Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

DOI Artikel:
Voss, Georg: Ein Berliner Realist
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0222

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
168

Ein Berlin er Ire all st

Von Georg voß

hl kein Wort hat im Laufe der Zeit so mannig-
fach seine Bedeutung verändert und mit keinem
andern Worte werden so grundverschiedene Begriffe ver-
bunden, als mit dem Worte Realismus. Die wirkliche
Erscheinung der Dinge wicderzugebcn, wie viele Künstler-
schnlcn haben dies im Laufe des Jahrhunderts versucht,
und stets kamen neue Schulen, welche der Natur klarer
ins Auge blickten, die wirkliche Welt in immer hand-
greiflicherer Wahrheit darstcllen lernten und dann achsel-
zuckcnd in den Werken ihrer Borgänger von Schönfärberei
sprachen. Wer sieht bei einer Betrachtung der Berliner
Schule in den Werken eines Chodowiccki, Gottfried
Schadow, Krüger und Schräder, die einst als die Rea-
listen galten, noch eine unbefangene Wiedergabe des
Menschen, seitdem uns Adolf Menzel in seinen Gemälden
und Zeichnungen ein so unendlich treueres Spiegelbild des
wirklichen Lebens geschaffen hat?

Seitdem in der Malerei die Versuche gescheitert
sind, die realistischen Neigungen des Berliner Publikums
durch die Vertreter einer idealen Gedankenwelt zu durch-
kreuzen, ist die unbefangene Wiedergabe der Natur in der
Berliner Schule immer energischer als das höchste Ziel
der Kunst hingestellt worden. Menzel ist der Stern,
nach dem unsere jüngeren Künstler fast alle ihr Steuer
lenken, obwohl der greise Meister niemals ein Lehramt
bekleidet hat. Unter den jüngeren, welche sich nach
Menzel gebildet haben, ist Skarbina der entschiedenste
Verfechter dieser Richtung. Kanin ein anderer in Berlin
hat so sicher und mannigfaltig wie er das Treiben der
Welt beobachtet. Kein anderer gleicht aber auch so sehr
seinem Vorbilde Menzel darin, daß er die Wahrheit
um jeden Preis, selbst wenn sie häßlich ist, in seinen
Werken wiedergibt. Skarbina beobachtet mit dem Auge
des Menschenkenners jede charakteristische Haltung, jedes
charakteristische Mienenspiel, die ihm als der Ausdruck
des inncrn Wesens der Persönlichkeit cntgegentreten.
Was er in dieser Weise dem Leben abgelauscht hat, ist
neu in jeder Linie und in jedem Pinselznge seiner Werks.
Von der sonst in so vielen Künstlcrschulcn üblichen Art,
eine Reihe von hergebrachten Typen in geringen Varia-
tionen beständig zu wiederholen, ist bei ihm keine Rede.
Aast jede seiner Gestalten ist eine neue Entdeckung. Meist
sind es die alltäglichsten Erscheinungen, welche er zeichnet,
Figuren, die wir im Leben so oft an uns vorübergehen
gesehen haben, daß uns kaum noch ein bedeutungsvoller
Zug in ihrem Wesen anffällt. Doch Skarbina weiß in
ihren Zügen das malerisch interessante fcstznhalten. Wäh-
lerisch ist sein Auge allerdings ans diesen Entdeckungs-
reisen nicht. Nach Augen, die den Spiegel einer reinen
Seele bilden, hat er nie gesucht. Die Moral 'der Leute
ist ihm ebenso gleichgiltig wie die Schönheit ihrer Er-
scheinung. In diesem Streben nach Wahrheit, das er als
das ausschließliche Ziel seiner Kunst hinstellt, liegt ein
wissenschaftlicher Zug, welcher mit den meisten unserer
hergebrachten künstlerischen Ideale kaum noch etwas zu
thun hat.

Ein Blick auf das Leben und die Entwicklung des
Malers macht dies leicht erklärlich. Skarbinas Familie
stammt aus Agram, der Hauptstadt Kroatiens. Noch
der Vater des Künstlers ist in Agram geboren. Der

Hang znm Realismus scheint allen Künstlern slavischen
Ursprungs im Blute zu liegen. In Skarbina ist dieser
Zug nur deshalb entschiedener als bei manchem Anderen
hervorgetreten, weil der junge Maler die künstlerische
Kraft in sich fühlte, allen hergebrachten Schulregeln
den Rücken zuzukehren und ganz der Stimme des eigenen
Talents zu folgen. Skarbina ist am 24. Februar 1849
in Berlin geboren. Der künstlerische Trieb des Knaben
äußerte sich vor allem im Aquarellieren und er erlangte
darin ganz aus eigener Übung und Natnrbeobachtung die
Fertigkeit, mit wenigen flüchtigen Pinselzügcn auch die
vorübergehendsten Eindrücke fest zn halten. Auf der Ber-
liner Akademie, die seine künstlerische Ausbildung in die
Hand nehmen sollte, hat er es nicht lange ausgehalten.
Die segensreiche Umgestaltung, welche die Akademie unter
der Leitung Anton von Werners seit 1875 erfuhr,
trat erst nach seiner Zeit ein. Bereits im 21. Lebensjahre
bezog Skarbina ein eigenes Atelier. Einen lebhafteren
künstlerischen Einfluß, der in dieser Zeit auf ihn einwirkte,
schreibt er nur dem Verkehr mit den Brüdern Meyer-
Heim zu. Seine ersten Studienreisen gingen nach Süd-
tirol, von wo er eine Reihe von Darstellungen charakter-
voller Bauernfigureu, doch auch Ansichten malerischer
Jnnenränme hcimbrachte. Erst dann ist ihm in der Mitte
der siebziger Jahre ans einer Reise nach Belgien der Reiz
der Stimmung in der Beleuchtung der niederländischen
Landschaft aufgegangen. An den Ateliers der alten Histo-
rienmaler in Brüssel und "Antwerpen, zn denen Jahrzehnte
hindurch die deutschen Künstler ihre Schritte lenkten, ging
er achtlos vorüber. Aber die Natur in dem Silberton
der Lnftstimmnng der feuchten Atmosphäre zu malen, die
den holländischen Wiescnlandschaften ihren eigenen Cha-
rakter gibt, das war sein Ziel, das er seitdem fast mehr
mit dem Auge des Naturforschers als mit dem des Künst-
lers verfolgt hat. Ein durchaus ähnlicher Zug der neuesten
belgischen Kunst, den er in Brüssel und Antwerpen vor-
fand, mußte ihn in diesem Streben naturgemäß wesentlich
bestärken. Die Grundsätze des neuen französischen Rea-
lismus, wie sie von Manet und Basticn-Lepagc aus-
gebildet sind, haben in keinem anderen Lande so früh
Nachfolge als in Belgien gefunden. Jeder schöne Schein
mit dem die Künstler bisher die Prosa des Lebens um-
hüllten, wurde als konventionelle Lüge verbannt. An
Stelle des Dämmerlichts und des Helldunkels trat das
grelle kühle Licht des Tages. An Stelle der Charaktere
der Dichtkunst oder der Weltgeschichte traten die Straßen-
figurcn aus der Hefe des Volkes. Strolche im grellen
Mittagslicht zn malen, das wurde das Lieblingsthcma,
zu welchem der Widerspruch gegen die alten Ideale in
letzter Konsequenz führen mußte.

Vor dieser äußersten Konsequenz ist unser Künstler
in seinen besten Werken bewahrt geblieben. Allerdings
sucht sein Auge stets nach Menschen, bei denen die innere
Wahrheit des Mienenspiels nicht unter der gleichmäßigen
Förmlichkeit einer gesellschaftlichen Lüge versteckt wird.
Die Kreise, in denen er diese Offenheit der Geberden-
sprache findet, sind wahrlich oft nicht die besten. Die
Dämchen von der Straße, in deren Augen geschrieben
steht, was ihre Seele sucht; gedankenlose Stutzer, welche
diese Mädchen mit blasiertem Lächeln an sich vorüber-
 
Annotationen