Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

DOI Artikel:
Fitger, Arthur: Raffael: Dichtung; aufgeführt im Bremer Künstlerverein am 6. April 1883
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0326

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Raffael

Dichtung von Arthur Kitger. Aufgeführt im Bremer Aünstlerverein am 6. April f885

Garte». — Aus einem nahen Alostcr Gesang der Mönche —
Abend

Raffael (tritt ans)

Laß ab, du stürmisch wildes Herz, laß ab:

Gebt endlich Ruh', ihr aufgeregten Pulse;

Jst's nicht genug, des Hiniincls Seligkeit
Mit fliicht'gcn Lippen rasch gekostet haben?

Noch schwindelt dir im Übermaß des Glückes
Das schwüle Haupt und schon verschmachtest du
Nach neuem Trunk, nach langen, tiefen Zügen
Aus jenem Freudenkelch? Laß ab! Laß ab!

(Er sieht umher.)

Hier war's. — Das Kloster, drin sic Vesper singen,

Des Lorbeers schwarzes Laub, der Abcndstcrn,

Der durch die Zweige lugt, die Nachtigall
In jener Nosenwildnis — schöne Stätte,

Ich grüße dich, geweihter Platz! (er hält inne) — dich

grüßen —!

Warum? Wer grüßt des Tempels leere Halle,

Daraus der Gott entwichen? Kahler Raum,

Kahl wie das Heute; ach, wer kann das Heute
Ertragen, der solch sel'ges Gestern sah?

(Pause. Er ergeht sich in Erinnerung und spricht langsam und
träumerisch.)

Weiß ich denn wic's geschah? Der Tag war laut.

Der Papst, die Kardinale scharte» sich
Um mein vollendet Werk; des Volkes Jubel
Erbrauste mir von fern; das ganze Rom,

Das heilige, das große, cw'ge Nom,

Es drängte sich herzu und grüßte mich

Und warf mir Kränze zu und sang mir Lieder

Und schwenkte Fahnen mir und trug mir Fackeln.

Mir wars ein schöner Traum, ein buntes Chaos
Von Lvrbeerkränzcn, Ehrenketten, Versen,

Von lächelnde» Gesichtern, Händedrücken —

Ich fass' es heut nicht mehr; ich weiß nur Eines:

Ich floh der Fcstgenossen lauten Schwarm
Und barg in dieses Gartens Schatten mich,

Mit meiner vollen Brust allein zu sein.

(Er setzt sich auf eine Gartenbank. Gesang der Manche.)
Warum kommt uns das Glück? Die Menschen zieh»
Durchs Leben hi», die stanb'gcn, steilen Pfade,

Zn Hänptcn Sonnenbrand und Stein und Dorn
Zu Füßen und den heißen Durst im Herzen.

So ziehen Hnndcrttausende zu Grabe,

So drängen aber Hunderttausend nach:

Und Keiner kennt das Glück. Wohl ihnen! Wohl!
Kein großrcr Schmerz als Glück besessen haben
Und dann entbehren! Qual der Durst nach Glück
Und wie ein Blitz das gcgenwärt'ge Glück,

Und Qual Erinn'rung an verlornes Glück,

Wozu denn Glück in dieser plumpen Welt? (Er springl auf.)
Dort leuchtet's durch die Zweige! Ihr Gewand!

Ihr Schleier! — Thor! — dich täuscht des Mondes

Strahl,

Der flimmernd an den Marmorsäulen spielt.

O sel'ges Gestern! — Ach! Aus jenem Schatten
Trat sie hervor, die himmlische Gestalt,

Unsagbar, göttlich schön, und näher kam sie,

Und in den Händen trug sie einen Kranz,

DU Aunll für Alle III

Als wollte sic mich krönen und ich beugte
Das Knie in stummer Andacht, — aber sie
Verharrte schweigend auch und drückte nicht
Den schon erhob'nen Zweig auf meinen Scheitel.

Und leise sprach ich: „Bin ich deines Kranzes
Auch unwert, Himmlische, so schenk' ihn dennoch
Als Zeichen hcutgen, — Pfand zukünftgen Glücks."

Sie aber löste schnell das Lanbgeflecht
Und warf die heil'gen Blätter in die Winde
Und rief: „Wer darf dir Kronen bieten? Wer
Darf sich so hoch gefürstet wähnen, Meister,

Dir, sei's auch eines Blättchens Schatten nur
Aufs Haupt zu drücken? Alles gab dir Gott;

Uns Menschen bleibt nur eines — dich zu liebe»,

Mit jedem Herzschlag, jedem Hauch zu lieben!"

Und ihre Thränen strömten und mein Arm
Ergriff die Wankende. — O schweiget Lippen
Von solchem Glück! — Und Mund ans Mund gepreßt,
Und Brust an Brust geschmiegt — O rede nicht! —
Der stillen Muse nur vertrau' die Schmerzen,

Vertrau' die Seligkeit des Wunders an.

(Er setzt sich und zieht eine Schreibtafel hervor. Er redet das
nachstehende Sonett träumerisch improvisierend vor sich hm und
zeichnet hin und wieder einige Verse in der Schreibtafcl ans.)*)
„Der Liebesgott besiegt mich mit den Flammen
Des dunklen Auges, das, ich schier verschmachte,

Besiegt mich mit dem Munde, der mir lachte,
lind mit dem Schnee und Rosenrot der Wangen.

Und meines Busens glühendes Verlangen
Löscht weder Strom noch Meeresflut; ich trachte
Zu schüren noch die Glut, die heiß entfachte,

Bis über meinem Haupt sie schlägt zusammen.

Wie schlang um meinen Hals der weiße Arm
Zuni Joche sich; und ach in TodeSleidcn
Wollte mein Herz, da er mich ließ, sich senken.

Doch schweig von deinem Glück, von deinem Harm,
Von all den lausend Liebesheimlichkeiten,

Schweig, um in tiefrer Glut an sie zu denken."

(Er springt wieder aus)

Sie ist's! Ich höre wie der leichte Schritt
Den Kies des Weges streift.

(Er horcht hinaus. — Dann fährt er enttäuscht fort)

O Thor! Du Thor,

Was harrst und hoffst du hier? Sprach sie nicht scheidend:
„Ans Nimmerwiedcrseh'n?" Nein! Aber Nein!

Ich trag' es nicht! — Ans Nimmerwicderseh'n?

O Schöne, Rätselvolle, Himmlische,

Nur einmal steige noch zu mir hernieder,

Nur einmal noch. Ich muß in Qual vergehen! —

Sic hört mich nicht; — allein mit meiner Sehnsucht —
O helft, ihr Musen, — lindert meine Leiden.

(Er setzt sich und schreibt wieder wie oben.)

„Dem Schiffer gleich, der seinen Stern verloren,

Steh ich allein, seitdem du sprachst: ich scheide;

Wie sich mein Herz auch au Erinu'ruug weide,

Ach, aus Erinn'rung auch wird Schmerz geboren.

So sei durch Worte denn mein Gram beschworen;
Sprich aus, mein Mund, und sage, was ich leide!

Mit seines Pfeiles gistgeuetzter Schneide
Thät mir der Liebesgott das Herz durchbohren.

-) Dieses und das folgende Sonett sind freie Übertragungen
der beiden Originalgedichle Raffaels.

rr
 
Annotationen