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Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

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https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0293
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10. Das Ornament

285

das Nötige gesagt. Wellenlinie und Zickzack kehren auf der frühen Amphora 956,
CLXXV wieder. Meines Wissens sonst nicht belegt ist die Schulterverzierung von
945, CLXXV: diese sich überschneidenden Gruppen schräggestellter Kreisbögen
entstammen wohl auch dem minoischen Fox-menschatz. — Für die Erkenntnis des
mykenischen Ornaments geben die Tongefäße sehr wenig aus (zu den Pflanzen-
und Tierdarstellungen unten S. 290 ff.).

Kehren wir, nach dieser langen Analyse des Einzelornaments, zu den allge-
meinen Bemerkungen am Anfang dieses Kapitels zurück. Es ergibt sich kein
allgemeines Kompositionsprinzip. Runde und rechteckige (oder
trapezförmige) Rahmung stehen nicht bloß nebeneinander, sondern jede greift auf
das Gebiet der anderen über: Kreismuster auf Grabstelen und Rautenknöpfen
(Taf. V ff. LXI. LXVI), trapezförmige Felder und senkrechte Teilung auf einigen
Diademen (229 ff., XXXVI ff., vgl. 385, XL VI), Quadrate auf den Knöpfen 319,
LX. 682, LXII, vgl. 702, LXIV. Breite wagrechte und senkrechte Streifen finden
sich neben ganz schmalen (Taf. LXXIVf. LXXIX. LXXXIII f.). Einheitliche Grund-
sätze sind hier nicht erkennbar, wohl aber in der Auswahl der Muster, unter denen
geradlinige ganz zurücktreten, und in der klaren Abneigung gegen achsiale Tei-
lung und überhaupt jeden eigentlich geometrischen, tektonischen Aufbau des Orna-
ments. Die senkrechte Teilung hemmt bloß den Fluß der Komposition auf den
Diademen, zerhackt sie in einzelne Stücke; die vielen, schmalen Streifen, hier wie
auf den Schwertgriffen und -knäufen, bereichern das Gesamtbild weniger als daß
sie es verwirren; z. T. beengen sie ungebührlich die für breitere Entfaltung erfun-
denen Muster. Dies alles läßt auf das Zusammentreffen und gegenseitige Durch-
dringen wesensverschiedener dekorativer Stile schließen.

In den herrschenden Mustern, Kreis, Wellenband, Spirale, äußert sich Still-
stand oder ein ruhiger Fluß der Bewegung. Die reinen Kreismuster ruhen in sich;
wo sie zu bewegten Ornamenten verbunden werden, ergibt sich eine einzige klare
Richtung: der einheitliche Kreislauf von 11, XXIX (auf der Tafel irrig 10), die
triadisch schräge Stellung der gleichen Muster auf der Krone 1, XI f., die nicht mit
der gleich zu erörternden Torsion verwechselt werden darf. Besonders beliebt ist
in der Kreisdekoration eine Wellenbewegung, die sich der Form der Diademe gut
anpaßt, ohne doch von ihr geradezu gefordert zu werden: die an den Enden klei-
nen Kreise werden nach der Mitte zu größer und dann wieder symmetrisch kleiner.
Dieser kymatisch anschwellende und wieder abebbende Rhythmus erscheint rein
und eindringlich auf dem Prachtstück 3, XIII f., aber auch die geringeren Stücke
auf Taf. XXXVI zeigen ihn, nicht einmal die störenden senkrechten Teilungsstrei-
fen können ihn ersticken (Taf. XXXIX—XLI, vgl. auch 286/7, XXXVIII. 649 f.,
LVI). Nur auf 229, XLI und 385, XL VI hat die Streifendekoration den Wellen-
rhythmus zerstört. Dagegen tritt er in dem Spiralbande der Stele 1428, V klar zu-
tage, durch den Raum zwar gefördert, aber keineswegs gefordert.

Karo, Schachtgräber
 
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