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Illustrirte kunstgewerbliche Zeitschrift für Innendekoration — 5.1894

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Braunmühl, Clementine von: Die Ausbildung der Damen für häusliche Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.11721#0049

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Februar-Hest.

Zllustr. kunstgewerbl. Zeitschrift für Znnen-Dekoration.

5eite 29-

^ann erst verdient ihre Arbeit den Namen „häusliche Kunst". — Ls hat
sich leider in unserer Damenwelt eine irrthiimliche Auffassung des Begriffes
„Kunst" eingebürgert. Line Dame, die einigermaßen zeichnen, vielleicht auch
mit Farbe zeichnen, d. h. malen gelernt hat, glaubt dieses Können nur für
öie hohe Kunst, für das Bildermalen anwenden zu dürfen. Lieber malt sie
Eine „dilettantische" Landschaft oder ein mangelhaftes Portrait, als daß he
in ihren Studien die korrekte Auffassung einer, wenn auch nur in einfachen
Linien wiedergegebenen Figur oder Blume, oder eines Ornamentes anstrebt,
wodurch sie dann im Stande ist, auch eine gediegene, künstlerische Stickerei
ilerzustellen. Den Werth eines Kunstwerks bestimmt nicht das „was",
sondern das „wie". Unsere größten Meister der Kunst verschmähten es
nicht, obwohl sie die unsterblichsten Werke mit ihrem Pinsel oder ihrem
Geißel zu schaffen vermochten, gewisser-
Maßen als Diener der Architektur aufzu-
treten. Die Loggien des Vatikan und die
zauberhaften Drnamentskulpturen eines
2ansovino haben der Dekorationsmalerei
und Plastik für je und alle Zeit den
Stempel höchsten Kunstadels aufgedrückt.

Die einfache Kunst des Stickens wird
einer Dame, die sie wirklich als Kunst be-
trachtet und übt, eine Fülle der geistigen
Anregung bieten, eine Welt von Erkenntniß
und Schönheit offenbaren, so reich, daß sie
kaum im Stande ist, das ganze Gebiet zu
umfassen. Sie führt sie in das östliche
Asien, wo ihr die Stickerei der Lhinesen
und Japanesen eine Naturauffassung zeigt,
von einer Wahrheit, gepaart mit der zauber-
haftesten Fantasie und der eminentesten
Technik, die wir nur bewundern, aber kaum
Zu erreichen vermögen. Die Inder, die
tVestasiaten, die europäisch slavischeu Völker,
dann unsere germanischen Vorfahren, be-
sonders die Frauen des Mittelalters und
der Renaissance, beweisen, daß die Kunst
des Stickens immer auf tiefem verständniß,
auf warmer Liebe zur Natur beruhte und
daß die Werke dieser Völker und Zeiten
nicht aus geistloser Nachahmung, sondern
aus dem inneren Bedürfniß nach Darstel-
lung des Schönen hervorgingen. Also
Talent und Geist, Können und wissen,
slnden in der Kunst des Stickens so reich-
liche Nahrung, daß sie im Stande sind,
dem Schaffen einer diese „häusliche Kunst"
betreibenden Dame wahren inneren Werth,
volle Befriedigung zu verleihen.

Zur häuslichen Kunst können wir
auch die Naturaufnahmen rechnen, welche
die Damen während des Landaufenthaltes
in ein Album oder Skizzenbuch zeichnen,
das hernach mit Fotografien und den in
immer größerer Zahl und Mannigfaltigkeit
erscheinenden illustrirten Prachtwerken, zur
Zierde des Salontisches, zur Anregung
und Unterhaltung der Gesellschaft dient.

Wie manches: „Ach, wie reizend!" wird
da der Künstlerin gegenüber laut, während
der galante Bewunderer eine sehr gegen-
theilige Ansicht in seinem Herzen verbirgt.

Ja, leider sind sie in der Regel äußerst
mangelhaft, diese Landschaftsbilder von
Damenhand! Die Häuser drohen umzu-
sallen, die in Verkürzung erscheinenden
Thüren und Fenster müßten die Mauern in allen möglichen schiefen Linien
und in allen erdenklichen Größen durchbrechen, wenn sie der Zeichnung
entsprächen. Die Bäume gleichen einem auf eiue Stange gesteckten woll-
ähnlichen Gewirre. von welcher Seite die Beleuchtung kommt, ist unerfindlich
und die Luft hat ihre die Ferne unbestimmt und zart erscheinen lassende
Wirkung verloren, von den Menschen- und Thierfiguren reden wir lieber
nicht. Können diese Zeichnungen Freude bereiten? haben sie irgend einen
anderen Werth als höchstens den der Affektion für die Schöpferin, die durch
dieselben an schöne Stunden erinnert wird? Ja gewiß, wenn die Damen
sich vor Allem das Studium der Linien- und Lichtperspektive angelegen sein
ließen, wenn sie ihr Auge und ihre Hand zum Auffassen und grafischen
wiedergeben von Nassenformen bilden würden, Licht und Schatten, hell und
dunkel unterscheiden lernten! Aber schon das Wort „Perspektive" flößt ihnen

ein gelindes Grauen ein und dennoch ist es damit nicht anders wie mit
jeder ungewohnten aber erfrischenden und in Folge dessen erfreuenden Tätig-
keit. wie müde macht uns der erste größere Spaziergang nach einer das
ganze Jahr andauernden sitzenden Lebensweise, und wie frisch und fröhlich,
wie elastisch und kräftig treten wir nach einiger Uebung im Gehen auch eine
längere Fußtour an. Haben wir einmal unser Vorstellungsvermögen an das
richtige Erkennen perspektivischer Erscheinungen gewöhnt, so werden wir
mühelos diese Erscheinungen korrekt auf das Papier bringen. Ich glaube, daß
es einer begabten Dame wahrhaft zur wohlthat wird, nach dem im Allge-
meinen oberflächlichen Betriebe ihrer Künste und ihres Wissens, einer Sache
auf die Spur zu kommen, sie in ihren Grundprinzipien kennen zu lernen.
So könnte auch die nur zum Vergnügen „dilettantisch" betriebene Kunst des

Landschaftzeichnens auf dem Lande zu einer
Ouelle wahrer Geistesbildung werden.
Daß damit auch die Bildung des Empfin-
dens Hand in Hand geht, versteht sich
von selbst. Die Wahrheit in der Kunst
ist aber die erste Bedingung zu ihrer Schön-
heit. Mit dem verständnißvollen Sichver-
senken in die Wahrheit der Erscheinungen,
offenbaren sie uns auch ihre Schönheit.

Ich könnte noch viele häusliche Künste
nennen, welche nur auf einer verständniß-
vollen Vorbildung für dieselben das wer-
den, was sie sein sollen, unsere Freude und
die Verschönerung unseres Heims. Wie
rathlos stehen wir vor einer Porzellanvase,
die wir mit ornamentalem Dekor versehen
wollen! Eine Zeichnung dazu entwerfen
könnten wir allenfalls, oder wir besitzen
vielleicht eine solche, die sich verwenden
ließe. Aber wie ist sie auf die gebogene
Form einzurichten, damit sie paßt? Die
projektionslehre wird jeden Zweifel lösen.
Sie lehrt uns in diesem Falle die Körper-
form auf einer Fläche ausbreiten und auf
dieser ausgebreiteten, abgewickelten Körxer-
form die Bemalung, den künstlerischen
Dekor in richtiger Verkeilung anbringen.

Wenn wir für irgend eine Thätigkcit
das Wort „Kunst" gebrauchen, so müssen
wir mit dieser Thätigkeit mindestens ent-
weder im Stande sein, alles im Raume
Sichtbare auf einer Fläche korrekt wieder-
zugeben — Malerei und Zeichnungskunst,
oder wir müssen die Erscheinungen der
Natnr in ihrer vollen Gestalt nachbilden
können — die plastische Kunst; oder wir
müssen eine Abstraktion der Natur nach
eigener Erfindung grafisch oder plastisch
zu gestalten vermögen — die Dekorations-
kunst. Alles bloße Kopiren einer bereits
künstlerisch wiedergegebenen Erscheinung
verdient nur dann den Namen Kunst,
wenn dieses Kopiren uns nöthigt, uns in
den Geist des Meisters ganz zu versenken,
sein Werk wie mit seiner Hand zu malen
oder zu meißeln und die von ihm darge-
stellten Naturerscheinungen ganz zu ver-
stehen. —- Auch die häusliche Kunst der
Damen stellt, wenn auch nur im engen
Rahmen, diese Anforderungen. Eine ein-
fache Stielstichstickerei fordert verständniß
für die vom Zeichner gegebene Form. Eine
auf einen Teller oder auf einen Album-
deckel gemalte Blume wird nur künstlerischen lverth haben, wenn sie nach
der Natur gezeichnet ist. Zu einem eigenen Entwürfe gehört Kenntniß des
Stils, Uebereinstimmung der Zeichnung mit dein Zweck und dem Material
des zu schmückenden Gegenstandes.

wir leben jetzt in einer Zeit, in welcher sich die Ansicht immer mehr
Bahn bricht, daß das Talent und der Geist der Frauen nicht nur zum Zwecke
des Erwerbs ausgebildet werden darf, sondern daß es eines der schönsten
Vorrechte der frei über ihre Zeit und ihre Mittel verfügenden Dame ist, diese
Zeit und diese Mittel zu geistiger Vertiefung, zur Aneignung von Kunst und
.Wissen zu verwenden. Je mehr diese Ansicht in alle gebildeten Kreise ein-
dringt, um so mehr wird das Haus die Stätte werden, in welcher die nicht
durch schwere Pflichten in Anspruch genommene Frau in ihm ihre sie voll
befriedigende Beschäftigung und edelste Zerstreuung findet. Es wird aber

Abbildung 877. Kamin in goth. Stil, von M. Kimbel, Breslau.
 
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