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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 19.1903-1904

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Plinke, August: Pflege der bildenden Kunst in deutschen Grosstädten
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PFLEGE DER BILDENDEN KUNST IN DEUTSCHEN GROSSTÄDTEN

Von Aug. H. Plinke
L

Wenn wir Deutschen mit Stolz auf die
reiche, vielfarbige und vielgestaltige Kul-
tur unseres Vaterlandes zurückblicken können,
so danken wir das nicht zuletzt dem deutschen
Bürgertume und der deutschen Stadt, der
Stadt des Mittelalters und der Renaissance-
zeit, in der die Kunst Heimat- und Bürger-
recht besaß.

Wie damals das große Gemeinwesen, das,
ein Staat im Staate, eine politische Rolle auf
dem Welttheater spielte, Bündnisse schloß
und seine Fähnlein marschieren ließ, — so
hatte auch die kleinere Stadt der Kunst eine
Stätte bereitet, nicht als einem flüchtigen
Gaste, der landfremd durchs eine Tor herein-
gestrichen kam, um drinnen ein Weilchen
bettelnd „nach Brot zu gehen" und durchs

RUDOLF W'EYR PORTALBEKRÖNUNG AM ROTH-

BERGERHAUS IN WIEN • « « •

andere Tor wieder auf die öde Landstraße
hinauszuwandern, — nein, wie einem lieben
eingewöhnten Stadtkinde, das alltags mitar-
beitete, an der Macht und dem Glänze der
kleinen Republik, und am Sonntage die Feste
verschönte, die ihren Abglanz durch die
Finsternisse trüber Zeiten bewahrt haben und
noch in unsere Tage gießen.

Die politische Macht jener stolzen, auf sich
selbst gestellten Gemeinwesen ist längst zer-
fallen wie die Symbole dieser Macht, ihre
Mauern und Türme, — die selbstbewußten
Geschlechter, die Kaisern und Königen als
ebenbürtig erschienen, sind zu Staub geworden
oder in die Niederungen des Lebens hinab-
gedrängt und an ihre Stelle steigen klein-
denkende Krämer und Philister die Rathaus-
treppen auf und nieder, — aber der Glanz
der großen Zeit des deutschen Bürgertums
ist in den meisten deutschen Städten bis auf
unsere Tage lebendig geblieben, überall da,
wo die Kunst mitarbeitend, segnend und be-
wahrend die Hand darauf gelegt hat, sie, die
allein Werte schafft, die der Zeiten Wechsel
überdauern.

Und wie wenigstens ein Teil von der Väter
Erbe den Enkeln als köstlicher, immer mehr
geschätzter und höher bewerteter Besitz er-
halten geblieben ist, — so ist auch die Tra-
dition der alten bürgerlichen Kunstfreude und
Kunstpflege nicht ganz vergessen und ver-
loren gegangen: Mag sie allzu lange ver-
schüttet gewesen sein unter der Not und
Drangsal endloser Kriege und der Verarmung
zahlloser magerer Jahre, — mit dem zu-
nehmenden Wohlstande, der in der Mitte
des vorigen Jahrhunderts auf den glatten
Schienen der Eisenbahnen den erwachenden
Städten zurollte, mit der Mehrung der Ein-
wohnermenge und der von ihr geschaffenen
Hilfsquellen, — hat sich in den Sitzungs-
sälen unserer Rathäuser auch für die Kunst
wieder ein Eckchen gefunden und sie darf
in den Beratungen der Stadtväter unter all
den materiellen Sorgen und Klagen hier und
da ein bescheidenes Wörtlein mitsprechen.
Zwar vorerst nur schüchtern und leise, —
aber doch tritt im öffentlichen Leben neben
der höfischen Kunst immer mehr zu froher
Betätigung die Kunst des Bürgertums auf
den Plan.

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