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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 6.1890-1891

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Heilbut, Emil: Künstler und Kunstkritiker, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.10736#0217
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Künstler und Kunstkritiker

von Dermal! Delrerich

n einem unlängst erschienenen Hefte der englischen
Knnstzeitschrift »Dbe lAaga-ine o5 ^rt« sieht man
eine phantastische Zeichnung von Harry Furniß, eine
Szenerie, welche an Dore erinnern könnte. Links der
Rand eines Berges und rechts der Rand eines andern
Berges, so wie etwa Roßtrappe und Hexentanzplatz ein-
ander gegcnüberstehen. Zwischen ihnen eine tiefe Schlucht,
ganz schwarz! Die Männer vom Rande der Roßtrappe

wollen zu
denen des He-
xentanz-
platzes, welche
sich hinter
klassischen Fo-
lianten Brust-
wehren gebil-
det haben,
wütend hin-
überstürmen:

denn die
Männer des
Hexentauz-
platzcs sind
Kunstkritiker.
Sie befinden
sich also an
einem Orte,
wohin sie, wie
die Maler sa-
gen, gehören.
An der Brust-
wehr knien
die vordersten
von ihnen;
sie halten Fe-
dern in den
Händen und
sehen höh-
nisch über
ihre Brust-
wehr zum
Feinde. Sie
sind die
Avantageure,
sie sind die
Kritik der

Zeitungen, welche leicht geschrieben, rasch gelesen und
leicht vergessen wird. Hinter ihnen hält zu Schimmel,
die Feder in der Hand, der General der Tagcskritiker,
ihr Doyen, den Ton angebcnd. Im Hintergründe aber
baut sich auf Stufen, die ausschließlich von Büchern ge-
bildet werden, erst die Hochburg auf. Hier ist die Zita-
delle der Kritik, ihre uneinnehmbare Stätte, auf ihren
Zinnen ist eine Flagge mit der Inschrift -^rt Lritici'sm,
und ihren Basalt bilden Monats- und Halbmonatshefte,
in welchen die Kritik weniger leicht zu schreiben ist, wo
man schon etwas gründlicher sein muß, wo man nicht in
so starken Auflagen, aber meist um so größerer Verehrung
gelesen wird. Der witzige Zeichner hat sehr hübsch

den Unterschied des Stiles von Tageskritik und Revuen-
kritik festgehalten: jauchzend sind Kinder, gesetzt sind
Männer: plänkelnd die Tageskritik, priesterlich die
Kritik in den Monatsheften. Geschützt von ihrer Burg,
im Schatten ihrer Folianten, gestützt auf ihre Feder
— so fordern die Kritiker der monatlich erscheinenden
Organe die Roßtrappenscharen, die Boheme des Künstler-
Völkchens, diese würdelose und zügellose noch lebende
Kunst in die Schranken, sie sehen über den Abgrund
hinüber; der Kamps beginnt, die Schlachtrufe Hallen.
Ein Blendrahmen wird zur Zugbrücke; ein Maler opfert
sich. Er drängt vor, er will hinüber, er setzt zum Lauf
an, er will hin, zum Feind, zum Erbfeind: zur Kritik.
Seine Genossen, froh, daß er's thut, schütteln die Pinsel
im Köcher, werfen mit Malstöcken in die Luft, und drüben
hören wir die Kritiker der Tageszeitungen pfeifen. Sie
spötteln Feuilletons: nicht der Rede mächtig — oder doch
nicht in dem Stile gewandt — dafür aber überzeugt,
durchdrungen von ihrem Recht, laut, eindringlich, er-
widern ihnen die gekränkten Maler. Sie halten die
Bilder vor sich, die von der Kritik schlecht gemacht worden
waren, sie weisen vorwurfsvoll auf die Kritici hin, und
ein genialer Lümmel, ein Alcibiades der Schar, steht der
schneidige Mac Lean Whistler (der die famosen Stim-
mungsbilder malt) in Zylinder und Lackstiefeln, sich vor-
wärts krümmend, höhnisch lachend, die Palette in der
Linken, als Rufer im Streit.

Der Aufsatz, in dessen Begleitung diese romantisch-
humoristische Zeichnung erschien, heißt „Künstler und
Kunstkritiker", und ist von H- Sp.ielmann. Ich werde
einiges ans ihm vortragen, und zu anderm meine Rand-
glossen machen.

I.

Herr Spielmann fängt damit an, daß er etwas
zögern müsse, sich dem Gegenstände zu nähern, denn es
wäre schwierig, mit absoluter Freiheit zu reden, da die
persönlichen Freundschaften mit vielen Gliedern der Künstler-
gemeinde ebenso wie die, welche man mit den Brüdern
von der Feder unterhält, das Stellungnehmen in einer
solchen Diskussion peinlich machen. Herr Spielmann er-
innert deshalb daran, daß er nicht in der Absicht spricht,
allein die alten Streitigkeiten über Berechtigung und Nicht-
berechtigung der Kunstkritik aufzuwärmen, sondern um
klarzulegen, wie heutzutage die Sachen liegen, und einen
Vorschlag zu erörtern, der, wenn durchgeführt, wie Herr
Spielmann glaubt, sowohl dem Künstler als dem Kritiker
Vorteile bringen müßte.

Die Stellung eines Kritikers war noch niemals so fest
als gegenwärtig, sagt, und mit Recht, Herr Spielmann.
„Kümmert sich das Publikum um Kunstkritik?" fragte
Ruskin. (Ruskin ist der Oxforder Professor der Kunst-
geschichte, welcher Englands und Amerikas berühmter
Kritiker ist.) Die Antwort darauf findet sich in den
zahlreichen Spalten, welche der Kunstkritik, oder dem,
was unter ihrem Namen geht, in dem Rahmen unsrer
Zeitungen eingeräumt werden. Wenn Kunstkritik nicht
einem populären Wunsche entspräche, würde sie der Ver-
leger dann dulden? Würde das Publikum sich um sie
kümmern? Würde, wenn man voraussetzt, es sei gut,

Ilm Ziel, von A. Volk mann
 
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