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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 10.1894-1895

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Crane, Walter: Kunst und Volkstum, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11055#0417
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Von lValtcr Lranc.

getreten, die früher unser Volksleben ausschließlich be-
herrschten. Bieten sie einzig und allein doch noch jenes
Interesse, für das sich der große Haufe in seiner Gesamtheit
zu erwärmen vermag, sind sie doch in der That das ein-
zige, für das unser niedergedrücktes Volkstum noch in
Feuer und Flamme geraten kann. Und deshalb lacht auch
dem Proletarier das Herz im Leibe, wenn er sein poli-
tisches und soziales Glaubensbekenntnis so in einem,
ihm recht leicht faßlichen, möglichst packenden, mit
scharfer Satire durchtränktem, allegorischen Bilde vor
sich sieht.

Nichts ist für die landläufige politische Anschau-
ungsweise, Verblendetheit und Halsstarrigkeit unserer
herrschenden Gesellschaftsklassen bezeichnender als die
Karikaturen ihrer politischen Journale. Hier liegt ein
schätzenswertes Material für den Historiker künftiger
Zeiten. Es wirkt geradezu komisch, wie lange sich
eine einmal von der Allgemeinheit acceptierte Deck-
gestalt zu halten vermag. Nehmen wir z. B- gleich
die uns geläufigste, die des „John Bull". Repräsen-
tiert diese wirklich noch den Typus der besitzenden
und jetzt einzig herrschenden Klasse, den der Groß-
kapitalisten und Bankiers, für die doch heute aus-
schließlich die saftigen Roastbeefs Old Englands da zu
sein scheinen?! — Anstalt der kombinierten charakte-
ristischen Merkmale eines Landedelmanns, Sportmans
und Quäkers käme da ein nach „Geschäftche" duftender,
etwas semitisch angehauchter Typus der Wirklichkeit
bedeutend näher. Aber selbst dieser müsste schließlich
einem Höheren, Mächtigeren weichen, dem wahren
John Bull — sein Name heißt: „Arbeit".

Ich denke, eine recht weitgehende Nutzbar-
machung dieser allgemein beliebten, symbolisierenden,
karikierenden, emblemischen Kunstrichtung müßte viel
Gutes stiften. Auf diese Weise ließe sich z. B. das
so überaus nötige theoretische Fundament für unsere
volksökonomischen Ideen schaffen, das unbedingt erst
vorhanden sein muß, ehe wir hoffen dürfen, die Idee
in Wirklichkeit umgestalten zu können.

So gäbe unter anderem Mr. Ruskins Parallele
„tlie Lrag Laron nncl tbs LsZ Laron (Baron vom
Stein und Baron Sack's ein)" ein ganz vorzügliches
Sujet.

Ersterer, der Baron vom Stein hätte den
ritterlichen Strauchdieb der Feudalzeit zu repräsen-
tieren, wie er da hoch zu Rosse hält, sein Raubnest
auf hohem Stein hinter sich, umstarrt von den Lanzen
der Vasallen, jeden Augenblick bereit, über den harm-
losen Wanderer, der sein Territorium betritt, herzu-
fallen, um ihm das bißchen Hab und Gut abzu-
nehmen. — Letzterer, der Baron Sack's ein, wäre der
Vertreter unserer modernen Wirtschaftsära. Hinter
sich müßte er die entsprechende Staffage von Villen,
Fabrikgebäuden und Dampfschloten — welch letztere
hier ja ganz gut die Stelle der mittelalterlichen Lanzen
vertreten könnten — bekommen. Er herrscht kraft seines
allmächtigen Geldsacks. Der Geldsack hängt ihm unaus-
gesetzt zur Seite, gespeist aus den drei Quellen moderner
Macht und Wohlhabenheit — Zinsen, Provision, Ge-
winnanteil. Diesen Gentleman stört nichts in seiner be-
haglichen Ruhe als jeweilig einmal ein Zeitungsbericht
über die unglaublichen Fortschritte der sozialdemokrati-
schen Propaganda.

zr,

Ein anderes wirkungsvolles Sujet würde die Symbolik
der Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit liefern und
zwar unter Zugrundelegung der hindustanischen Vor-
stellung vom Weltall, nach welcher die Welt auf dem
Rücken eines Elefanten lastet, der seinerseits wiederum
auf einer Schildkröte steht.

Genau ebenso fußt die moderne Welt des Reichtums

Jugend. Von H. Franc Lam^.

Salon des Lbamps Llysees 1895.

und des Luxus auf dem Kapitalbesitz, dem Elefanten,
dieser stützt sich auf die Arbeitermassen, die Schildkröte,
welche auf die Weise weder vor noch zurück kann ohne
die gütige Erlaubnis des urmächtigen Elefanten und
seines allergnädigsten Herrn Reiters.

(Der Schluß im nächsten Hefte.)

MI
 
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