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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 43.1927-1928

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Krzysanowska, Eva: Die Symbolik indischer Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.16477#0359
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B Kunstbibliothek
Staatliche Museen
zu Berlin

der rein sensuellen Y\ irkliclikeit das eigentliche
Sehen stört. Jedes Kunstwerk erscheint als Ver-
körperung des großen, geistigen Rhythmus, der
die Dinge erfüll tundsie miteinander verbindet.
Die Weite und Tiefe dieser Anschauung fuhrt
vom Selbst, von der Darstellung des Menschen,
der stolzen Bejahung der Persönlichkeit — dem
Thema aller abendländischen Kunst — der An-
schauung der Natur, der Stil—\ ersenkling zu.
Ein Schimmer unpersönlicher Heilerkeit und
Ferne liegt auf den Antlitzen indischer Götter-
bilder, ein Lächeln, das jenem fernen Glanz auf
den Gesichtern frühgriechischer Statuen gleicht,
aber während dort jener Gebundenheit des
künstlerischen Ausdrucks Perioden letzter Ex-
pressivität folgten, bleibt hier diese Entwicklung
aus. Der Körper ist eine Last, Persönlichkeit
ein Gefängnis und die Seele des Menschen strebt
aus dieser Gebundenheit der Unendlichkeit des
Alls, dem Leben des Universums zu.
Aus solchem Weltgefühl, solcher Verbunden-
heit mit der Natur, solchem Hinablauschen
in die tiefen Geheimnisse des Lebens entstand
gleichsam selbstverständlich eine Symbolik,eine
Siunhaftmachung der gegenständlichen Well,
die vom Wissenden im anderen Sinne gedeutet
als vom Volk, das Leben des Inders durchdringt
und seiner Kunst gesetzmäßige Bindung, be-
sondere geheimnisvolle Farbigkeit gibt.
Die Interpretation der künstlerischen Symbolik
Indiens ist jedoch nicht leicht, da die Sanskrit-
literatur, soweit sie zu diesem Zweck durch-
forscht wurde, wenig Anhaltspunkte gibt und
der Wechsel und Tausch von Symbolen, ihre
verschiedene Bedeutung bei den verschiedenen
Hindusekten, der Doppelsinn dieser Deutungen,
jenes YS irrwarr entstehen läßt, das dem Abend-
länder das Begreifen indischer Vorstellungen
so erschwert.

Doch ist die induktive Methode nicht die einzige
oder sicherste. Das Verständnis einer fremden
Kunst ersteht eher aus der Kenntnis der Natur
und Landschaft, in der diese Kunst gewachsen
ist, diese fremde Gedankenwelt sich formte, aus
dem mählichen, stillen und ehrfürchtigen Er-
fühlen des anderen Seins und des Besonderen,
des Beeindruckenden seines Lebens.
Das Himäyalagebirge, seine gewaltigen Formen,
die Unendlichkeit und Erhabenheit seiner Na-
tur, die Unerreichbarkeit und schreckliebe Hei-
ligkeit seiner Gipfel ist das Zentrum der reli-
giösen Ehrfurcht des indischen Volkes und der
Welt dieser Landschaft entstammen alle sinn-

OTTO GLEICHMANN. IM FOYER

Ausstellung Düsseldorf

bildlichen Darstellungen, die wir in Kunst und
kultischer Verehrung kennen. Der Himayala
bildet die Mitte des Weltlotus, der aus dem

Nabel Ishvaras sproßt--die Abhänge des

Himäyala und die Ebenen Indiens sind eines der
Blütenblätter, das sich aus dem Lotusstern sanft
auf seinen Stengel niederbeugt.
Das Lotussymbol hat noch andere Deutungen.
Der Lotus, oder die Wasserlilie, die, tief im
Schlamm des Sees wurzelnd, langsam den Weg
durch das Dunkel des Wassers findet, bis die
schöne Blume im Lichte des Himmels erglänzt,
ist ein Sinnbild der geistigen Entwicklung, durch
die die menschliche Seele den Weg ins Nirvana
findet. Das Sich-Erschließen und Verwelken
der Knospen auf dem Teich ist ein Bild des
Lebens.

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