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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Kirchbach, Wolfgang: Über das Sehen der Maler
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0188
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1-zo über das Sehen der Maler, von lvolsgang Airchbach — Unsere Bilder, vom Herausgeber

solchen Aufgaben die Maler sich der Natur gegenüberstellen, wie manche thatsächlich nur auf eine Farben-
ähnlichkeit im weitesten Sinne ausgehen und unter Umständen in vollkommenen Widerspruch gelangen können
mit dem, was der Laie unter Ähnlichkeit versteht, wie es sich weiter erklärt, daß auch oft zwei Laien voll-
kommen verschiedener Meinung sein können. Über die Porträtähnlichkeit — das alles wären verlockende
Fragen, bei denen manch' ein überraschendes Gesetz des Sehens zu ertappen sein würde. Für diesmal mögen
vorstehende handwerksmäßigen Erfahrungen dem geneigten Leser genügen. Sie beziehen sich im ganzen mehr
auf große historische Kompositionen. Sie wollen nur einige wichtigste Beobachtungen, den Malern selbst
größtenteils bekannt, buchen, um auch den Kunstfreund an der Bewunderung der unendlich zarten Bedingungen
teilnehmen zu lassen, welchen wir zuletzt den Genuß eines vollendeten koloristischen Kunstwerkes verdanken.

Unsere Bilder

vom Herausgeber

Welch' ein liebenswürdiger Farbendichter Wilhelm
Diez ist, das hat man nie schöner sehen können als bei
dem „Halt auf der Flucht nach Ägypten", den unsere
heutige Nummer bringt. Oder könnte man sich diese Rast
noch traulicher, tief gemütvoller denken? Spät am Abend
an einem Bächlein angclangt, aus dein der Esel säuft —
die Esel haben immer Durst — benützt der bisher mit
der Laterne vorausgegangene hl. Josef die kurze Pause,
um voll frommen Respekts nach dem im Arm der Mutter
schlafenden Christnskinde zu sehen. Aber wie der Junge
schläft! Man meint, seine Atemzüge zu hören, so unüber-
trefflich ist das der Natur abgelauscht. Offenbar hat der
Meister nicht umsonst an seinen eigenen vier Buben sehr
kostspielige Naturstudicn darüber gemacht! Und wie de-
mütig die sich bloß als Hüterin eines Schatzes betrach-
tende, dabei ebenso liebliche als echt deutsche Mutter den
Kleinen anblickt! Es ist eine geradezu entzückende Innig-
keit in dieser sich draußen in der Wildnis, in Nacht und
Dunkel abspielenden Familieuszene, wo ein armseliges
Flämmchen uns den zeigt, von welchem in dem kommen-
den Jahrtausend ein die halbe Welt erleuchtendes Licht
ausstrahlcn soll! Wenn unsere so oft in leere Phrase,
salbungsvolle Heuchelei ausgeartete christliche Kunst neues
Leben erhalten soll, io geschieht das offenbar am sichersten

Aus lv. Gentz' Skizzenbuch

auf diesem Wege, d. h. durch die Rückkehr zu einer ebenso
echt künstlerischen als wahr und rührend empfundenen
Schlichtheit und Demut, wie sie in unserer Nation gott-
lob noch überall zu finden sind.

Etwas von dem gesunden Naturgefühl des Diez
finden wir auch in der „Ausfahrt eines Lootsenbootes"
von Petersen-Angeln. Das ist offenbar die stürmische
Nordsee, in welche das Boot hinaussteuert, um den in
der Ferne nahenden Dampfer herein zu geleiten in den
Hafen. Herzstärkend ist der Anblick solches den Elementen
Trotzbietens immer, und Peterseu hat es trefflich ver-
standen, uns diesen Anblick rein und ungestört durch un-
angenehme Linien oder Farben in all' seiner dramatischen
Lebendigkeit vorzuführen.

Welcher Kontrast besteht doch zwischen der Auffassung,
wie das Hellenentum seine Götter triumphierend einhcr-
ziehen läßt, und der still bescheidenen der christlichen
Mythe! Da führt uns Otto Seitz in seiner „Meerfahrt
Neptuns" einen so prächtigen Hofstaat von kokettierenden
Nymphen und musizierenden Tritonen, von in der Lust
herumpurzelnden Amoretten und schnaubenden Seepfcrdcn
vor, daß man zuletzt deu Herrscher selber ganz über seinem
Gefolge vergißt, ja sogar die liebreizende Amphitrite kaum
gewahrt in dem, beiläufig bemerkt, mit großem malerischen
Talent dargestellten Getümmel. Man sicht, die griechi-
schen Künstler, die Seitz hier nachahmt, entnahmen ihre
Vorstellung von den himmlischen immer dem pompösen
Auftreten der Erdengötter, und da von dieser Gesellschaft
sich offenbar Niemand einen Schnupfen holt, so konnte
er sich ihre Damen nur umso lustiger in den Wellen des
azurblauen jonischen Meeres tummeln lassen. Die heitere
Götterwelt der Griechen '»spiegelt eben ihren sonnigen
Himmel wieder, wie die des Diez unsere Vorstellungen
über das von den Armen und Gedrückten erfundene
Christentum.

Könige und Götter vergehen und nur der Schul-
meister besteht. Wer das in Deutschland noch nicht
wüßte, dem zeigt es Gentz an dem in den Ruinen eines
mit beiden elfteren reichlich geschmückten ägyptischen Tem-
pels seine armen Koptenkinder aus dem Koran exami-
nierenden Schulmonarchen. Bequem hat er sich die Sache
gemacht, denn er sitzt ruhig rauchend ine Schatten und
läßt die Schülerinnen in der Sonne stehen, befolgt also
das traditionelle System nicht nur der orientalischen
Despoten ihren getreuen Unterthanen gegenüber. Für die
Aufrechthaltung der gesetzlichen Ordnung und Ruhe bürgt
dann der lange Bambus an seiner Seite und so ist, wie
man sieht, in diesem kleinsten Staate alles so trefflich
 
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