Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Karo, Georg
Die Schachtgräber von Mykenai (Band 1): Text — München, 1930/​1933

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14445#0296
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
288

III. Ergebnisse

Ägäis, griechisches Festland und Kreta einbegriffen, mehr oder minder als Einheit
gefaßt, erst recht das „Kretisch-mykenische" der minoischen Blütezeit. Das ver-
stand sich von selbst, solange keiner dieser Fundkomplexe wirklich durchgearbeitet
und veröffentlicht war. Auch jetzt steht es damit noch schlimm genug. Aber wenig-
stens für die ältere kretische Glyptik bietet das Buch von Matz eine zuverlässige
Grundlage. Die Betrachtung dieses reichen Materials erweckt zunächst den über-
raschend starken Eindruck unregelmäßiger Lebendigkeit: sie beruht nicht bloß,
sogar nicht vornehmlich, auf dem beliebten Wirbelmotiv, wie es etwa die Siegel auf
Matz' Tafel I mit ihren kreisenden Tieren zeigen, auch nicht auf der lebensfrischen
Wiedergabe einzelner Pflanzen oder Tiere, sondern vor allem auf den an Moment-
aufnahmen erinnernden Ausschnitten aus der Wirklichkeit. Man hat dabei zu
Unrecht von Naturalismus gesprochen; was diese kleinen Werke so wirkungsvoll
macht, ist die Art, wie der Künstler sozusagen ein Stückchen seines Erinnerungs-
bildes wie zufällig festgehalten hat. Man vergleiche etwa Matz Tafel II 7 c. VI 19.
VII 7. IX 23. Von Komposition, von Unterordnung gegenüber Träger und Bild-
rahmen ist da keine Rede, und dies obwohl die minoischen Künstler sich auch dar-
auf wohl verstanden, wenn sie wollten (z. B. Matz Taf. I 6. III 1 b. IV 5 a. XII 4).
Was aber eben von figürlichen Motiven gesagt wurde, gilt genau so fürs rein Deko-
rative. Es ist geradezu verblüffend, daß dieselbe Kunst in derselben Phase ihrer
Entwicklung so sorgsame, exakt konstruierte und in ihren Rahmen eingepaßte
Muster geschaffen hat wie Matz Taf. II 7 a. b. III 4. VI 4. XII 3, und daneben, ja
bisweilen auf denselben Siegelsteinen, so regellos hingeworfene Ge-
bilde wie II 7 c—e. V 1 a. IX 12. XI 1. Der Mangel jeder Rücksicht auf verfüg-
baren Raum und Rahmen führt häufig zu verstümmelten Mustern und sogar Figu-
ren (z. B. Matz Taf. VI 13. XIII 4. XIX 8 b). Aus demselben Geist erklärt sich die
Vorliebe für willkürliche Ausschnitte aus großen Flächen- oder Rapportmustern
(z. B. Taf. VI 14. VIII15—17. XI 8) und das sinnlose Hineinstopfen von Füllorna-
menten in jedes freie Eckchen (z. B. Taf. II 7. VI 19. XI 2) ).

Vergleicht man nun die dem FM. gleichzeitige Ornamentik der Kykladen und
die frühhelladische des Festlandes2), so wird der Gegensatz alsbald offenbar. Frei-
lich liegt uns bloß ein sehr viel kleineres Material vor, das abgesehen von wenigen
Steingefäßen (Bossert, Altkreta Abb. 32 f.) fast nur aus den Ritz- und Stempel-
mustern der Keramik besteht3). Immerhin genügt es, um die Grundzüge festzustel-
len: meist peinlich saubere Arbeit bei den Einzelmustern, einheitlicher Aufbau,

*) Auf hethitische Analogien, die Matz S. 56 ff., 78 ff. anführt, habe ich hier nicht einzugehen.

-) Kykladen: 'Etpnu. dp/.. 1899, 86 ff. Taf. 8; Ath. Mitt. XXXIX 1913, Taf. 7 ff.; Bossert Abb. 27 ff. — Früh-
helladisches: Biegen, Zygouries 121 f. Abb. 114; H. Goldman, Excav. at Eutresis 1931, 81 f. Abb. 97. 106 ff. Abb. 141 ff.
182 ff. Abb. 253 ff. Taf. III 2. IX 1. XII1; Inst. Phot. Tiryns 452—456. 632.

3) Die bemalte Kykladenkeramik lasse ich als stark von Kreta beeinflußt beiseite. Die gravierten Pfannen
von Naxos unterscheiden sich in der Technik stark von den gestempelten aus Syra, sind aber in Auswahl und An-
ordnung der Muster diesen durchaus verwandt: Kl. Stephanos, Congres internat. d'Arch6ol. Athenes 1905, 218; Inst.
Phot. Nat. Mus. 2673—5. 3440—2. 3448.
 
Annotationen