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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Kirchbach, Wolfgang: Über das Sehen der Maler
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0187

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von lvolfgang Rirchbach


Aus tvilkelm Gentz' Lkizzcnbuch

sogenanntem normalen Gesicht in die Natur blickt und sich deshalb einer Fülle von Tönen und Farbennüancen
niemals bewußt wird. Jener vortreffliche Augenarzt versicherte ans einer internationalen Kunstausstellung, daß
er sich anheischig mache, an einer überwiegenden Mehrzahl von Bildern ganz genau den Grad von Kurz-
sichtigkeit oder Weitsichtigkeit der Maler zu bestimmen nach gewissen koloristischen und technischen Symptomen.
Und es ist interessant, daß der Beschauer dieselben, ästhetisch betrachtet, als Originalität der Pinselsührung und
besondere Beschaffenheit des Kolorits empfindet. Eine nicht allzngroße Kurzsichtigkeit ist in der That von
großem Vorteil für die Empfindung der Tiefe, Saftigkeit und schönen Massenhaftigkeit der farbigen Welt,
welche einem Bilde in Rahmen nötig sind. Mit der ganzen Lichthelle der Wirklichkeit zu malen ist ja nicht
möglich; der Maler stimmt um viele Grade so wie so herab, um mit seinen Farben hinterdrein einen lichten
Himmel möglich zu machen. Ein solches harmonisches Herabstimmungsmittel aber ist die Kurzsichtigkeit selbst.
Ein hochgradig Kurzsichtiger vermag eine gute Weile in die untergehende Sonne zu blicken, ohne daß sie ihn
blendet, während das normale Auge sofort geblendet wird. Man sieht, daß eine nicht zu große Kurzsichtigkeit
dem Maler nur von Vorteil sein kann, um jene allgemeine Herabstimmnng der Lichtschärfe zu erreichen, welche
dann so wohlthätig die Empfindung koloristischer Schönheit begünstigt. — Es wäre sinnvoll, die technische Art
eines Andreas Achenbach zum Unterschiede von Oswald Achenbach auf diese Dinge zu prüfen; es wäre dankbar,
die Schöpfungen Arnold Böcklins und sein höchst eigentümliches, nixenhaftes Kolorit einmal unter solchen
physiologischen Bedingungen zu betrachten. Wir haben immer beobachtet, daß weitsichtige Maler schwer zu
ringen hatten mit einer gewissen Härte nnd Kälte des Tons, die ihren farbigen Schöpfungen gern anhaftete.

Wir sind ain Schluffe unserer Notizen angelangt. Eine andere Gelegenheit wird vielleicht diese an-
ziehenden Fragen zu weiterer Beleuchtung bringen. Wir würden sehr merkwürdige Mitteilungen machen können,
z. B. über die Porträtähnlichkeit von Bildnissen und das Verhältnis der Farbe dazu. Wie verschieden unter

Die Aunst für Alle III
 
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