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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 3.1887-1888

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Brachvogel, Carry: "Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden!": eine Weihnachtsgeschichte aus dem Künstlerleben
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Unsre Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.9418#0123

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Ehre sei Gott in der Höbe rc. von >

„Und sie leugnete nicht?"

„Nein, im Gegenteil, sie schien's zufrieden, daß sie
mir's nicht erst zu sagen brauchte. Seit die Familie hier
ist, hat Goldschmidt die Mittel für ihren ganzen Auf-
wand hergegeben — o, es ist schmählich, schmählich. Und
seit heut' ist sie seine Braut."

Wieder trank er sein Punschglas aus und stellte eK
mit heftigem Aufschlagen auf den Tisch.

„So, jetzt ist mir leichter", sagte er lauter als bis-
her, „daß ich mir einmal all' den Jammer vom Herzen
habe herunter reden können; 's gibt nichts grausameres
für eine mitteilsame Natur, wie ich es bin, als zum
Schweigen verdammt sein, wenn alles, alles zum reden
drängt. Von meinem Glück zu schweigen, das ging noch
an, aber jetzt hätt' ich's nicht mehr ausgehalten und nun
ist's heraus und abgethan. Ich verspreche dir ein anderes
Leben zu beginnen, ich bin schon daran, meine Liebe zu
begraben."

„Man begräbt nur Totes", warf ich ein und die
Hoffnung, daß der schweren Krisis nun vollständige
Genesung folgen werde, brachte mein Blut in freudige
Erregung.

„Nur Totes", sagte Rolf fest.

Wir tranken nicht lange. „Ich will heim," sagte
Rolf aufstehend.

„Es ist auch Zeit, gleich Mitternacht."

„Christnacht", meinte er wehmütig und nickte mit
dem Kopfe. Wir traten hinaus in die eisige Nacht, der
Mond schien hell, die Straße war schneefrei und trocken
gefroren, aber auf den Dächern glitzerte es weiß und das
Eis auf dem Kanal krachte von Zeit zu Zeit.

Wir standeu vor der Thür des Hauses, in dem
Rolf wohnte. Eine Glocke schlug an und eine zweite,
und was man bei Tage in dem Gewühle und Treiben
des großstädtischen Lebens und Lärms nie zu hören be-
kommt, mächtig brauste der fromme Chor aller Glocken
weithin hallend durch die dünne Winterluft und läutete
Weihnachten ein.

„Komm' mit hinauf", sagte Rolf.

Wir gingen schweigend die fünf Treppen empor, aber
er trat nicht in seine Wohnung, sondern in sein Atelier,
dann zündete er die drei Flammen des Gaslüsters an
und rückte die Staffelei mit dem riesigen Bilde der „heiligen
Nacht", das ich seit mehr als einem halben Jahre nicht
gesehen hatte, in's rechte Licht. Das Bild war fast voll-
endet, er hatte fleißig gearbeitet: Die heilige Familie
und die Könige aus dem Morgenlande und darüber die
Engel, welche den Lobgesang anstimmten: „Ehre sei Gott
in der Höhe." Die Komposition war großartig, selbst bei
der mangelhaften Beleuchtung wirkten die Farben und
die Lichtverteilung überraschend. Den Mittelpunkt bildete
die Jungfrau mit dem Kinde.

„Luisita!" rief ich.

„Ja, sie ist's", meinte er, das herrliche Muttergottes-
bild anschauend, und sie ist's doch nicht — es ist das,
was sie mir schien und was sie mir vielleicht geblieben
wäre, hätte ich sie wirklich nicht gekannt, wie ihr alle
glaubtet." Und immer wie festgebannt auf das Bild
blickend, fuhr er fort: „Als ich vor 14 Tagen aufstand
nach schlaflos verbrachter, qualvoller Nacht, habe ich mir
Pinsel und Farben wieder hergesucht und habe sie aus
dem Gedächtnis gemalt mit all' der Schönheit, Hoheit und
Göttlichkeit angethan, die ihr mein glühend Herz einst

Die Kunst für Alle III

arry Brachvogel — Unsere Bilder 8g

angedichtet hatte, und habe sie mir aus dem Herzen ge-
malt — wenn ich damit fertig bin, habe ich überwunden
und meine Liebe begraben — und dann, dann — ein
neuer Kerl, eiu neues Leben!" sagte er mit Anstrengung.
„Da, sieh hinein", meinte er dann und reichte mir seine
Skizzenmappe. „Alles sie und immer sie — ich sah sie
wie eine Heilige und doch, wenn ich den Stift hernahm,
wurde sie mir unter der Hand gegen meinen Willen zum
Dämon — jetzt sehe ich sie, wie sie ist, und der Pinsel
weigert sich nicht mehr, ihr den Heiligenschein zu geben.
Aber das ist das Ende."

Er öffnete das Fenster, die Glocken läuteten noch,
er lehnte sich hinaus, als er sich wieder umwandte, schim-
merte es feucht in seinen Augen und er sagte: „Das Bild
heißt: „Ehre sei Gott in der Höhe und — — Frieden
auf Erden!"

Unsere Bilder

vom Herausgeber

61Lisher waren wir immer der Meinung, der heilige

Antonius sei von Padua. Grützner aber beweist
uns durch sein Bild unwiderleglich, daß er aus München
gebürtig sein inüsse, denn seine Versucherin bietet ihm
zuvörderst zu trinken dar. Offenbar in kluger Benützung
der schwächsten Stelle aller bayrischen Heiligen! Das hätte
bei einem Italiener keinen sonderlichen Eindruck gemacht,
diesem Antonius aber wird dadurch der Widerstand
natürlich sehr erschwert! Außerdem gleicht die „Teufeline"
auch so sehr einer hübschen Kollegin der klassischen Schützen-
lies'l, die ihm gerade mitteilt, es sei „frisch angestochen",
daß unser frommer Vater sich schon gar nicht mehr anders
zu helfen weiß, als dadurch, daß er nicht hinsieht, da er sonst
rettungslos verloren wäre. Schwer wird der Widerstand
ihm drnm so sehr, daß wir für nichts gutstehen möchten,
was nachher noch passiert sein werde. — Das Bild ge-
hört übrigens zu Grützners glücklichsten Werken durch die
köstliche Ausführung, die recht gut neben einem jener alten
Niederländer Stich hielte, die den heiligen Antonius ja
auch oft genug versucht haben, obwohl sich kein einziger von
ihnen so gut auf die Mittel verstand, mit denen man
frommen Männern am ehesten beikömmt.

Wenn die gemalten Paraden sonst für alle Welt
fürchterlich langweilig sind, ausgenommen für die, welche
paradiert haben und sie den Malern gewöhnlich bestellen,
so knüpft sich bei Siegmund L'Allemands Gemälde
einmal ausnahmsweise ein wirkliches Interesse an eine
solche Schaustellung. Sie ist nämlich das Gegenstück eines
Bildes, welches der Maler von jenem Einreiten der Dam-
pierreichen Kürassiere in die Wiener Hofburg malte, durch
welches Kaiser Ferdinand II. einst 1619 von einer sehr
unangenehmen Unterhaltung mit seinen allergetreuesten
niederösterreichischen Ständen befreit wurde. Damals er-
hielt das jetzt in Dragoner umgewandelte Regiment das
Privilegium, immer durch die Burg reiten zu dürfen, wenn
es nach Wien komme, ein Vorrecht, von dem wir es hier
mit um so größerem Stolz Gebrauch machen sehen, als
auch noch der Kaiser selbst es vor sich defilieren läßt.
Natürlich beruht das Interesse unseres Bildes ganz auf
diesem obersten Kriegsherrn und seinem Gefolge, die denn
aber beide auch mit einer so schlagenden Wahrheit darge-
stellt sind, daß es kaum möglich wäre, sie weiter zu treiben,
und die daher dem Ganzen auch eine weit über den un-

rr
 
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