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Schäfer, Georg
Kunstdenkmäler im Grossherzogthum Hessen: Inventarisirung und beschreibende Darstellung der Werke der Architektur, Plastik, Malerei und des Kunstgewerbes bis zum Schluss des XVIII. Jahrhunderts: Provinz Starkenburg: Ehemaliger Kreis Wimpfen — Darmstadt, 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.18713#0120
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EHEMALIGER KREIS WIMPFEN

Versuch einer Deutung ausgeschlossen ist. — Die neuere kunstlose Fensterquadrirung
mit bunten Scheiben kann auch hier den Verlust der alten Glasgemälde nicht ersetzen,
die Anfangs des 19. Jahrhunderts ebenfalls dem Schicksal des Umtausches gegen farb-
lose Verglasung nicht entgehen konnten.
Hochaltar Der Hochaltar (s. Fig. 42 S. 98) wurde im Jahre 1737 begonnen und stellt sich

dar als ein charakteristisches, in seiner Art bedeutsames Beispiel der üb er kolossalen
Gestaltung, welche die Kunst des Barocco und Rococo dem wichtigsten Bestandtheil
der Innenausstattung gottesdienstlicher Gebäude zu geben pflegte. Welche Ent-
wickelung und Steigerung aller Verhältnisse im Aufbau und Schmuck der Altäre,
von der schlichten Sarkophagplatte der Katakomben-Oratorien, der Mensa frühchrist-
licher Basiliken, dem romanischen Ciborienaltar, dem gothischen Flügelaltar und dem
feinplastischen Altar der Hochrenaissance, bis zu dem erdrückenden Massengefüge
der Altäre des 17. u. 18. Jahrhunderts! Der Aufbau des Dominikaner-Hochaltars zu
Wimpfen reicht 15 m hoch bis zum Gewölbescheitel hinan; seine Breiteabmessungen
aber vergewaltigen die ganze Lichtweite zwischen den Hochwänden und vernichten
die Wirkung der Ostparthie vollständig. — Und doch, mögen immerhin so maasslos
aufdringliche Kolossalaltäre dem Geschmack der Gegenwart mit Recht zuwider sein:
eine ernsthafte Forschung und Denkmälerbetrachtung wird nicht gleichgiltig daran
vorübergehen, vielmehr auch solchen Leistungen als eigenartigen Erzeugnissen einer
pompliebenden Zeit die ihnen gebührende Aufmerksamkeit schenken, ohne desshalb
für deren Ehrenrettung einzutreten. Gleichwie die Architektur der Spätrenaissance
schon an den Kirchenfassaden sich nicht genug thun konnte durch Häufung von
Säulen, Simsen und Schwingungen der wunderlichsten Art, so wandte sie sich auch
mit regem Eifer und Hand in Hand mit Plastik, Malerei und Ornamentik der schranken-
losen Ausgestaltung der Altäre zu. Auf diesem Gebiete suchte sie mit Vorliebe dem
ruhelosen Drange nach Neuem, noch nicht Dagewesenem zu genügen und ihre auf
das Staunenerregende, um nicht zu sagen Verblüffende zielenden Absichten in den
Vordergrund zu stellen. Diese Kunst ging reineren Formen geflissentlich aus dem
Wege, um einer falschen Genialität der Willkür das Feld zu sichern.

Die Mensa des Altarwerkes steht auf einem dreistufigen Unterbau. Ueber
einer Predella erhebt sich das von einem zierlichen Säulenpaar mit attischen Basa-
menten und korinthisirenden Kapitalen flankirte sakramentalische Tabernakel, welches
von beschwingten kindlichen Himmelsboten und dem eucharistischen Symbol des seine
Jungen mit dem eigenen Blute nährenden Pelikans überragt wird. An den Seiten
des Tabernakels und oberhalb eines kräftig gegliederten Simszuges beginnt der riesen-
hafte , durchweg aus Holz gearbeitete Altaraufsatz mit zwei stattlichen , in Basamenten
und Kapitalen ebenfalls korinthisirenden hohen und schlanken Säulen, denen an den
Nebenabtheilungen gleich hohe Säulen stilverwandter Ordnung entsprechen. Unter-
halb des Simszuges der Nebenabtheilungen führen rundbogige Pforten mit reicher
Vegetativzier in das durch den Altarbau abgegrenzte Chorhaupt. Auf der macht-
vollen Säulenarchitektur des Hochaltares lagert in bald vortretenden bald eingezogenen
Schwingungen und Verkröpfungen ein Fries mit mehrfach gestufter Simsgliederung.
Darüber setzt der Oberbau an, welcher nach den Seiten hin in mancherlei luftigem
Schnörkelwesen sich gefällt und in aufwärts gerollte Volutenbildungen ausläuft. Der
 
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