Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

DOI article:
Luthmer, Ferdinand: Der Dekoratör
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0029
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Zanuar-Peft.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

Leite f3.

man ihn „HMI" — englischer ^ueen-Anne-Stil mit etwas japa-
nischem Ansputz.

Um das zu leisten, braucht der Dekoratör thatsächlich nicht
viel mehr zu verstehen, als ein tüchtiger Tapezierer, der ein paar
Zahre in einem großen Möbelgeschäft gearbeitet und sich aus
einer Aunstgewerbeschule eine ungefähre Aenntniß der Stile ange-
eignet hat, so mitbringt. Will er ein Uebriges thun, so reist er
jedes Jahr einmal nach Paris und hält sich ein französisches
Tapezierer-Journal und die Musterbücher der großen Londoner
und amerikanischen Möbelfabriken.

Nun gibt es aber auch noch eine andere Art die Kunst der
Dekoration aufzufassen. Ts gibt Menschen, die sich nicht damit
begnügen, daß ihr neues paus „modern" aussieht, daß man ihren
Möbeln anmerkt, sie stammten aus dein sashionabelsten Magazin,
ihren Stoffen, sie seien aus der neuesten Musterkarte ausgesucht.
Diese höhere Auf-
fassung gipfelt in dem
Wort: Zeige mir
wie Du wohnst,
und ich sage Dir,
wer Du bist! Sie
enthält die Forde-
rung, daß die Woh-
nung ein sprechendes
Portrait von dem
Bewohner sei, daß
sie für diesen Men-
schen, diesen Fa-
milienkreis, und für
gar keinen anderen
passe, pavard, einer
der feinsten Weg-
weiser aus dem Ge-
biete des Geschmacks,
drückt in seinem höchst
lesenswerthen Buche
„Ix'Krt clsris 1?r
Maason" diese Auf-
gabe der Dekorations-
kunst in folgenden
Grundsätzen aus:

s. Der äußere
Anblick einer Woh-
nung mag eine Rück-
sichtnahine auf das
Publikum ausspre-
chen, eine Nachgiebig-
keit gegen den herr-
schenden Geschmack,
eine achtungsvolle Unterordnung unter die Gesetze der Gesammt-
wirkung. Die innere Dekoration dagegen soll unsere persönlichen
Liebhabereien zum Ausdruck bringen, in Uebereinstimmung sein
mit dem, was uns ansteht, was wir leisten können, was wir
brauchen und was uns gefällt.

2. Die erste Bedingung, welche eine Wohnung zu erfüllen
hat, ist, daß sie bewohnbar sei. Um bewohnbar zu sein, muß
sie nicht blos hinreichend geräumig, gesund und wohl verwahrt
sein, sondern sie muß unserem Geschmack entsprechen und die
Stimmung muß darin beobachtet sein. Unter „Stimmung" ist
bei der Wohnungseinrichtung die genaue Beziehung zu verstehen,
welche zwischen den: Gegenstände und seinem Zweck, zwischen der
Form desselben und dem Gebrauch dazu er bestimmt ist, zwischen
dem äußeren Schmuck und der Natur des Dbjektes besteht."

Ts braucht wohl nicht darauf hingewiesen zu werden, daß
diese intime Beziehung zwischen dem paus und seinem Bewohner

ganz besonders das Augenmerk des Architekten ist, der ein
Tigenhaus entwirft. So wenig zwei Menschen, zwei Familien
sich genau gleichen in ihren Lebensgewohnheitcn, Ansprüchen und
Liebhabereien, so wenig können sich zwei Tigenhäuser —- denn
nur von diesen, nicht von Miethshäusern ist hier überhaupt die
Rede — genau gleich sehen im Grundriß, in der Anlage und
Folge der Räume, in der Lage der Treppe, der Ausnutzung der
Nebenräume rc. Noch mehr als die Dekoration des pauses soll
die Grundrißanlage für den, der sie zu lesen und zu verfolgen
versteht, das Portrait des Bewohners zeichnen. Ts wird daher
der vorsichtige Architekt, der seinen Auftraggeber wirklich zufrieden
stellen will, seinen Entwurf nicht beginnen, so lange ihm der
Letztere noch unbekannt ist; ebenso, wie der portraitmaler oder
Bildhauer die Person, die er abzubilden berufen wird, erst eine
Zeit lang studirt, in verschiedener Umgebung und verschiedenen

Stimmungen beobachtet, so wird auch der Architekt seine Leute
und ihre Art intimer kennen zu lernen, zu studiren suchen müssen,
um ihnen ein peim zu schaffen, das ihnen gut und bequem „sitzt".

Was von der Anlage des pauses gilt, hat nun auch in Bezug
auf die künstlerische Ausstattung seine Gültigkeit; ja hier wird
ein Fehler gegen den oben ausgesprochenen Grundsatz noch mehr
ins Auge fallen und selbst dem Laien erkennbar sein. Aus der
andern Seite aber wird der Dekoratör vom Durchschnittsschlage
hier mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Der
Architekt steht, wie auch der Maler und Bildhauer, wenigstens,
sofern er sich eines gewissen künstlerischen Rufes erfreut, mit dem
Besteller gesellschaftlich auf gleicher Stufe. Seinem Bestreben, den
Auftraggeber und seine Familie kennen zu lernen und in ihrem
intimeren Leben zu studiren, stellen sich von dieser Seite keine
Hindernisse in den Weg. Der „Tapezierer", und wäre er in seinem
Berufe auch ein wahrer Künstler, wird dem Besteller immer als

Abbildung Nummer 858. Vestibül ans einem Breslauep Hausp. Erbaut von Architekt ljans Griesebach.
 
Annotationen