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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Norden, J.: Etwas von russischer Kunst und ihren Vertretern, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0282

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2,6

Etwas bon russischer Pinnst und ihren Vertretern

von I. Norden

(Schluß von S. 203)


^l'us der Mitte dieser rekrutierte sich Ende der 60er Jahre, unter der Ägide G. Miassojeows,
K. Lemochs, Perows und Prjanischnikows die „Gesellschaft für Wanderausstellungen", der
Männer, wie die beiden Makowski, V. Jakobi, Schischkin, die Barone M. K. und M. P. Klodt,
Kramskoi u. a. beitraten. Zweck der Gesellschaft war gegenseitige Förderung der Mitglieder und Ausstellung
ihrer Werke, unabhängig von den akademischen Jahresausstellungen, zudem nicht blos in Petersburg, sondern
auch in Moskau und in anderen großen Städten des Reiches. Im Jahre 1871 fand die erste „Wanderaus-
stellung" statt, die viel Sensation machte und ihren Veranstaltern volle Sympathie seitens des Publikums

eintrug. An Sympathie hat es ihnen über-
haupt nicht gefehlt, auch später nicht, auch
bis zu unseren Tagen nicht. Das Neue
interessierte ja unser Publikum stets; zumal
wenn es so einen kleinen politischen Haut-
gout, so einen kleinen — oder auch recht
großen — Beigeschmack von Tendenziosität
hat, wie jene erst namhaft gemachten Bil-
der, die alle aus den Kreisen der „Wander-
aussteller" hervorgegangeu sind. Auch
herrschte unter ihnen wirklich ein freierer,
regerer Geist, als unter den „Akademisten",
denn sie zuerst standen samt und sonders
auf dem Boden des Nationalen und des
Realismus. Dieser Richtung konnte sich
auch eine zweite Gesellschaft nicht entziehen,
die, von akademischen Kreisen ausgehend,
und als ein Gegengewicht gegen die
„Wanderaussteller" ins Leben gerufene
„Gesellschaft zur Veranstaltung von Kunst-
ausstellungen". Ter Wettkampf zwischen
diesen beiden Gesellschaften hat jetzt sein
Ende erreicht: die jüngere Gesellschaft exi-
stiert schon nicht mehr, denn inzwischen
hat die Akademie selbst sich ins Mittel ge-
legt. Jenes Schisma konnte auf sie nicht
ohne heilsame Rückwirkung bleiben; schon
die Begründung der zweiten Gesellschaft
war eine Konzession an die Zeitströmung
und den herrschenden Geschmack; und einen
zweiten Schritt that sie, indem sie 1884
eine Institution in der Art des Pariser
„Salons" schuf, eine große, allen russi-
schen Künstlern offenstehende Ausstellung,
mit einer zum Teil von den Künstlern selbst gewühlten Jury an der Spitze. Und gar viele von den ehemaligen
„Wanderausstellern" sind wieder aus diesem Verbände ausgeschieden und seine ganze Existenz ist heute in
Frage gestellt. Nicht blos aus äußeren, auch aus inneren Gründen. Die Keime, die für die Physiognomie
dieser Gesellschaft charakteristisch waren, haben sich fortentwickelt in teilweise fast bis zum Extrem gehender
Weise. Bei der Verfolgung ausgesprochen realistischer Richtung ist sie in einigen ihrer Vertreter angelangt
hart bei den Grenzen des Kuustschönen überhaupt; das nationale Element aber, das sie von jeher auszeichnete,
schlug in eine kunstfeindliche Tendenz um. Wenn in der That bei der Gründung dieser Gesellschaft für
manchen nur dadurch eine Entwickelung ermöglicht wurde, so gerieten andererseits viele von denen, die frank
und frei ihre eigenen Wege wandeln wollten, auf Abwege.

Auch folgten der einen großen Spaltung hüben wie drüben, in beiden Lagern noch manche kleine
Risse und nun ziehen schon viele nicht mehr blos gruppenweise ihres Weges und, nur dem Geschmacke der
großen Menge huldigend, das ihnen als Irrlicht voraushüpfte, gaben Manche zur Befürchtung Anlaß, daß sie
schließlich in dem großen Sumpfe eines gräulichen Naturalismus, oder unkünstlerischer Teudenziösität, oder aber
endlich erbärmlicher Effekthascherei — lasciven oder politischen Charakters — untergehen würden. Doch nicht

Idylle aus der Thcbaide. von tvilbelm Gcntz
 
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