraltungspflicht hinaus für sie zu
sorgen. Auch ihnen eine richtige Gesellschaft zu geben, sie miteinander zu ver-
binden zu einer Einheit. Hier ist der Punkt, an dem der Gelehrte am ehesten Bücher-
freund im eben gestreiften edleren Verstände wird, ein abgegrenztes, umstecktes
Arbeitsgebiet, indem er dessen Dokumente vervollständigt, in einer wirklich ge-
wachsenen Einheit versinnbildlicht. Bei dieser'kommt es nicht so sehr auf die
äußere Vollzähligkeit an, wie auf die gewissermaßen „ökumenische“ Verbunden-
heit der Teile, den organischen Zusammenhang.
Die deutsche Barockbibliothek Manheimer ist eine solche Einheit. Gelehrter,
Kenner und Liebhaber in Einem, hat ihr Besitzer offenbar das Bild dessen, was er
schaffen wollte, immer in sich getragen und, mit jedem neuen Erwerbe bewußter
werdend, schließlich diesen wundervoll gefügten Bau zur Vollendung gebracht.
Drei Gesichtspunkte haben ihn dabei vornehmlich geleitet. Zunächst galt es, die
Hauptströmungen unseres Barockjahrhunderts deutlich zu machen, dann war es
das landschaftlich-stammesgeschichtliche Element, dessen Herausarbeitung seine
Sorge galt und schließlich die einzelne, trotz aller Bedingtheiten doch nur sich
selber gleiche, letztlich nur aus sich selber verstehbare Dichterpersönlichkeit, die
mit und über diesen Einordnungen ihr Recht behält. Also: Kultur, Natur und Indi-
viduum. Und zwar in dieser Reihenfolge. Denn „Der Geist wehet, wo er will“,
und er ist es, der das gebundene Leben von Landschaft und Blut befruchtet und
das Ich befreit.
Keine der großen Bibliotheken, die wir kennen oder die im Laufe der Jahre
entstanden und wieder auseinandergefallen sind, haben, auch wenn annähernd
gleiche Maße, die beiden ersten Gesichtspunkte so deutlich wiedergespiegelt. Bei
Manheimer läßt sich der Wechsel des Geschmackes bis zu den literarischen Moden,
das Verhältnis von Literatur nicht nur zur Gelehrsamkeit, Bücherstaub und Kanzel,
sondern vor allem auch zur Welt, Gesellschaft, Bühne, bildender Kunst, bis in viele,
oft noch recht dunkle, Einzelheiten verfolgen. Und gerade diese sind es, an denen
die Gestalt einer Epoche greifbar und deutlich wird. Vor allem war es ja die Epoche
der „Anlaß“-Poesie, der Gelegenheitsgedichte. Die Mehrzahl fast aller weltlichen
Gedichte (in gewissem Verstand sogar der geistlichen, weil vielfach auf bestimmte
Feste und Tage zielend) sind zu besonderen persönlichen Anlässen, manchmal aus
Freundschaft, meist auf Bestellung entstanden und besser, als hierüber die Nase
zu rümpfen ist es, solches als eine wichtige soziale Wirkung der Poesie, gewisser-
maßen als ihre standesgemäße Eingliederung in die gesellschaftliche Ordnung zu
erkennen und daraus geschichtliche und zeitpsychologische Schlüsse zu ziehen.
Weiter: Was sagen uns nicht die zahlreichen „Briefsteller“ von dem gewichtigen,
„Allzeit fertigen Secretarius“, des „Spaten“ (Nr. 402) bis zu den manchen, für aller-
lei private Fälle, besonders für Liebende zusammengestellten? Und ebenso, und
mehr noch die Anweisungen zur Höflichkeit, die Gesprächsmusterbücher, die Vor-
lagen zu Stammbuch- und Zweckpoesie. Wie lernen wir aus den vielen klein- und
kleinstformatigen „Frauenzimmer“-Büchelchen Geschmack und Wünsche der Ba-
Nicht sehr häufig ist in Deutschland der Typ des Gelehrten, 'der zugleich
Bücherfreund, Büchersammler ist, im besonderen Sinne des Wortes. Dem Bücher
nicht nur Arbeitsmaterial sind, nicht nur Inhaltsvermittler. Läuft das bloße Bücher-
sammeln Gefahr, aus lebendigen oder immer wieder ins Leben zu rufenden Denk-
malen des schaffenden Geistes tote Hülsen zu machen, nach äußerlichen Momenten
zusammengetragenes Geröll, so raubt vielleicht die bloß auf den Gehalt des Buches
gerichtete Anteilnahme ihm sein eigentliches Fluidum, die magische Strahlkraft.
Diese gar nicht so „mystische“ Wahrheit, mehr oder weniger bewußt, hat sie wohl
jeder Bücherfreund erfahren, hat spüren können, daß und inwieweit Büchern eine
eigene Daseinsform zukomme, daß es tote und lebendige Exemplare gäbe und daß
auch die Beziehungen der Bücher zu ihren Besitzern oder zu denjenigen, die sich
mit ihnen befassen, einen nach beiden Seiten merkbaren besonderen Charakter
haben. So ist es denn zweifellos eine moralische Verpflichtung, sich mit Büchern
„richtig“ abzugeben, gemeinhin ausgedrückt, sie nicht nur zu brauchen, sondern sie
auch zu lieben, noch über die selbstverständliche Eraltungspflicht hinaus für sie zu
sorgen. Auch ihnen eine richtige Gesellschaft zu geben, sie miteinander zu ver-
binden zu einer Einheit. Hier ist der Punkt, an dem der Gelehrte am ehesten Bücher-
freund im eben gestreiften edleren Verstände wird, ein abgegrenztes, umstecktes
Arbeitsgebiet, indem er dessen Dokumente vervollständigt, in einer wirklich ge-
wachsenen Einheit versinnbildlicht. Bei dieser'kommt es nicht so sehr auf die
äußere Vollzähligkeit an, wie auf die gewissermaßen „ökumenische“ Verbunden-
heit der Teile, den organischen Zusammenhang.
Die deutsche Barockbibliothek Manheimer ist eine solche Einheit. Gelehrter,
Kenner und Liebhaber in Einem, hat ihr Besitzer offenbar das Bild dessen, was er
schaffen wollte, immer in sich getragen und, mit jedem neuen Erwerbe bewußter
werdend, schließlich diesen wundervoll gefügten Bau zur Vollendung gebracht.
Drei Gesichtspunkte haben ihn dabei vornehmlich geleitet. Zunächst galt es, die
Hauptströmungen unseres Barockjahrhunderts deutlich zu machen, dann war es
das landschaftlich-stammesgeschichtliche Element, dessen Herausarbeitung seine
Sorge galt und schließlich die einzelne, trotz aller Bedingtheiten doch nur sich
selber gleiche, letztlich nur aus sich selber verstehbare Dichterpersönlichkeit, die
mit und über diesen Einordnungen ihr Recht behält. Also: Kultur, Natur und Indi-
viduum. Und zwar in dieser Reihenfolge. Denn „Der Geist wehet, wo er will“,
und er ist es, der das gebundene Leben von Landschaft und Blut befruchtet und
das Ich befreit.
Keine der großen Bibliotheken, die wir kennen oder die im Laufe der Jahre
entstanden und wieder auseinandergefallen sind, haben, auch wenn annähernd
gleiche Maße, die beiden ersten Gesichtspunkte so deutlich wiedergespiegelt. Bei
Manheimer läßt sich der Wechsel des Geschmackes bis zu den literarischen Moden,
das Verhältnis von Literatur nicht nur zur Gelehrsamkeit, Bücherstaub und Kanzel,
sondern vor allem auch zur Welt, Gesellschaft, Bühne, bildender Kunst, bis in viele,
oft noch recht dunkle, Einzelheiten verfolgen. Und gerade diese sind es, an denen
die Gestalt einer Epoche greifbar und deutlich wird. Vor allem war es ja die Epoche
der „Anlaß“-Poesie, der Gelegenheitsgedichte. Die Mehrzahl fast aller weltlichen
Gedichte (in gewissem Verstand sogar der geistlichen, weil vielfach auf bestimmte
Feste und Tage zielend) sind zu besonderen persönlichen Anlässen, manchmal aus
Freundschaft, meist auf Bestellung entstanden und besser, als hierüber die Nase
zu rümpfen ist es, solches als eine wichtige soziale Wirkung der Poesie, gewisser-
maßen als ihre standesgemäße Eingliederung in die gesellschaftliche Ordnung zu
erkennen und daraus geschichtliche und zeitpsychologische Schlüsse zu ziehen.
Weiter: Was sagen uns nicht die zahlreichen „Briefsteller“ von dem gewichtigen,
„Allzeit fertigen Secretarius“, des „Spaten“ (Nr. 402) bis zu den manchen, für aller-
lei private Fälle, besonders für Liebende zusammengestellten? Und ebenso, und
mehr noch die Anweisungen zur Höflichkeit, die Gesprächsmusterbücher, die Vor-
lagen zu Stammbuch- und Zweckpoesie. Wie lernen wir aus den vielen klein- und
kleinstformatigen „Frauenzimmer“-Büchelchen Geschmack und Wünsche der Ba-